„Das Gefühl der Angst ist immer dabei“

von Redaktion

INTERVIEW Ein langjähriger Polizist und Ausbilder aus Freising erzählt, wie gefährlich und gleichzeitig erfüllend der Beruf ist

Lothar Riemer, 61, aus Freising hat über 40 Jahre als Polizist gearbeitet. Streifendienst, Kriminal- und Schutzpolizei – Riemer kennt sich aus und hat viel erlebt. Als Polizeifachlehrer in Dachau hat er zuletzt junge Anwärter auf den Polizeidienst vorbereitet. Heute ist er pensioniert und erzählt in einem Podcast, einer Audio-Serie, über seine Erfahrungen als Polizist. Verbrechen wie das in Kusel erinnern den langjährigen Polizisten daran, dass Gefahr immer besteht.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den Vorfall in Rheinland-Pfalz denken?

Vor ein paar Tagen habe ich noch mit meiner Frau über die zwei ermordeten Kollegen in New York und Texas gesprochen und die Aggressivität der Bürger. Dann hörte ich von dem schrecklichen Verbrechen in Kusel. Das Erste, was ich dachte: Jetzt haben wir hier die gleiche Aggressivität.

Zwei junge Kollegen wurden erschossen. Hat Sie das Verbrechen an Ihre Anfangszeit bei der Polizei erinnert?

Natürlich. Das Gefühl der Angst ist immer dabei. Routinemäßige Kontrollen verlaufen im Normalfall problemlos. Dennoch ist man angespannt. Man weiß nicht: Ist der Fahrer bewaffnet? Sitzt da jemand, nach dem gefahndet wird? Ist Diebesgut im Kofferraum versteckt? Polizeibeamte stehen unter ständiger Anspannung, man weiß nicht, was einen erwartet.

Warum sind Sie Polizist geworden?

Ich wollte immer schon Polizist werden. Das Wichtige für mich war immer der Dienst am Bürger. Das ist ein sehr wichtiger Beruf, genau wie der von Pflege- und Rettungskräften. Das wird uns aktuell ja sehr bewusst. Die Polizei ist rund um die Uhr für die Menschen da. Die Gefahr wird einem erst später deutlich.

In welchem Bereich haben Sie genau gearbeitet?

Angefangen habe ich bei der Bundespolizei mit Stationen in Moskau und Kairo. Als Zivilfahnder war ich in München und später in Bosnien für die Vereinten Nationen. Nach Stationen bei der Kriminalpolizei und Autobahnpolizei war ich noch im Innenministerium in Berlin für Afghanistan zuständig. Zuletzt war ich Lehrer bei der Bereitschaftspolizei in Dachau.

Wie groß war die Gefahr im Alltag?

Die Gefahr wird unterdrückt. Das würde anders gar nicht funktionieren, kein Polizist kann unter ständiger Anspannung arbeiten. Klar, muss man eine gewisse Eigensicherung beachten. Aber die Gefahr muss Routine werden. Wir haben einen gefahrgeneigten Beruf. Das beinhaltet auch, dass wir im Extremfall verletzt werden oder sterben. Das habe ich auch meinen Schülern immer gesagt. Natürlich gibt es gewisse Schutzmaßnahmen wie Weste und Waffen. Damit kann die Gefahr nur vermindert werden.

Werden junge Polizeianwärter gut auf brenzlige Situationen vorbereitet?

Auf alles kann man sich nicht vorbereiten. Heute werden junge Polizisten wirklich super ausgebildet, praktisch wie theoretisch. Aber alle Szenarien kann man nicht trainieren.

Wie hat sich die Stimmung der Gesellschaft gegenüber Polizisten verändert?

Soweit ich das beurteilen kann, ist die Grundaggressivität bestimmter Gruppen gegenüber der Polizei gestiegen. Jugendliche treffen sich im Englischen Garten, provozieren Schlägereien, schmeißen Krankenwagen um. Früher kam die Polizei, dann hat sich die Situation beruhigt. Heute ist das nicht mehr so.

Sie sind jetzt in Pension. Was sagt Ihre Frau und Ihre Familie dazu?

Meine Familie hatte immer Angst um mich. Jetzt hat meine Frau gesagt: „Das ist das erste Mal, dass ich keine Angst mehr um dich haben muss.“

Interview: Alexandra Pöhler

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