„Das Fenster für einen Angriff schließt sich Mitte März“

von Redaktion

INTERVIEW James Davis spricht über das Ansehen von Olaf Scholz in Amerika und über die Taktik der Russen

Prof. James Davis ist Politikwissenschaftler an der Uni St. Gallen. Der gebürtige US-Amerikaner lebt in München.

Die Boulevardzeitung „New York Post“ nennt Deutschland „ein armseliges Exemplar eines US-Verbündeten“. Ist das auch die Sicht in der US-Regierung auf Kanzler Olaf Scholz?

Die US-Regierung bildet sich erst noch eine Meinung von der neuen Bundesregierung. Die neue grüne Außenministerin Baerbock wird relativ positiv betrachtet. Die Amerikaner haben die Entwicklung der Grünen weg von den pazifistischen Wurzeln nicht so verfolgt und sind jetzt überrascht, wie forsch Baerbock gegenüber Moskau auftritt.

Gibt es Verständnis für die deutsche Argumentation, man könne wegen der NS-Vergangenheit keine Waffen an die Ukraine liefern?

Dafür ist das Verständnis nicht allzu groß, denn der historische Bezug, den man in den USA herstellt, ist eher das Münchner Abkommen, also die Tatsache, dass man Hitler nicht früh genug gestoppt hat.

Russland fordert, dass die Ukraine nie Nato-Mitglied werden darf. Warum kann die Nato Moskau nicht einfach dieses Versprechen geben?

Weil der Westen seine Prinzipien nicht aufgeben kann – schon gar nicht unter vorgehaltener Pistole. Aber natürlich versuchen die USA und ihre Verbündeten, Moskau klarzumachen, dass die Nato-Aufnahme Kiews nicht auf der Tagesordnung steht. Man sucht verzweifelt irgendeine Formulierung, um Putin einen Rückzug ohne Gesichtsverlust zu ermöglichen.

Wird es einen russischen Angriff geben?

Da ändert sich meine Meinung von Tag zu Tag. Die Frage ist, was Putins Beweggründe sind: Geht es ihm wirklich nur um die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine oder doch um das Ziel, das er letztes Jahr in einem Essay ausgegeben hat, die historische Rus der Zarenzeit – also mit dem Gebiet der Ukraine – wiederherzustellen? Oder geht es Putin um die Innenpolitik, weil er es nicht dulden kann, dass ein demokratisches Vorbild für russische Oppositionelle vor den Türen Russlands entsteht? Klar scheint mir aber, dass sich das Fenster für einen Angriff Mitte März schließt, weil dann der Boden in der Region zu weich wird für russische Panzer.

Aktuell sucht die EU nach Möglichkeiten, unabhängiger vom russischen Gas zu werden. Inwiefern beeinflusst das die russische Außenpolitik?

Nordstream 2 war immer ein geopolitisches Projekt, alle Beteuerungen aus Berlin, das sei nicht so, sind gelogen. Wir wissen, dass Putin bereit ist, sein Gas als geopolitische Waffe einzusetzen. Es ist kein Zufall, dass es derzeit Cyber-Angriffe auf deutsche und andere europäische Öl-Anlagen gibt. Insofern glaube ich, dass wir uns über sichere alternative Energiequellen Gedanken machen müssen.

Wie sehr schwächt es die US-Position gegenüber China und Russland, dass die USA so zerrissen sind?

Das wird in Moskau und Peking natürlich wahrgenommen, aber noch wichtiger ist es für die Verbündeten der USA. In den vier Trump-Jahren haben die westlichen Partner gesehen, dass sie sich auf US-Versprechen und -Verträge nicht mehr verlassen können. Das bleibt in Berlin, Paris und London in Erinnerung – und das macht es jetzt schwer für Joe Biden.

Wie gefährlich ist der Schulterschluss zwischen China und Russland?

Kurzfristig ist das ein Problem, aber längerfristig ist auch Russland ein Verlierer in einer Welt, in der China immer mächtiger wird. Putin will kein Juniorpartner sein. Da ist erwartbar, dass es längerfristig zu Spannungen zwischen Moskau und Peking kommen wird.

Interview: Klaus Rimpel

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