München – Nun ist er also in der Weltpolitik angekommen. Olaf Scholz, der sich für sein außenpolitisches Zaudern in den vergangenen Tagen viel anhören musste, steht in Washington neben Joe Biden. Es hat den obligatorischen Fototermin vor dem prasselnden Kaminfeuer im Oval Office gegeben. Dann das vertrauliche Gespräch, deutlich länger als erwartet. Und jetzt stehen der amerikanische Präsident und der deutsche Kanzler Seite an Seite vor der Presse.
Scholz will mit diesem Besuch ein klares Signal Richtung Moskau setzen. Es drohe Krieg. Seine Warnung: „Es wird sehr, sehr hohe Kosten für Russland haben, einen solchen Schritt zu tun.“ Der Frage nach Nord Stream 2 weicht Scholz zwar erneut wortreich aus, aber er sagt auch: Man werde alle Schritte gemeinsam tragen. Biden wird dafür umso deutlicher: Sollte Russland einmarschieren, werde Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen. Es ist quasi die Antwort für beide.
Selten stand der Antrittsbesuch eines Bundeskanzlers so im Fokus. Für Aufregung sorgte bereits der Hinflug, den Scholz im legeren Freizeitlook absolvierte. Als mitreisende Journalisten Fotos des Kanzlers im grauen Schlabberpulli in den sozialen Netzwerken posteten, war die Aufregung groß. Fehlender Respekt vor dem Gastgeber? Mangelnde Kenntnis der angespannten Weltlage? Oder will da jemand sein Image des blassen Bürokraten korrigieren?
Egal. Als Scholz gestern Vormittag Washingtoner Zeit neben Joe Biden im Oval Office Platz nimmt, hat er sich angezogen, wie es ein Staatsbesuch erfordert. Er ist hier, um ein neues außenpolitisches Kapitel seiner noch jungen Kanzlerschaft aufzuschlagen. Andere haben ihm zuletzt in der öffentlichen Wahrnehmung den Rang abgelaufen: Emmanuel Macron, der als Weltpolitiker in den heimischen Wahlkampf ziehen will, oder Boris Johnson, dem alles recht ist, was von Lockdown-Partys ablenkt. Nun will Scholz klarstellen, dass er nicht nur Zaungast ist. Nächste Woche geht es nach Kiew und Moskau.
„Um das Offensichtliche zu sagen: Deutschland ist einer der engsten Verbündeten Amerikas“, macht Biden schon ganz zu Anfang klar, als Scholz neben ihm im Oval Office Platz nimmt. Es gehe nicht nur um Russland – er nennt auch China, Corona und den Klimawandel als Themen. „Willkommen, Willkommen, Willkommen.“ Und Olaf Scholz schafft auch in fließendem Englisch einen dieser Sätze, die Angela Merkel nicht verschwurbelter hinbekommen hätte: „Wir sind engste Verbündete und arbeiten intensiv zusammen, und das ist notwendig, um die Schritte zu unternehmen, die wir zum Beispiel im Kampf gegen die russische Aggression gegenüber der Ukraine unternehmen müssen.“
Sie können gar nicht anders, als hier im Scheinwerferlicht Geschlossenheit zu signalisieren. Was hinter den Kulissen besprochen wurde, ist allenfalls zu erahnen. In US-Medien, aber auch aus der Politik hatte es zuletzt deutlichere Zweifel am Partner gegeben. Die Liste der Irritationen ist lang: Nord Stream 2, die freundliche Haltung der SPD gegenüber Russland, die Verweigerung von Waffenlieferungen an die Ukraine, die nicht eingehaltene Zusage, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung zu investieren. Die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, meldete kürzlich ans Auswärtige Amt: „Berlin, wir haben ein Problem.“ In ihrem Schreiben schilderte Haber, wie Deutschland wegen des Ukraine-Konflikts als „unzuverlässiger Partner“ diskreditiert werde. Biden aber stellt gestern eindeutig klar: „Er muss kein Vertrauen zurückgewinnen. Deutschland hat das Vertrauen der USA.“
Dass die Bundeswehr ihr Kontingent in Litauen fast verdoppelt, dürfte nicht zufällig kurz vor dem Gespräch mit Biden öffentlich geworden sein. Washington verlangt mehr als nur Lippenbekenntnisse. Und dass die grüne Außenministerin bislang in ihren Aussagen klarer und konsequenter war, hat nicht nur Berliner Oppositionspolitiker überrascht.
Der Kanzler geht also in die Offensive. Ein bisschen jedenfalls. Nach seiner Rückkehr will er sich heute Abend in Berlin mit Polens Präsident Andrzej Duda und Emmanuel Macron abstimmen, der frisch aus Moskau kommt. Zumindest mit dem französischen Präsidenten spielt Scholz nun auf Augenhöhe.