Scholz auf Krisenmission in Washington

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

München – Nun ist er also in der Weltpolitik angekommen. Olaf Scholz, der sich für sein außenpolitisches Zaudern in den vergangenen Tagen viel anhören musste, steht in Washington neben Joe Biden. Es hat den obligatorischen Fototermin vor dem prasselnden Kaminfeuer im Oval Office gegeben. Dann das vertrauliche Gespräch. Und jetzt stehen der amerikanische Präsident und der deutsche Kanzler Seite an Seite vor der Presse. Scholz will mit diesem Besuch ein klares Signal Richtung Moskau setzen; „Es wird einen sehr hohen Preis haben, wenn es dazu kommt, dass die Ukraine militärisch angegriffen wird“, hat Scholz schon am Morgen gesagt. „Wir bereiten das auch präzise vor.“

Selten stand der Antrittsbesuch eines Bundeskanzlers so im Fokus. Für Aufregung sorgte bereits der Hinflug, den Scholz im legeren Freizeitlook absolvierte. Als mitreisende Journalisten Fotos des Kanzlers im grauen Schlabberpulli in den sozialen Netzwerken posteten, war die Aufregung groß. Fehlender Respekt vor dem Gastgeber? Mangelnde Kenntnis der angespannten Weltlage? Oder will da jemand sein Image des blassen und Bürokraten korrigieren?

Egal. Als Scholz gestern Vormittag Washingtoner Zeit neben Joe Biden im Oval Office Platz nimmt, hat er sich angezogen, wie es ein Staatsbesuch erfordert. Er ist hier, um ein neues außenpolitisches Kapitel seiner noch jungen Kanzlerschaft aufzuschlagen. Andere haben ihm zuletzt in der öffentlichen Wahrnehmung den Rang abgelaufen: Emmanuel Macron, der als Weltpolitiker in den heimischen Wahlkampf ziehen will, oder Boris Johnson, dem alles recht ist, was von Lockdown-Partys ablenkt. Nun will Scholz klarstellen, dass er nicht nur Zaungast ist. Nächste Woche geht es nach Kiew und Moskau.

„Um das Offensichtliche zu sagen: Deutschland ist einer der engsten Verbündeten Amerikas“, macht Biden schon ganz zu Anfang klar, als Scholz neben ihm im Oval Office Platz nimmt. Es gehe nicht nur um Russland – er nennt auch China, Corona und den Klimawandel als wichtige Themen. „Willkommen, Willkommen, Willkommen.“ Und Olaf Scholz schafft auch in fließendem Englisch einen dieser Sätze, die Angela Merkel nicht verschwurbelter hinbekommen hätte: „Wir sind engste Verbündete und arbeiten intensiv zusammen, und das ist notwendig, um die Schritte zu unternehmen, die wir zum Beispiel im Kampf gegen die russische Aggression gegenüber der Ukraine unternehmen müssen.“

Sie können gar nicht anders, als hier im Scheinwerferlicht Geschlossenheit zu signalisieren. Was hinter den Kulissen besprochen wurde, ist allenfalls zu erahnen. In US-Medien, aber auch aus der Politik hatte es zuletzt deutlichere Zweifel am Partner gegeben. Die Liste der Irritationen ist lang: Nord Stream 2, die freundliche Haltung der SPD gegenüber Russland, die Verweigerung von Waffenlieferungen an die Ukraine, die nicht eingehaltene Zusage, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung zu investieren. Die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, meldete kürzlich ans Auswärtige Amt: „Berlin, wir haben ein Problem.“ In ihrem Schreiben, aus dem der „Spiegel“ zitierte, schilderte Haber, wie Deutschland wegen des Ukraine-Konflikts inzwischen als „unzuverlässiger Partner“ diskreditiert werde.

Dass die Bundeswehr ihr Kontingent in Litauen fast verdoppelt, dürfte nicht zufällig kurz vor dem Gespräch mit Biden öffentlich geworden sein. Washington verlangt mehr als nur Lippenbekenntnisse. Und dass die grüne Außenministerin bislang in ihren Aussagen klarer und konsequenter war als der rote Kanzler, hat nicht nur Berliner Oppositionspolitiker überrascht.

Der Kanzler geht nun also in die Offensive. Ein bisschen jedenfalls. Nach seiner Rückkehr will er sich heute Abend in Berlin mit Polens Präsident Andrzej Duda und Emmanuel Macron abstimmen, der frisch aus Moskau von Wladimir Putin kommt. Zumindest mit dem französischen Präsidenten spielt Scholz nun also wieder auf Augenhöhe.

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