So wählen wir unseren Bundespräsidenten

von Redaktion

1472 Delegierte stimmen am Sonntag ab – Frank-Walter Steinmeier vor zweiter Amtszeit

Berlin – Das Amt des Bundespräsidenten ist das höchste politische Amt in Deutschland. Gleichwohl tritt der Bundespräsident in der Tagespolitik selten in Erscheinung, auch, weil er parteipolitisch neutral zu agieren hat. Wir erklären, wie die Wahl abläuft und wer am Sonntag gegen Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier (SPD) antritt.

Wer wählt?

Für die Wahl tritt alle fünf Jahre die Bundesversammlung zusammen. Sie setzt sich aus den Abgeordneten des Bundestags (aktuell 736) und einer gleich großen Zahl von Mitgliedern zusammen, die die 16 Landesparlamente entsenden. Die 17. Bundesversammlung am Sonntag zählt also 1472 Mitglieder. Wie viele Sitze auf ein Land entfallen, hängt von dessen Bevölkerungszahl ab. Zum Zuge kommen vielfach Landtagsabgeordnete – aber auch Prominente wie Sportler oder Schauspieler (Artikel unten).

Wer darf antreten?

Zur Wahl stellen kann sich jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestag besitzt und das 40. Lebensjahr vollendet hat. Jedes Mitglied der Bundesversammlung kann Wahlvorschläge bei der Präsidentin des Deutschen Bundestags einreichen. Für den zweiten und dritten Wahlgang können neue Vorschläge gemacht werden. In der Regel werden die Kandidaten aber von Parteien nominiert.

Wo wird gewählt?

Unter normalen Umständen im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes. Dies ist unter Corona-Bedingungen aber nicht möglich. Deshalb weicht die Bundesversammlung auf das benachbarte Paul-Löbe-Haus mit seinen rund 1000 Büros und 21 Sitzungssälen aus. Die Mitglieder der Bundesversammlung werden dort auf mehreren Ebenen platziert – und viele werden den neuen Bundespräsidenten nur auf dem Bildschirm sehen.

Wie wird gewählt?

Die Sitzung wird von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) geleitet, die eine Rede hält, dann die Wahlvorschläge verliest und den ersten Wahlgang eröffnet. Jedes Mitglied der Bundesversammlung wird namentlich aufgerufen. Gewählt wird geheim. Sind alle Stimmzettel eingeworfen, wird ausgezählt. Für den ersten und wenn nötig zweiten Wahlgang ist die absolute Mehrheit erforderlich. Im dritten Wahlgang reicht dann die einfache Mehrheit. Der Gewählte hat zwei Tage Zeit, die Wahl anzunehmen. Normalerweise hält er aber sofort eine Antrittsrede.

Wie geht es weiter?

Der neue Bundespräsident leistet bei seinem Amtsantritt den Eid vor den versammelten Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat. Er spricht dabei dieselbe Formel wie zuletzt Olaf Scholz (SPD) bei seiner Vereidigung als Bundeskanzler. Zudem legt er in einer Rede eine Art Programm vor. Wird Steinmeier wiedergewählt, muss er nicht erneut einen Amtseid ablegen. Gewinnt ein Mitbewerber, endet seine Amtszeit am 18. März.

Der Amtsinhaber

Dass Frank-Walter Steinmeier (66) im Jahr 2017 ins Schloss Bellevue einzog, hat er auch Sigmar Gabriel zu verdanken – und dem Unvermögen der Union, einen eigenen guten Kandidaten, oder eine Kandidatin, zu finden. Gabriel, damals Parteichef der SPD, preschte vor und brachte seinen Außenminister ins Spiel. Volltreffer. Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer stimmten notgedrungen zu. Steinmeier stellte sich in seiner Amtszeit offensiv gegen Populisten und Hetzer gegen die Demokratie. Und er mahnte an, Antisemitismus schon im Kleinen zu bekämpfen. Während der Pandemie warb er fürs Impfen, konnte aber die gesellschaftlichen Gräben auch nicht verhindern. „Die Pandemie hat tiefe Wunden geschlagen“, sagte er im Mai vergangenen Jahres. Diese Wunden zu heilen, dürfte eine wichtige Aufgabe der zweiten Amtszeit sein. Denn seine Wiederwahl gilt als sicher.

Die Gegenkandidaten

Theoretisch könnte Deutschland eine Bundespräsidentin bekommen – es wäre die erste überhaupt. Die Freien Wähler haben Stefanie Gebauer nominiert, eine Kommunalpolitikerin aus Brandenburg. Die Physikerin hat eine Tochter und ist seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der BVB/Freie Wähler-Fraktion im brandenburgischen Landtag. Ihre Kandidatur erklärt sie so: „Die Motivation ist, dass Demokratie Auswahl benötigt. Es bestand der Wunsch nach einem jüngeren Kandidaten, es bestand der Wunsch auch nach einer Frau. Und genau das erfülle ich.“ Sie wolle vor allem Frauen Mut machen, Verantwortung in der Gesellschaft und eine Führungsaufgabe zu übernehmen.

Gerhard Trabert (65) kandidiert zwar auf Linken-Ticket, ist aber parteilos. Im September holte er als parteiloser Direktkandidat in Mainz für die Linke beachtliche 12,4 Prozent der Erststimmen. Trabert studierte Sozialwesen und Medizin und ist Arzt und Professor für Sozialmedizin. Seit Jahrzehnten engagiert er sich für Obdachlose und in der Flüchtlingshilfe und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Natürlich werde er nicht zum Staatsoberhaupt gewählt, schreibt der vierfache Vater im Internet. Aber: „Ich möchte die Kandidatur nutzen, um auf die Armut und soziale Ungerechtigkeit in diesem Land hinzuweisen, und um als Fürsprecher von Menschen aufzutreten, die zu wenig gehört werden.“

Die AfD hat mit Max Otte (57) einen CDU-Mann zur Kandidatur bewogen – was für Wirbel sorgte. Die CDU leitete umgehend seinen Parteiausschluss ein. Otte studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie politische Wissenschaften und ist heute Fondsmanager. Der Ökonom sorgte erstmals im Mai 2021 mit seiner Wahl zum Vorsitzenden der erzkonservativen Werte-Union, die zwar keine offizielle Vereinigung der CDU ist, aber sich als „konservative Basisbewegung“ in der Union sieht, für Aufsehen. Otte stand schon länger im Verdacht der AfD-Nähe. Der dreifache Vater kündigte bereits an, sich aus der aktiven Politik zurückzuziehen.

ULRICH STEINKOHL UND WOLFGANG HAUSKRECHT

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