München – Seit Jahr und Tag beklagen Kritiker ein gravierendes Manko des Münchner S-Bahn-Netzes: Zahlreiche Strecken sind nur eingleisig, insgesamt 31 Prozent. Weitere 34 Prozent des S-Bahn-Netzes sind mit „Mischverkehr“ belastet. Das heißt: Neben S-Bahnen fahren auch Regional- oder Güterzüge. Schon 2010 warnte die S-Bahn-Geschäftsleitung in einer internen Aufstellung vor diesem „Risiko“. Instabilität und Wachstumshemmnisse für den S-Bahn-Verkehr seien die Folge.
Eingleisige Strecken gibt es in Bayern allerorten – nicht zuletzt ist auch der schreckliche Unfall von Bad Aibling mit zwölf Toten im Jahr 2016 auf einer eingleisigen Strecke passiert. Mit Schrecken erinnern sich Eisenbahnexperten auch an einen Beinahe-Zusammenstoß zweier Regionalbahnen bei Griesen (Kreis Garmisch-Partenkirchen) im Januar 2020. Dass jedoch ein Drittel eines ohnehin notorisch überlasteten S-Bahn-Systems praktisch seit Beginn der S-Bahn-Ära vor 50 Jahren nur eingleisig betrieben wird, ist schon erstaunlich.
Petershausen–Röhrmoos, Weßling–Herrsching, Grafing–Ebersberg, Erding–Markt Schwaben – es gibt eine ganze Reihe von S-Bahn-Abschnitten mit nur einem Gleis. Die S-Bahn-Strecke mit den größten eingleisigen Abschnitten ist just die Linie der S7, auf der nun die S-Bahnen zusammenstießen. Sowohl 17 Kilometer des West-Asts zwischen Höllriegelskreuth und Wolfratshausen als auch die 28 Kilometer zwischen Giesing und Kreuzstraße haben nur ein Gleis. Lokalpolitiker haben das schon seit Jahren beklagt, zum Beispiel auf einem S-Bahn-Gipfel unserer Zeitung im Jahr 2018. Die S7, so meinte dort der damalige Bürgermeister von Neubiberg, Günter Heyland, sei „längst an die Kapazitätsgrenze gestoßen“. Die S7 sei eine „Problemlinie“. Pendler wissen es: Immer wieder rauscht die S-Bahn an kleinen Bahnhöfen einfach durch, weil sie die Fahrzeiten sonst nicht einhalten kann und der Gegenzug ohnehin schon warten muss. Trotz der bekannten Missstände ist aber nicht viel passiert. Auch Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer, die selbst an der Strecke wohnt, setzte kaum Impulse.
Erst im August vergangenen Jahres kam es auf der S7-Strecke zu einem ernsten Zwischenfall: Zwei S-Bahnen fuhren bei Icking aufeinander zu, konnten aber 150 Meter voneinander entfernt noch stoppen. Ein Lokführer wurde damals suspendiert, er soll ein Signal fälschlicherweise als Abfahr-Befehl gedeutet haben. Dabei handelte es sich um einen Hinweis auf eine Langsamfahrstelle.
Es ist wahrscheinlich für die Bahn typisch, dass auch ein halbes Jahr nach diesem brisanten Vorfall der Bericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung auf sich warten lässt – die Behörde ist für ihre notorische Langsamkeit bekannt. DIRK WALTER