„Ich wurde mit voller Wucht nach vorne geschleudert“

von Redaktion

DORIS RICHTER, ANDREA KÄSTLE UND SABINE HERMSDORF-HISS

Schäftlarn – Es war kurz nach halb fünf, als am Montag ein lauter Knall halb Schäftlarn erschütterte. Anwohner rannten auf die Straße, Autofahrer stoppten. Kurz hinter dem S-Bahnhof Ebenhausen, Fahrtrichtung München, waren zwei S-Bahnen zusammengestoßen. In diesem Bereich verlaufen die Gleise einspurig, die Bahnen in beide Richtungen müssen die gleiche Strecke nutzen. Eine minutengenaue Abstimmung ist hier also unbedingt notwendig. Warum das am Montagnachmittag nicht funktionierte, ist unklar. Fest steht: Schon tagsüber hatte es an der Strecke Störungen (siehe Kasten) gegeben. Die S7, die Richtung Wolfratshausen unterwegs war, kam schon mit einiger Verspätung in Schäftlarn an. Vor einer Rechtskurve, kurz vorm Bahnhof Ebenhausen, blieb der Zug auf der Strecke stehen. Zu dieser Zeit war die entgegenkommende S7 in Richtung München schon vom S-Bahnhof Ebenhausen losgefahren. Kurz hinter der Kurve krachten die beiden Züge gegen 16.35 Uhr ineinander.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Wagen gut besetzt. Die Polizei spricht von 95 Fahrgästen. Nach ersten Angaben der Polizei kam ein Mann bei dem Unglück ums Leben. Die Feuerwehr berichtete, dass es sich um einen Fahrgast handle. Mindestens 14 Menschen wurden verletzt, wie schwer war zunächst noch unklar. 80 weitere Fahrgäste würden medizinisch untersucht, sagte der Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums, Andreas Franken, am Abend.

Der 18-Jähriger Stefan H. war einer der Fahrgäste in der S-Bahn Richtung Wolfratshausen. Er klagt nach dem Unfall über Kopfschmerzen und eine Verletzung am Bein. Um 16.44 Uhr sei er am Ostbahnhof eingestiegen. „Die S-Bahn ist immer wieder stehen geblieben. In Pullach standen wir sogar fast zehn Minuten“, erzählt er. Insgesamt habe die Bahn schon etwa 20 Minuten Verspätung gehabt, als sie in Richtung Ebenhausen fuhr. Er habe im vorderen Wagen gesessen, als die S-Bahn kurz vorm Bahnhof plötzlich stehen geblieben sei. „Plötzlich hat es einen lauten Knall gegeben und ich wurde mit voller Wucht nach vorne geschleudert.“ Zum Glück sei vor ihm ein anderer Sitz gewesen, der ihn stoppte. Alle Fahrgäste seien durcheinandergeflogen. „Da waren richtig viele junge Schüler darunter“, erzählt er. Laut Polizeisprecher Franken ist einer der beiden Züge entgleist, beide Bahnen stünden jedoch noch aufrecht.

Der 19-jährige Carlos, der in der anderen S7 Richtung München saß, erzählt, wie unvermittelt der Zusammenstoß passierte. „Plötzlich sind wir alle von den Sitzen geflogen.“ Kinder hätten geschrien. „Eine alte Frau ist danach am Boden gelegen und hat stark geblutet.“ Er habe dann den roten Notfallhebel betätigt und die Türen der S-Bahn geöffnet. Danach seien die meisten Menschen aus der Bahn gestiegen und die steile Böschung neben den Gleisen hinuntergeklettert. Die Bahngleise sind in diesem Bereich schwer zugänglich. Bis in den Abend hinein waren die Rettungskräfte damit beschäftigt, Menschen aus den Zügen zu bergen.

Viele der Menschen standen sichtlich unter Schock. Sie wurden in warme Decken gehüllt und untersucht. Eltern eilten zur Unfallstelle, um nach ihren Kindern zu suchen. Auch Schäftlarns Bürgermeister Christian Fürst war gekommen. Und immer wieder näherten sich neue blaue Lichter von Einsatzfahrzeugen der Feuerwehren, Polizei und Rettungsdienste. Hubschrauber kreisten über der Unfallstelle.

Ein Großteil der Fahrgäste wurde zur weiteren Betreuung ins Kloster Schäftlarn gebracht. Die Bahn drückte noch am Abend ihr Bedauern über den Unfall aus. „Den Angehörigen der Unfallopfer gehört unser tiefes Mitgefühl. Den Verletzten wünschen wir eine baldige und vollständige Genesung“, sagte Heiko Büttner, Chef der S-Bahn München. Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) zeigte sich schockiert. „Ich bin tief betroffen, weil ja so viele Menschen Leid erfahren“, sagte sie am Montagabend bei einem Besuch am Unglücksort. Zu möglichen Konsequenzen wollte sie sich nicht äußern. „Wir müssen erst mal die Unfallursache feststellen. Wenn wir die kennen, können wir daraus die Schlussfolgerungen ziehen.“

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