Erinnerungen an die Sirenen

von Redaktion

Seine Kindheit hat Otto Scheda (85) zum Pazifisten gemacht

Schaftlach – Otto Scheda (85) erinnert sich noch genau daran, wie Zwangsarbeiter im Außenlager des Konzentrationslagers Bergen-Belsen in der damaligen Provinz Hannover ihre dünnen Arme durch die Gitter gesteckt und nach Brot gebettelt haben. Abgesperrt in einem separaten Teil des Stollens, sollte der damals siebenjährige Bub sie gar nicht entdecken. Otto Scheda hat sie an diesem schrecklichen Ort gefunden, weil der Stollen nicht nur ein Ort der Ausbeutung und Misshandlung war, sondern Menschen auch als Luftschutzbunker diente.

Wenn die Sirenen ertönten, versteckte Otto Scheda sich mit seiner Familie und einem Freund im Stollen. Beim Herumtoben sahen die beiden Buben den abgetrennten Bereich mit den Gefangenen. „Wir gaben ihnen heimlich Proviant, den wir gestohlen hatten“, sagt er. „Irgendwann hat uns die SS erwischt.“ Diese und weitere schreckliche Erinnerungen an den Weltkrieg beschäftigen den 85-Jährigen heute noch. Die Bilder aus der Ukraine spülen vieles wieder hoch.

1937 in Hannover geboren, zog es Scheda 1966 nach Bayern. Seit ein paar Jahren wohnt der freiberufliche Kaufmann in Schaftlach im Kreis Miesbach. Mit einem Unternehmen für ökologische Teppiche war er lange Zeit selbstständig.

Die Geschichte wiederhole sich nahezu, sagt Scheda beim Anblick der vielen Ukrainer, die ihre Heimat und ihre Familie zurücklassen müssen. „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf – trotz Christentum und Aufklärung“, sagt er. Unschuldige müssten leiden und daher verurteile er den Angriffskrieg von Putin. Seine frühe Begegnung mit dem Krieg hätte ihn für sein gesamtes Leben geprägt.

Auch die vielen Kinder in der Ukraine werden sich später an die Trümmer, die Sirenen und die bedrückende Stimmung erinnern, fürchtet er. „Wenn ich auf meine Kindheit blicke, ist das der Grund, warum ich zum Pazifisten geworden bin.“. Er habe noch Hoffnung, dass Putin einsieht, dass er den Krieg nicht gewinnen kann und die Ukraine ihren Platz zwischen Ost und West finden wird – in Frieden. ALEXANDRA PÖHLER

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