Ölkrise im Supermarkt

von Redaktion

Wegen des Ukraine-Kriegs werden Sonnenblumen knapp, aber auch Weizen und Senfkörner

VON STEFAN REICH UND CORNELIA SCHRAMM

München – Es scheint wieder so wie vor zwei Jahren am Anfang der Corona-Pandemie. Drei Wochen nach Beginn des Ukraine-Kriegs leeren sich in den Supermärkten bestimmte Fächer in den Regalen. Diesmal ist es nicht das Klopapier, dafür sind Mehl und Nudeln häufig vergriffen. Und auch Sonnenblumenöl – eines der wenigen Produkte, die auch tatsächlich knapp werden könnten.

Sonnenblumenöl: Warum ist es knapp?

Rund 400 000 Tonnen Sonnenblumenöl wurden 2020 laut dem Verband der Ölsaaten verarbeitenden Industrie (OVID) in Deutschland verbraucht. Nur sechs Prozent davon wurden über Anbau im eigenen Land gedeckt. Die mit Abstand größten Exporteure weltweit sind Russland und die Ukraine. In der Ukraine liegt ein Teil der Vorjahresernte fest, weil Schiffe die Häfen im Schwarzen Meer nicht verlassen können. Und Russland hat angekündigt, die Ausfuhr mehrerer Agrarerzeugnisse zu drosseln. Sonnenblumenöl könnte in wenigen Wochen knapp werden oder gar nicht mehr verfügbar sein, heißt es in der Branche. Noch aber gibt es Nachschub für den Einzelhandel. Dass es in Regalen jetzt schon teilweise fehlt, liegt hauptsächlich am Einkaufsverhalten (s. Text unten).

Bleibt Sonnenblumenöl länger knapp?

In der Ukraine ist aufgrund des anhaltenden Krieges die Aussaat für die nächste Sonnenblumenernte gefährdet. Und so spontan kann auch kein anders Land einspringen. Gravierende Engpässe bei Sonnenblumen und ihren Kernen seien wohl für bis zu anderthalb Jahre zu erwarten, heißt es in der Branche. Demnach rechnet man erst zur Ernte im Herbst 2023 fest mit Entspannung. Entweder weil der Krieg vorbei ist, oder weil andere Länder beim Anbau eingesprungen sind.

Welche Produkte sind davon betroffen?

Speiseöle werden nicht nur in Flaschen verkauft. Sie stecken auch in verarbeiteten Lebensmitteln: Mayonnaise und Grillsoßen, Süßigkeiten und Backwaren. Die Tiefkühl-Wirtschaft verwendet sie zum Vorfrittieren. „Die Folgewirkungen einer Verknappung sind breit“, sagt Marcus Girnau, stellvertretender Geschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschland.

Wie geht die Industrie mit dem Problem um?

In vielen Produkten wäre Sonnenblumenöl zwar recht kurzfristig austauschbar, etwa durch Raps-, Soja- oder Palmöl. Doch die Vorräte an Sonnenblumenöl könnten schneller zur Neige gehen, als Verpackungen neu gestaltet und geliefert werden können. Daher brauche es Flexibilität bei der Kennzeichnung, sagt Stefanie Sabet, Leiterin des Brüsseler Büros der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie. „Wir haben durch die Corona-Pandemie derzeit ein halbes Jahr Vorlauf bei der Bestellung von Verpackungen.“ Die Verbände verhandeln mit der Politik über Ausnahmen. Dann steht auf der Packung vielleicht noch „Thunfisch in Sonnenblumenöl“, drin ist aber Rapsöl. Reichen sollen nach Vorstellung der Industrie Hinweise am Regal oder auf der Internet-Seite der Hersteller. Es geht auch um Ausnahmen bei der Einfuhr von Alternativrohstoffen wie Raps und Soja. Weil in der EU strenge Regeln etwa zu Gentechnik oder Pestiziden gelten, können die auf dem Weltmarkt nur begrenzt eingekauft werden.

Welche Alternativen haben Verbraucher?

„Die Welt geht nicht unter, nur weil es im Moment kein Sonnenblumenöl gibt“, sagt die Münchner Ärztin und Ernährungsberaterin Kathrin Hausleiter. „Es ist zwar günstig und lässt sich hoch erhitzen, so gesund ist es allerdings gar nicht.“ Rapsöl, Maiskeimöl oder Leinsamenöl seien gute Alternativen. Sollten auch die vergriffen sein, kann man zum Braten zu Kokos- oder Sesamöl und beim Backen, klassisch wie Oma, zur Butter greifen.

Fleisch, Fisch und Gemüse lassen sich auch anders zubereiten: „In Bratfolie oder einem Bratschlauch im Ofen gegart“, sagt Hausleiter. „Mit etwas Brühe klappt das auch in der Pfanne.“ Über das warme Essen wird dann Oliven- oder Walnussöl geträufelt. „Die Variante ist sparsam und schmackhaft – und die kalt gepressten Öle dürften ja ohnehin nicht hoch erhitzt werden.“ Fette tierischen Ursprungs bestehen aus gesättigten Fettsäuren. „Sie sind die Bösewichte, die eine Fettleber und verstopfte Gefäße verursachen können“, so Hausleiter. Ihr Genuss ist in Maßen in Ordnung. Pflanzliche Öle mit ungesättigten Fettsäuren sollten aber öfter auf dem Speiseplan stehen. „Sonnenblumenöl gehört zu dieser Gruppe, Leinsamen, Nüsse und Avocados sind aber auch perfekte Quellen.“

Welche Lebensmittel werden noch knapp?

Neben Ölsaaten importiert Deutschland auch Senfkörner in großen Mengen aus Russland und der Ukraine. Laut Kulinaria Deutschland, dem Branchenverband der Feinkost-, Senf- und Suppenhersteller, sind es 80 Prozent der in der Bundesrepublik verarbeiteten Senfsaaten. Mit Verknappung bis hin zu vollständigen Lieferausfällen bei Rohstoffen sei zu rechnen.

Bei Getreide wie Weizen werden zwar durch die kriegsbedingten Ausfälle die Preise steigen. Das kann ärmere Weltregionen hart treffen, aber Europa drohen keine gravierenden Engpässe, so die Prognosen. Beim Brot wird sich kurzfristig nicht viel ändern, heißt es vom Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks. Lange Lieferverträge würden die Preise vorerst stabil halten.

Wie werden sich die Preise entwickeln?

Mittelfristig könnten höhere Weizenpreise auf den Brotpreis wirken, heißt es vom Bäckerverband. Die Verbraucherzentrale Bayern verweist darauf, dass auch Futtermittel für Landwirte und damit Fleisch, Milch oder Eier teurer werden könnten. Jörg-Simon Immerz, Leiter des BayWa-Getreidehandels, geht von einem Anstieg der Preise um bis zu 15 Prozent aus. Allerdings: Die Lebensmittelindustrie muss sich schon länger mit höheren Preisen für Agrarerzeugnisse auseinandersetzen. Diese voll an Kunden weiterzugeben, gehe aber nicht, beklagt Branchensprecherin Sabet. Das verhindere der Einzelhandel mit seiner Marktmacht. „Die Ladenpreise sind 2021 längst nicht so stark gestiegen wie die Rohstoffpreise.“

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