Die lange Nacht der Ampel

von Redaktion

SPD, Grüne und FDP ringen zehn Stunden lang um das Entlastungspaket – Am Morgen danach ist für jeden was dabei

München – Die Nachtschicht sieht man ihm sofort an. Mit strubbeligen Haaren und dunklen Augenringen tritt SPD-Chef Lars Klingbeil vor die Kameras. „Es war eine lange Nacht, es war intensiv“, sagt er. Hinter den Spitzen der Ampelparteien liegt ein gut zehn Stunden langes Tauziehen. Kanzler Olaf Scholz verpasste deshalb sogar das gemeinsame Foto beim Brüsseler Nato-Gipfel. Klingbeil meint aber: „Wir haben gut verhandelt.“ Am Morgen ist das milliardenschwere Paket geschnürt.

Die Sitzung weckt Erinnerungen: Als die Regierung stolz ihre Maßnahmen zur Entlastung der Bürger präsentiert, ist es auf den Tag ein Jahr her, dass sich Kanzlerin Angela Merkel für ihre nächtlichen Lockdown-Ideen bei der Bevölkerung entschuldigte. Damals ging es um die „Osterruhe“, um Corona in den Griff zu kriegen. 15 Stunden lang hatten die Kanzlerin und die Länderchefs um einen harten Lockdown gestritten. Zwischen 1 und 3 Uhr morgens kamen damals nur noch wenig sinnvolle Entscheidungen zustande. Die Osterruhe wurde schnell wieder zurückgenommen.

So einfach wie damals könnte die neue Regierung jetzt aber keinen Rückzieher machen. Die Ampel macht den Bürgern am Morgen nach der Marathonsitzung viele Versprechen. Und sie sind konkret: 9-Euro-Ticket für den ÖPNV, 300 Euro Energiepauschale, Benzin wird um 30 Cent billiger. Es ist das zweite Entlastungspaket innerhalb weniger Wochen.

Die Regierung habe gezeigt, dass sie in dieser Krise „handlungsfähig“ sei, sagt Finanzminister Christian Lindner (FDP) zufrieden. SPD-Chef Klingbeil bekräftigt: „Wir sind mit unterschiedlichen Blickwinkeln, Perspektiven und Forderungen in den Koalitionsausschuss gegangen.“ Aber letztlich habe man etwas „auf den Weg gebracht“.

Für die Opposition bietet sich hier eine willkommene Angriffsfläche. Die Union spricht von einer „vermeintlichen Einigung“ der Koalitionspartner – ihnen sei es nicht um eine zielgerichtete Entlastung gegangen, sondern darum, „dass für jeden der Ampelpartner etwas dabei ist“, kritisierte Fraktionsvize Mathias Middelberg.

Tatsächlich löst die Kompromisslinie der Ampel auf mehreren Seiten Unzufriedenheit aus: Wirtschaftsvertreter beschweren sich darüber, dass Unternehmen bei den geplanten Entlastungen übergangen werden – und Sozialverbände klagen, dass ärmere Bürger nicht genug berücksichtigt werden. Rentner seien zum Beispiel völlig vergessen worden, kritisiert VdK-Chefin Verena Bentele.

Ganz unvorbereitet treffen diese Vorwürfe die Ampel-Spitzen aber nicht. Als Grünen-Chefin Ricarda Lang präsentiert, was ihre Partei im Koalitionsausschuss durchgesetzt hat, bemüht sie sich gleich zu Beginn um Ehrlichkeit. „Wir haben die Breite der Gesellschaft im Blick“, sagt sie. Die Regierung werde nicht jede Belastung kompensieren können.

Und auch Lindner macht Eingeständnisse. Einige wichtige Punkte seien im Maßnahmenpaket nicht berücksichtigt – beim Schutz für Flüchtlinge etwa sei „noch was zu tun“. Auch den „Betrieben, die in Schwierigkeiten sind“, müsse geholfen werden. Und die Kosten für den Staat seien ebenfalls noch recht unübersichtlich. Zwar geht der Finanzminister davon aus, dass die Größenordnung mit dem ersten Entlastungspaket vom Februar vergleichbar sei – da ging es um 16 Milliarden Euro. Aber das sei schwer einzuschätzen – weil zum Beispiel nicht klar ist, wie viel Sprit in den drei Monaten der Energiesteuer-Senkung verbraucht wird.

Speziell zu diesem Punkt kommt auch von Umweltverbänden eine Breitseite: Die Energiehilfen seien klimapolitisch halbherzig. Die Klima-Allianz Deutschland kritisierte, die Spritpreissenkung führe nicht zu weniger Verbrauch. Zudem profitiere stärker, wer viel tankt, bemängelte der Bund für Umwelt und Naturschutz. Im Vergleich zum Chaos um die Osterruhe hält sich die Kritik an dieser Marathonsitzung aber insgesamt in Grenzen.  (mit dpa/epd)     KATHRIN BRAUN

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