Bayern kommt aufs Huhn

von Redaktion

Der Hype um die Henne: Wir erzählen drei kuriose Geschichten vom Federvieh

München – Das Huhn ist nicht mehr nur zum Eierlegen da. Immer mehr Privathaushalte und Einrichtungen halten sich die gackernden Zweibeiner – aus Motiven so bunt wie Ostereier. Manche Hühner wurden vor dem Schlachter gerettet, andere arbeiten therapeutisch, wieder andere erfreuen als Leihhühner Kinder und Familien. Verrückte Hühnerwelt. Sogar in München werden die Vögel immer beliebter. 550 Haltungen sind derzeit gemeldet. In Haushalten, Schulen oder Seniorenheimen. Jede Haltung ist beim Veterinäramt meldepflichtig, was offenbar nicht abschreckt. In den vergangenen beiden Jahren sind in München jeweils gut 90 Haltungen dazugekommen.

1. Sechs Hennen als Haustiere

Um kurz nach halb sechs ist Schlafenszeit für Billy, Gusti, Maray, Jodie, Tilda und Helga. Wenn sich das elektrische Tor langsam schließt, wissen die Hennen Bescheid. Eine nach der anderen eilt in den kleinen hölzernen Hühnerstall im Garten von Familie Hinterwaldner, mitten im Wohngebiet von Moosach im Landkreis Ebersberg. Nur ein Tier kann sich noch nicht von der Plastikflasche loseisen, die mit Leckerlis gefüllt ist und von der Decke des offenen Vorraums baumelt. Leni Hinterwaldner lässt die Henne weiterpicken. „Nach Dir schau ich nachher noch mal“, sagt die 17-Jährige und verlässt leise das Gehege.

Fast ihren ganzen Garten hat die Familie in Hühner-Territorium verwandelt. „Bis auf die Terrasse dürfen sie eigentlich überallhin“, sagt Leni Hinterwaldner, die die Hühner vor zwei Jahren nach Moosach geholt hat. Die Schülerin hat sie gerettet: aus der Massentierhaltung und vor dem Schlachter. In ihrem früheren Leben waren die Tiere Legemaschinen, die man im Alter von drei Jahren aussortiert hätte, weil sie nicht mehr wirtschaftlich genug sind. Statt zum Schlachter kamen sie zum Verein „Rettet das Huhn“, der sich bundesweit für die Rettung dieser Tiere einsetzt – und sie an neue Besitzer vermittelt. Wie an die Hinterwaldners.

Die sechs Hennen genießen ihr neues Zuhause. Manchmal dürfen sie sogar mit ins Haus. „Wenn sie krank sind zum Beispiel“, sagt Leni. Dann sitzen sie ruhig auf ihrem Schoß, gucken neugierig umher und genießen die Streicheleinheiten. Außerdem sind die Hühner immer noch fleißig am Eierlegen. Meistens nehmen sie dafür in den strohigen Legenestern im Stall Platz. Wenn das Lieblings-Nest gerade belegt ist, können die Eier auch mal woanders auftauchen. „Wir finden die Eier manchmal irgendwo im Garten“, sagt Leni und lacht.

Dass es in der Nachbarschaft Hühner gibt, hat sich in Moosach schnell rumgesprochen. Das Zuhause der Hinterwaldners ist darum ein beliebtes Ziel für Spaziergänger. Senioren und Familien mit Kindern bleiben am Zaun stehen und beobachten die braunen und schwarzen Vögel, die mindestens genauso neugierig zurückgucken. „Die finden sich gegenseitig sehr spannend.“ Viele nehmen sich vor Ort auch gleich ein paar Eier mit, die die Familie an ihrer Haustüre verkauft. „So lernen die Kinder auch gleich, wo die Eier herkommen“, sagt Leni Hinterwaldner. Das findet sie gut. „Wir können damit ein bisschen Aufklärung betreiben.“

2. Hühner im Seniorenheim

Vorsichtig streichelt Margarete Hoffmeister über Babettes weiche Federn. Das rotgoldene Federkleid glänzt, der Kopf der Zwerg-Cochin-Henne bewegt sich rhythmisch vor und zurück. Das Huhn ist ruhig, während es auf dem Arm der 82-jährigen Seniorenheimbewohnerin sitzt, keinen Mucks gibt das Tier von sich. Babette ist den Umgang mit Menschen gewohnt. Seit eineinhalb Jahren lebt sie im Garten des Hauses St. Martin in München-Giesing. Mit Hahn Pablo und Hühnerschwester Trudi. Zur großen Freude der Bewohner. „Wir haben so ein Glück: Von unserem Balkon kann man genau auf den Stall schauen“, erzählt Hoffmeister freudig.

Auch Isolde Dobner ist begeistert von den tierischen Nachbarn: „Ich hör den Pablo immer. Der schreit mir nämlich jede Früh um sechs.“ Der Gockel hat es der 71-Jährigen besonders angetan. Geduldig hält sie ihm ein grünes Salatblatt hin. Doch der Hahn im Korb scheint satt zu sein.

Das Seniorenheim hat die Erfahrung gemacht, dass die Tiere auch einen therapeutischen Effekt auf die Heimbewohner haben, von denen einige an Demenz erkrankt sind. Viele von ihnen fangen wieder an zu sprechen, wenn sie bei den Hühnern sind. Auch Spastiken in den Händen können sich lösen, sobald die Senioren die Hennen zu streicheln beginnen.

Wenn Margarete Hoffmeister dem Gackern und Krähen lauscht, fühlt sie sich um Jahrzehnte zurückversetzt, in die Tage ihrer Kindheit. „Mit elf Jahren bin in Auerbach bei Gunzendorf als Vollwaise auf einen Bauernhof gekommen“, erzählt die 82-Jährige. „Groß und dürr war ich. Darum musste ich mich immer um das Kleinvieh kümmern.“ Besonders ein Erlebnis hat sich ihr eingebrannt: „Einmal musste ich ein Huhn schlachten.“ Das habe sie viel Überwindung gekostet. Und dann der Schreck: Das tote Tier ist noch eine Weile weiter vor ihr umhergehüpft – ohne Kopf. „Das vergess’ ich nie“, sagt Hoffmeister. Nie wieder könnte sie ein Huhn schlachten. Was für ein Glück für Pablo, Babette und Trudi.

3. Handle my Hendl: Das Huhn zur Miete

Peter Groß hat zwölf Hühner. In Buch am Erlbach im Kreis Landshut genießen sie bei ihm ein ruhiges Landleben, picken Körner und baden im Sand. Zumindest so lange, bis es wieder abenteuerlich wird – und die Hennen in die große Stadt dürfen. Groß vermietet seine Hühner nämlich regelmäßig nach München – an Familien, Kindergärten und Seniorenheime. „Ich denke, dass gerade Kinder ein besseres Verständnis für die Lebensmittel bekommen, wenn sie sich um die Hühner kümmern“, sagt Groß.

Der 33-Jährige hat selbst zwei Kinder, eine fünfjährige Tochter und einen sechsjährigen Sohn. Die beiden freuen sich jedes Mal, wenn sie die Eier aus den Nestern holen dürfen. „Sie wissen schon, was für eine Arbeit hinter jedem Frühstücksei steckt“, erzählt er und lacht. Mit seiner Hühner-Vermietung „Handle my Hendl“ will Groß das auch Kindern vermitteln, die in der Stadt aufwachsen. „Die Kinder sollen lernen, dass die Eier nicht vom Supermarkt kommen.“

Groß gibt die Hennen immer in Vierergruppen an ihre vorübergehenden Besitzer. Inklusive Futter, Einstreu, Wasser- und Futtertrog sowie Auf- und Abbau des 25 Meter langen Hühnerzauns. Der Preis für die Freude am Federvieh hängt von der Mietdauer ab. Gestartet wird bei 270 Euro für drei Wochen, der Mindestmietzeit. Allerdings gibt der 33-Jährige seine Hühner nicht an jeden. Voraussetzung ist zum Beispiel, dass die Mieter einen mindestens 20 Quadratmeter großen Garten haben – eine Wohnung mit Terrasse reicht nicht aus.

Und auch sonst schaut Groß genau hin, bei wem seine Damen so einziehen. Glücklicherweise. „Einmal hat tatsächlich ein Mieter gefragt, ob ich nicht gleich die Gewürze mitschicken könnte. Er hatte vor, die Tiere nach zwei Wochen zu schlachten“, sagt Groß, sichtlich schockiert. „So was geht natürlich überhaupt nicht. Es bekommt nicht jeder unsere Hühner!“ TEXTE: THERESA KUCHLER

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