Wo hört der Spaß auf?

von Redaktion

Justizminister Georg Eisenreich belegte vor über 20 Jahren einen Kabarettkurs bei Helmut Schleich. Ein Doppel-Interview über die Bedeutung von Humor – und seine Grenzen.

Da steht sein Name. „Georg Eisenreich“, sorgfältig eingetragen in die Kursliste der Jungen Volkshochschule. Seminarthema: Kabarett. Herbstsemester 1998/99. „Ist lange her“, meint Eisenreich schmunzelnd, als er die Liste sieht, die Kabarettist Helmut Schleich zu unserem Interview mitgebracht hat. Der war damals Kursleiter und kann sich gut an seinen „Schüler“ Georg erinnern. „Ich habe noch alle Texte, die er im Kurs geschrieben hat – aber leider steht darin nix, was ihn heute in die Bredouille bringen könnte“, erzählt Schleich lachend. Denn heute ist Eisenreich bayerischer Justizminister. Und als einer, der früher selbst auf Kabarettbühnen gespielt hat, ein geeigneter Gesprächspartner, wenn es um die Frage geht, wo – juristisch und menschlich – die Grenzen des Humors liegen. Ein Doppel-Interview.

Kann man Kabarett überhaupt lehren?

Helmut Schleich: Kabarett ist zu 90 Prozent Textarbeit. Da kann man Tricks vermitteln, doch wenn nicht ein gewisses schreiberisches Talent angelegt ist, wird’s schwierig. Aber was es als Kabarettist eben auch braucht: Bühnenpräsenz. Es gibt Beispiele von Leuten, die gut schreiben können und intellektuell was draufhaben – doch denen es nicht gelingt, das Publikum mitzureißen. Dann hast du in diesem Beruf keine Chance.

Wie war das bei Ihnen, Herr Eisenreich? Wenn Sie Videos von damals anschauen: Mögen Sie Ihre Bühnenpräsenz?

Georg Eisenreich: Es ist nie leicht, sich selber zu sehen. Aber ich denke, meine Texte waren ganz gut – sie haben funktioniert. Ich erinnere mich genau daran, wie spannend es war, sie das erste Mal vor Publikum zu präsentieren. Da stehst du auf der Bühne, und bei den Pointen wird tatsächlich gelacht. Das zu fühlen war unbeschreiblich! Schleich: Man unterschätzt gerade am Anfang der Karriere gern, dass die Leute sehr intensiv mitmachen. Die gehen ja ins Kabarett, weil sie Lust aufs Denken haben. Was die alles schon vorausdenken! Da liegt die Meisterschaft drin, so schnell zu sein, dass man das Publikum permanent überrascht. Deshalb: die Texte kürzen, verdichten. Und darauf vertrauen, dass meist eine Andeutung reicht.

Ist das etwas, was Sie für die Politik gelernt haben, in der das mit den kurzen Reden ja so eine Sache ist?

Eisenreich: Ja. Wenn der fünfte Grußwortredner mit Karl Valentin beginnt: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“ – dann zieht sich so ein Abend für die Zuhörer. Aus diesen Gründen sind viele mittlerweile grußwortgeschädigt. Ich bemühe mich, nur so lange zu reden wie nötig. Und dort, wo es möglich ist, will ich auch ein wenig unterhaltsam sein.

Haben Sie ernsthaft überlegt, Kabarett hauptberuflich zu betreiben?

Eisenreich: Ich wollte immer Anwalt werden, aber ich hätte das Kabarett nebenher weitergemacht, wenn ich 2002 nicht in den Stadtrat und dann 2003 in den Landtag gewählt worden wäre. Schleich: Vom Kabarett ins Kabinett! Bei manchen Figuren in Berlin ist das heute mitunter kaum noch zu unterscheiden …

Nun haben Sie als Justizminister aber die perfekte Inspirationsquelle für Kabarett nach der politischen Karriere. Sammeln Sie schon dafür?

Eisenreich: Das tue ich tatsächlich. Als Politiker liest man Zeitungsartikel ja unter anderen Gesichtspunkten als ein Kabarettist. Aber ich sehe nicht nur das Politische, sondern auch den komischen Aspekt. Das sammle ich. Was ich nicht mache, ist echte Textarbeit. Das ist zu aufwendig, die Zeit habe ich nicht. Schleich: Allerdings sage ich dir: Das Verreckte am Kabarett ist, dass, wenn du das Gesammelte nicht sehr zügig in einem Text umsetzt, das oft zu so einem erratischen Block wird, bei dem man ein oder zwei Jahre später nicht mehr weiß: Was war daran eigentlich witzig? Auch bei vermeintlich zeitlosem Kabarett ist die Halbwertszeit der Pointen dann nämlich doch nicht sehr hoch. Weil sich die Gesellschaft verändert. Es gibt genug Themen, die man heute gar nicht mehr erwähnen dürfte auf der Bühne, die aber vor fünf Jahren allgemeine Schenkelklopfer waren.

Gutes Stichwort! 2018 sorgte die Altneihauser Feierwehrkapell’n für Empörung, weil sie bei der „Fastnacht in Franken“ Frankreichs First Lady Brigitte Macron etwa als „gut eingefahrenen Schlitten“ und „schärfste alte Hütte mitten in Paris“ besang. Sie haben das damals in einem Leserbrief verteidigt, Herr Schleich. Darf Humor alles?

Schleich: Erst einmal war das Fastnacht, da gelten für mich andere Maßstäbe als im Kabarett. Und zum zweiten bleibe ich dabei: Eine Frau Macron, die ihr Äußeres bewusst einsetzt, um Wahlkampf zu machen, also in der Folge Macht zu gewinnen, die muss damit leben, dass das Volk sich darüber lustig macht.

Wo hört der Spaß auf?

Schleich: Wenn man sie bedroht oder persönlich beleidigt.

Wäre ich Macron, empfände ich das als beleidigend.

Schleich: Das steht ihr ja frei. Es ist eben so, dass die Mächtigen immer dem Spott des Volkes ausgesetzt sind. Und Spott heißt Spott, weil er halt spottet und sich nicht nur auf einem intellektuell spitzfindigen Florett-Niveau mit Inhalten auseinandersetzt.

Wie sehen Sie das, auch aus rechtlicher Perspektive, Herr Justizminister?

Eisenreich: Ich finde, dass man zwei Dinge unterscheiden muss. Das eine ist die Bewertung, ob man einen Witz gut findet oder nicht. Das andere ist die Frage: Ist der Witz erlaubt oder nicht erlaubt? Da gibt es klare Grenzen. In unserem Land gelten die Kunstfreiheit und die Meinungsfreiheit. Die Grundrechte enden aber dort, wo das Strafrecht beginnt. Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Volksverhetzung sind nicht zulässig. Ein geschmackloser Witz dagegen ist nicht strafbar. Das muss man auseinanderhalten. Ich finde diese Sprüche über Brigitte Macron weder witzig noch geschmackvoll. Aber wir dürfen die „Zulässigkeit“ von Sprüchen und Witzen nicht nach Geschmacksfragen beurteilen.

Wie definiert sich denn Beleidigung juristisch?

Eisenreich: Die Beleidigung ist ein rechtswidriger Angriff auf die Ehre. Beleidigung ist ein Antragsdelikt. Wird kein Strafantrag gestellt, wird es nicht verfolgt. Das ist der rechtliche Aspekt. Solange die rechtliche Grenze nicht überschritten wird, braucht eine freiheitliche Gesellschaft aber unbedingt Debatten und Kontroversen. Wer provoziert, muss sich dann allerdings auch der Kritik stellen.

Eine Debatte haben auch Sie, Herr Schleich, mit der Figur des Maxwell Strauß ausgelöst. Man wirft Ihnen Rassismus vor.

Schleich: Und ich wehre mich dagegen, weil das die Nummer bewusst aus dem Zusammenhang reißt. Der Maxwell Strauß, den ich mit schwarz geschminktem Gesicht spiele, ist meine Erfindung eines unehelichen Sohnes von Franz Josef Strauß, der in Afrika so ein neokoloniales Bayern betreibt. Das finde ich ein sehr schönes Konstrukt, um gewisse Vorgänge bei uns dort zu spiegeln. Es ging darum, auf Zustände bei uns hinzuweisen, um nichts anderes. Dass der schwarz ist, liegt einfach daran, dass die CSU klassischerweise als „die Schwarzen“ bezeichnet wird.

Sind wir beim Humor übersensibel geworden?

Schleich: Ja. Es sind nur Witze! Die können schlecht sein, lustig sein. Manche können sich beleidigt fühlen, doch nur weil sich jemand beleidigt fühlt, heißt das nicht, dass er Recht hat. Das ist ja das Konzept des Witzes: zu irritieren. Dieses Konzept scheint momentan nicht sehr gefragt. Eisenreich: Es ist komplex. Denn wir haben mittlerweile ein echtes gesellschaftliches Problem, was das Thema Hass und Hetze insbesondere im Internet betrifft. Das hat eine Dimension erreicht, die wirklich demokratiegefährdend ist. Ich glaube, dass viele deshalb generell sensibler geworden sind. Das ist auch gut so. Denn gegen die Vergiftung des Klimas, vor allem in den sozialen Netzwerken, muss man sich wehren. Aber deswegen darf man bei Humor und Satire nicht den Fehler machen und wie eine Zensurbehörde entscheiden, welche Witze erlaubt sind und welche nicht. Die Grenzen setzt das geltende Recht und eben nicht der persönliche Geschmack oder die vermeintliche politische Korrektheit.

Wie steht es mit Witzen über Religionen? Die Redaktion der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ wurde wegen ihrer Mohammed-Karikaturen Opfer eines Terroranschlags. Zum Prozessauftakt gegen Mittäter druckte das Heft die Karikatur erneut. Eine unnötige Provokation?

Schleich: Ich fand das saumutig. Da ist so ein massiver Angriff auf unsere freiheitliche Gesellschaft erfolgt, also massiver, als dass die Leute in der Redaktion erschossen werden, geht es doch nicht. Das kann man nicht relativieren mit Argumenten wie: „Das haben sie selbst provoziert.“ Genau da muss man sagen: Nee, Leute, das läuft bei uns nicht. Da passt für mich der schönste Kabaretttitel, den es jemals gab, vom Richard Rogler: „Freiheit aushalten“. Ihr Politiker müsst ja auch einiges aushalten, Georg. Allerdings sollten Kabarettisten sich nicht über die Personen lustig machen, sondern über das, was sie in ihrer politischen Funktion tun.

Da sind wir wieder bei Brigitte Macron: Sie hat keine politische Funktion. Was ihr angekreidet wird, ist, dass sie alt ist und auf ihr Äußeres Wert legt. Im Grunde macht man sich also über alle älteren Frauen lustig.

Schleich: Jetzt denken Sie, Sie haben mich. (Lacht.) Ja, das verstehe ich ja auch. Aber Brigitte Macron hat schon die Funktion, in der Yellow Press das schöne Bild des tollen Präsidenten mit zu verkörpern – und da darf man dran kratzen an diesem Bild.

Kabarett muss wehtun?

Schleich: Es muss nicht, aber es kann auch mal wehtun. Vor allem muss es lustig sein. Unterhaltsam. Eisenreich: Es kann auch hinterfotzig sein. Schleich: Das ist übrigens mit das Schönste, wenn’s hinterfotzig ist. Eisenreich: Was es nicht sein darf, ist langweilig. Kabarettisten haben keine Lizenz zum Langweilen. Haltung haben heißt nicht, die Unterhaltung zu vergessen. Schleich: Das ist leider ein Phänomen, das sich stark ausbreitet. Da sind wir wieder bei „Charlie Hebdo“. Hier war der latente Vorwurf: Über Mohammed darf man sich nicht lustig machen. Wo ich sage: Im Gegenteil, wir müssen uns lustig machen! Wenn wir aufhören, uns lustig zu machen, wird’s schwierig, denn dann kommt man genau in dieses Predigertum, das im Kabarett leider sehr um sich greift. Eisenreich: Wer politische Reden halten möchte, sollte nicht auf die Bühne, sondern besser in die Politik gehen. Als Kabarettist muss man auch einen künstlerischen Anspruch haben. Manche politische Rede ist zwar auch hohe Kunst, aber es besteht schon ein großer Unterschied zwischen beiden Sphären.

Darf man die Zuschauer fordern, mit krassen Pointen alleine lassen?

Schleich: Ja, man darf die Leute irritieren und alles, aber es ist natürlich toll, wenn man es am Schluss schafft, sie doch mit einer gewissen Heiterkeit aus dem Abend zu entlassen, nicht verbittert. Denn das ist die schwierige Grenze, bei der man nicht weiß: Wie kippt eine solche Verbitterung dann in irgendeinen Hass oder eine Häme ab. Aber während des Programms kann man, finde ich, so gut wie alles machen. Eisenreich: Der von mir geschätzte Tucholsky hat ja bekanntlich gesagt: Satire darf alles. Als Justizminister muss ich ergänzen: „Satire darf alles. Außer Straftaten.“ Schleich: Ja, Satire muss alles, eigentlich. Ich halte es mit Werner Finck: „Wer sich angesprochen fühlt, ist gemeint.“

Das Gespräch führte Katja Kraft

Programmhinweis

Nachdem der BR wegen des Ukraine-Kriegs Kabarettformate vom 21-Uhr-Sendeplatz am Donnerstagabend genommen hatte, laufen sie wieder zur gewohnten Zeit – „SchleichFernsehen“ das nächste Mal am 19. Mai.

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