München – Die Modewelt ist im Wandel. Die Corona-Pandemie hat Innenstädte leer gefegt, Läden gingen pleite, der Online-Handel boomte. Dazu kommt ein steigendes Umweltbewusstsein auch bei Bekleidung. Irene Schoppmeier ist Chefin der Deutschen Meisterschule für Mode in München. Ein Gespräch über neue Herausforderungen für die Modeindustrie.
Frau Schoppmeier: Wie geht es der Modebranche?
Nicht gut. Firmen, die schon vor Corona schwächelten, hat die Pandemie den Dolchstoß versetzt. Die Kunden haben viel mehr online gekauft. Unternehmen, die schon vorher einen Online-Handel hatten, kamen zurecht und haben auch profitiert. Aber das Laufgeschäft in den Fußgängerzonen hat gelitten.
Welchen Einfluss hat der Krieg in der Ukraine?
Viele östliche Staaten sind Produktionsländer, die in der Bekleidungsindustrie sehr geschätzt sind. Dort gibt es sehr gutes Fachpersonal, die Firmen liefern Produkte von hoher Qualität. Blazer werden beispielsweise in Tschechien, Rumänien und auch in der Ukraine gefertigt. Der Krieg in der Ukraine hat natürlich großen Einfluss auf Zuliefer- und Produktionsfirmen.
Ist die Branche noch dieselbe wie vor drei Jahren?
Nein, aber das kann man wohl von jeder Branche sagen.
Ein weiterer Grund ist sicher auch der Trend zu mehr Nachhaltigkeit.
Der Trend zu bewussterem Umgang mit Kleidung hat sich schon vor Corona entwickelt. „Fridays for Future“ hat den Klimawandel mehr ins Bewusstsein gerückt. Das alles trägt dazu bei, dass Firmen beispielsweise Kleidung aus zertifizierter Baumwolle anbieten und mit Siegeln wie dem „Grünen Knopf“ zusammenarbeiten.
Bemerken Sie Veränderungen beim Verbraucher?
Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist da. Ob sich das in einem Wandel niederschlägt, ist auch von der Konjunktur abhängig. Aktuell haben wir eine hohe Inflation. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Es gibt einen Punkt, an dem die Menschen keine Wahl mehr haben und Billigprodukte kaufen.
Sie sprechen von „Fast Fashion“, schneller Mode, die zum Beispiel von H&M, Zara, Mango, C&A oder Textil-Discountern wie Primark angeboten wird.
In den einschlägigen Läden gibt es ständig neue Kollektionen. Kunden tragen tütenweise die Kleidung aus den Läden – und tragen die Stücke oft nur einmal. Dann hängen die Sachen im Schrank und am Ende werden sie weggeschmissen. Das ist doch Wahnsinn.
Was konkret ärgert Sie?
Dass das Bewusstsein für Kleidung verloren gegangen ist. Wo lernt man noch, wie man näht, häkelt oder stopft? Wer das nicht lernt, weiß auch nicht, wie schwierig es ist, einen Reißverschluss einzunähen. Es geht darum, Kleidung länger zu tragen und wieder mehr Bewusstsein dafür zu entwickeln.
Müsste Billigkleidung verboten werden?
Nein, ich bin generell gegen Verbote. Wenn Firmen auf ihrem Ramsch sitzen bleiben, dann reguliert der Markt.
Kann man denn überhaupt bezahlbare Bekleidung fair herstellen?
Was ist bezahlbar? Ein Handy für 500 Euro kaufen sich auch viele. Das kann man sich als Beispiel nehmen und fragen, wofür man sein Geld ausgibt. Ein T-Shirt, das 50 Euro kostet, dafür aber stabil ist und fair produziert, sieht auch nach zehn Wäschen noch gut aus. Es ist auch eine Einstellungssache, was man mit seinem Geld macht.
Welches Umdenken wünschen Sie sich?
Ich würde mir wünschen, dass Menschen über ihr Outfit nachdenken, bewusst einkaufen, sich fragen, welchen Kleidungsstil sie möchten, damit der Kleiderschrank nicht ein Sammelsurium ist. Man muss nicht jedem Trend und jeder Freundin nacheifern, sondern sich einen persönlichen Stil zulegen.
Wie können Verbraucher „Greenwashing“, also nur vermeintlich nachhaltige Kleidung, erkennen?
Es gibt einen großen Dschungel an Siegeln und vermeintlich grünen Linien – da ist viel Greenwashing dabei. Das zu entlarven, fällt auch uns schwer. Es gibt aber seriöse Siegel wie das „Bluesign“ und den „Grünen Knopf“ – der aber auch nicht in der gesamten Lieferkette einwandfrei ist. Hier in München gibt es die Firma „Circular Fashion“, die Firmen, aber auch Kunden in puncto Nachhaltigkeit berät. Kunden können sich auch bei der Verbraucherzentrale informieren.
Warum ist das denn alles so kompliziert?
Die textile Lieferkette ist sehr verzweigt. Der Rohstoff kommt aus Indien, das Garn wird in Pakistan hergestellt, der Stoff wird dann in China gewebt und die Ausrüstung geht wieder nach Italien. Trotzdem ist schon viel auf den Weg gebracht worden.
Was halten Sie vom neuen Lieferkettengesetz zum Schutz von Umwelt und Arbeitnehmern weltweit?
Es diszipliniert die Hersteller. Der Gesetzgeber hat sie verpflichtet, nachzuweisen, dass hinter den Produkten keine Kinderarbeit steckt und Menschenrechte in der gesamten Lieferkette geachtet werden. Das Gesetz schafft Transparenz, die Einhaltung wird auch kontrolliert.
Was müssten Hersteller verändern, um fairer und nachhaltiger zu werden?
Der Hersteller ist zunächst an Umsatz und Gewinn interessiert und das ist auch in Ordnung. Wenn die gesellschaftliche Nachfrage und das Bewusstsein da sind, werden Firmen ihr Marketing darauf abstimmen. Das haben sie ja zum Teil auch schon. Aber Wandel funktioniert nicht von heute auf morgen.
Wie sehr ist Nachhaltigkeit Thema an Ihrer Schule?
Nachhaltigkeit ist ein großes Thema – die Modeindustrie war deswegen schon immer in den Schlagzeilen. In unseren Lehrplänen ist Nachhaltigkeit schon lange verankert. Wir haben Recyclingprojekte, ein Lager, wo wir überschüssige Stoffe einkaufen und einlagern. An der Meisterschule werden Maßschneider ausgebildet, die dann später langlebige Produkte herstellen. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist bei den Schülern da.
„Secondhand“ – ist das wieder im Kommen?
Das war noch nie out. Secondhand ist besonders bei hochwertigen Textilien im Trend. Als der Fundus von Hannelore Elsner versteigert wurde, war der Andrang riesig. Sie hatte Kleidungsstücke von französischen Designern. Ob das jetzt maßgeblich zum ökologischen Fußabdruck beiträgt, bezweifle ich aber.
Ab 2025 müssen Kommunen gemäß dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz Altkleider sortenrein sammeln. Geht das denn?
Sie haben sicher eine Jeans. Die ist so toll, weil sie auch nach zehn Wäschen noch gut sitzt. Das macht das Elastan im Stoff, ein Polyurethan-Faden, um den ein Baumwollfaden gesponnen wird. Wie soll man das im Altkleiderrecycling trennen? Würde man ohne Elastan produzieren, ist die Jeans auch nicht mehr so bequem. Andererseits kann man auf wilde Mischungen verzichten. Bei einem Pullover kann man sich fragen, ob das Polyester dort Sinn macht oder nur beigefügt ist, weil es billiger ist. Hier könnte man auch den Pullover aus 100 Prozent Baumwolle kaufen.
Geht das bei allen Kleidungsstücken?
Nein. Gerade Funktionskleidung besteht aus verschiedenen Stoffen, die etwa die Jacke wind- und wasserdicht machen. Das zu recyceln, ist schwierig. Manche Hersteller nehmen ihre Kleidung wieder zurück, um sie zu recyceln. Aber da gibt es noch keine perfekten Lösungen. Mikrofaser oder laminierte Stoffe sind unabdingbar für Funktionskleidung, für Sport- und Motorradkleidung – oder auch für Feuerwehrkleidung.
Welchen Modetrend gibt es im Sommer 2022?
Modetrends, wie wir sie früher hatten, gibt es nicht mehr. Natürlich gibt es ein breites Angebot, aber was angenommen wird, entscheidet der Kunde. Trend ist, was gefällt, und der Trend, sich bewusster mit der Kleidung zu beschäftigen, den wünsche ich mir natürlich.
Interview: Alexandra Pöhler