„Die Menschen brauchen Hoffnung“

von Redaktion

INTERVIEW Der CSU-Chef über seine Lehren aus Corona und die Sorge vor einem neuen Weltkrieg

Nach zwei düsteren Corona-Jahren jetzt ein Krieg in Europa mit schweren Folgen für Wirtschaft und Energie: Die Politik jagt von Krise zu Krise. Es sind nachdenklichere Interviews in diesen Zeiten mit Politikern. Auch mit Markus Söder. Der CSU-Chef und Ministerpräsident spricht beim Redaktionsbesuch lang über die Verwerfungen nach der Pandemie-Politik. Und über seine Konzepte, um Bayern vom russischen Gas zu entwöhnen. Trotzdem ist seine Botschaft: Wir brauchen auch Raum für Lebensfreude.

Kann sich ein CSU-Chef über 38 Prozent in einer Umfrage ernstlich freuen?

Umfragen sind Momentaufnahmen. Natürlich ist es gut, wenn sie steigen. Die Werte sind zwar seit der Bundestagswahl deutlich besser geworden, aber noch kein Hinweis auf eine Landtagswahl. Denn wir leben in außergewöhnlichen Zeiten und die Menschen sind tief verunsichert – zwei Jahre Pandemie und jetzt ein Krieg mitten in Europa nehmen die Menschen sehr mit. Die Aufgabe ist, unser Land gut durch diese schwere Zeit zu steuern.

Ihre Stimme klingt rau – gibt’s doch noch Corona-Nachwirkungen?

Zum Glück nur ein bisschen Heuschnupfen – wie jedes Jahr um diese Zeit.

Bei Ihrer Partei sind die Nachwirkungen härter: schwere Verwerfungen in der Wählerschaft. Wie wollen Sie das je heilen?

Natürlich gab es auch Fehler und Verwundungen. Aber wir haben es in Bayern besser überstanden als andere. Nach Schätzungen des Landesamts für Gesundheit haben wir über 130 000 Leben gerettet. Was für einen größeren Lohn kann es geben?

Es sah mitunter nach einem Schlingerkurs aus.

Die Staatsregierung hat immer nach Lage und Situation angepasst und angemessen entschieden. Als bei der Delta-Variante im Dezember gerade die oberbayerischen Krankenhäuser überfüllt waren, mussten wir vorsichtiger handeln. Wir haben dann aber auch, als die Bedrohung durch Omikron erkennbar weniger belastend war, bewusst freiheitlicher reagiert und mit als Erste den Weg der Öffnungen vorsichtig begonnen. Der Bund hat alle Regeln abgeschafft und Corona quasi privatisiert. Wer mag, kann aber trotzdem guten Gewissens zum Frühlingsfest in München oder zum Georgiritt in Traunstein gehen.

Ja, wir sehen es an den Fotos: Der strenge Söder ist ein Feierbiest geworden.

Nein. Aber ich spüre die Sehnsucht der Menschen nach Lebensfreude. Wir alle müssen wieder Kraft tanken. Und wir als CSU leben wieder unser Leitmotiv, näher am Menschen zu sein. Aber ich weiß auch: Wir müssen noch manches aus diesen zwei Jahren heilen und versöhnen.

Corona ist vorbei?

Corona ist nach wie vor da, aber derzeit nicht mehr so gefährlich wie früher. Deshalb sind auch die Infektionszahlen weniger relevant geworden. Es gibt eine Zahl, auf die es ankommt: die Belastung in den Krankenhäusern. Die ist momentan sehr stabil.

Sie werden also auch beim Oktoberfest die erste Mass entgegennehmen?

Wenn es stattfindet, auf jeden Fall. Ich freue mich auf die erste Mass.

Sie sind für die Wiesn 2022?

Das bleibt eine Entscheidung der Stadt. Aus juristischer Sicht gibt es keinen Grund, die Wiesn zu verweigern. Das Oktoberfest wäre auch menschlich und mental wichtig. Eine dritte Absage in Folge wäre eine schwere Herausforderung für alle Beteiligten. Natürlich ist jedes Fest zurzeit eine Gratwanderung, auch wegen der Lage in der Ukraine. Mein Gefühl ist, dass die Menschen Hoffnung brauchen. Wir sollten ihnen diesen Moment des Verschnaufens und die Lebensfreude nicht verwehren.

Haben Sie über eine Hotspot-Wiesn nachgedacht: Nur für Geimpfte? Nur ein Haushalt pro Biertisch?

Das geht nicht. Der Bund hat entschieden, einen anderen Weg bei Corona zu beschreiten: statt kollektiver Sicherheit eine Individualisierung des Risikos. Das heißt: Es gibt keine Maßnahmen mehr. Mecklenburg-Vorpommern hat versucht, das ganze Land als Hotspot auszuweisen, und ist vor Gericht krachend gescheitert. So haben wir es vorhergesagt. Jetzt muss sich jeder selbst mit Impfstoff und Maske schützen und entscheiden, ob und welche Veranstaltung er besucht. Das steht jedem frei.

Wir müssen über die Ukraine reden. Sie haben bei Russland und den Waffenlieferungen einen anderen Ton als CDU-Chef Merz. Sorgen Sie sich, dass wir in einen Krieg reingezogen werden?

Wir müssen der Ukraine helfen. Das geht am besten und schnellsten mit Waffen. Mich wundert trotzdem die Euphorie, mit der manche über immer größere Waffenlieferungen sprechen und sich womöglich in einen Krieg hineinreden. Die Grünen waren früher als Pazifisten bei jedem Ostermarsch dabei, jetzt würden sie am liebsten Militärparaden abhalten. Gerade Anton Hofreiter entwickelt sich plötzlich zu einem Experten für Panzer, Granaten und Kanonen. Das sind mir zu schnell zu viele Sprünge in zu kurzer Zeit. Ich halte die Entscheidung des Bundestags für richtig, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht Stück für Stück selbst Kriegspartei werden – bei aller notwendigen Unterstützung für die Ukraine.

Die Gepard-Panzer-Lieferung tragen Sie mit?

Der Bundestag hat es so beschlossen. Aber jetzt reden die Nächsten schon über weitere Leopard-Panzer-Lieferungen. Bei dieser Spirale habe ich kein gutes Gefühl.

Halten Sie die Drohung mit einem Weltkrieg, mit Atomwaffen, für real?

Ich hätte nicht gedacht, dass Putin diesen Krieg beginnt und diese Kriegsverbrechen in der Ukraine begeht. Deshalb kann man auch jetzt nichts mehr ausschließen. Wir sind für konsequenten Schutz der Nato, die Stärkung der Bundeswehr und die Hilfe für die Ukraine. Aber wir sollten alles bedenken und abwägen.

Wir sind abhängig von Russlands Gas. Den ersten Ländern wird schon der Hahn abgedreht. Was tun Sie, um Bayern endlich unabhängiger zu machen?

Nach jetzigem Stand kann es passieren, dass über Nacht der Zufluss endet. Das könnte bedeuten, dass viele Unternehmen schnell zum Stillstand kämen oder private Heizungen abgestellt würden. Dann sind viele Millionen Arbeitsplätze und Wohnungen betroffen und gefährdet. Gleichzeitig sind viele Menschen von den extrem steigenden Preisen für Sprit, Energie und Lebensmittel belastet. Für die Mitte der Gesellschaft bedeutet das: Abstiegsängste und enorme Alltagssorgen. Darauf braucht die Politik Antworten. „Frieren für den Frieden“ – also weniger Heizen oder vielleicht ein dickerer Pulli –, das kann wohl kaum die Lösung für ein modernes, innovatives, soziales Land sein. Wir müssen uns um die Normalverdiener und Familien kümmern, die Sorge haben, wie sie finanziell durch diese Zeit kommen. Sie brauchen Entlastungen. Das gilt übrigens besonders auch für Rentner und Studenten.

Also? Was tun?

Es braucht eine größere Entlastung als bisher mit massiven Senkungen der hohen Energiesteuern. Unsere europäischen Nachbarn können das auch. Warum nicht Deutschland? Für Bayern haben wir zudem ein Energiekonzept entwickelt, um die Versorgung zu verbessern. Erstens: Die Kernkraft verlängern, um für Millionen Haushalte den Strom zu sichern. Abschalten vergrößert die Energielücke. Zweitens: Die Stromtrassen müssen vorankommen. Bisher sind nur vier Prozent der geplanten Leitungen gebaut. Die zuständigen Minister Robert Habeck und Hubert Aiwanger müssen schneller planen und bauen. Drittens: Erneuerbare Energien massiv ausbauen – gerade mit den Stärken, die Bayern hat. Wir werden die Sonnenenergie massiv erhöhen mit Solarparks, Solarpflicht auf allen staatlichen Dächern und auf P&R-Plätzen. Wir wollen die Wasserkraft steigern und wehren uns, dass die Grünen in Berlin kleinere Kraftwerke de facto abschaffen wollen.

Ist Ihnen wohl mit deutlich mehr Windkraft?

Natürlich brauchen wir mehr Wind. Aber mit den Bürgern und nicht gegen sie. Wir haben als CSU jetzt bei 10H einen Durchbruch erzielt, mit dem wir 800 neue Windräder erreichen können. Klar ist aber: Es müssen Abstandsregeln gelten und die Planungsverbände sollen über die Windgebiete entscheiden. Die Grünen wollen 10H komplett abschaffen und keine Regeln für den Windausbau mehr. Damit droht ein Wind-Schock für Oberbayern. Danach könnten Investoren überall Windparks im Oberland planen. Auch wir wollen und werden mehr Windkraft erreichen. Aber geordnet und mit Vernunft. Wir wollen nicht wie die Grünen, dass über Nacht unsere Heimat im Alpenvorraum ihren einzigartigen Charakter verliert.

Zusammengefasst von Christian Deutschländer

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