VIER FRAGEN AN
Norbert Göttler ist der Bezirksheimatpfleger von Oberbayern. Dass am ersten Mai endlich wieder Maibäume aufgestellt werden, hält der 62-Jährige für ein wichtiges Zeichen – gegen die schleichende „Verbiedermeierung“ der Gesellschaft.
Es gibt Orte, die seit sechs Jahren ohne Maibaum sind. Gab es so ein Aufstell-Tief schon mal?
Wann ein Maibaum aufgestellt wird, ist kein Dogma. Schon früher wurden in Krisenzeiten keine aufgestellt. Im Zweiten Weltkrieg war das wohl zuletzt der Fall. Wenn nach einer solchen Zeit aber wieder ein Maibaum aufgestellt wird, ist das etwas Besonderes. Für die Menschen steht er dann für Aufbruch und Wiedererwachen nach harten Zeiten. Seit jeher ist ein Maibaum ja auch Frühlingsbote.
Was symbolisiert der Maibaum heuer noch?
Der Maibaum stärkt die Gemeinschaft im Dorf. Alle sollen zusammenkommen und -helfen. Und alle Feste, die jetzt wieder starten, zeigen: Es rührt sich wieder was, wir trauen uns raus – auch mit engem Körperkontakt, wie es eben beim traditionellen Maibaum-Aufstellen per Hand der Fall ist. Viele Orte bestehen ja auf der Muskelkraft ihrer jungen Männer und der langen, mühsamen Arbeit mit Stangen und Scheren. Aber auch das stärkt eben die Gemeinschaft. Und auf so einem Fest gibt es ja auch das ein oder andere Techtelmechtel – damals wie heute (lacht).
Aufgestellt wird erst zum Schluss, aber auch davor gibt es viel zu tun…
Vor dem feierlichen Aufstellen gibt es eine ganze Reihe an Ritualen. Maibäume werden nicht gekauft, sondern von Waldbesitzern gestiftet. Ist der Baum eingeholt, beginnt das gemeinsame Bearbeiten, Schmücken und Bewachen. Das Stehlen ist Teil des Brauchs, sollte aber nicht die zentrale Rolle spielen und schon gar nicht böses Blut wecken. Wer beim nächtlichen Klau erfolgreich war, sollte vom Verein zum Fest eingeladen werden und mitfeiern dürfen. Das Auslösen muss dann nicht übertrieben werden.
Lockt ein Maibaum auch notorische Stubenhocker nach draußen?
Man kennt das aus vorherigen Jahrhunderten: Nach großen Umbrüchen ziehen sich Menschen aus der Gesellschaft ins Private zurück. Die Pandemie ist noch nicht vorbei und so gibt es diese Sorge auch momentan – Verbiedermeierung der Gesellschaft nenne ich das. Der erste Mai könnte eine Chance sein und diesem Trend entgegenwirken. Der Maibaum zeigt: Es gibt wieder ein öffentliches Leben. Nicht nur für Vereine, auch für Künstler und Handwerker, für jeden im Ort.
Interview: Cornelia Schramm