Berlin – Die Beleidigung mit der Wurst kommt mitten in der Nacht. Am Dienstag um 3.01 Uhr morgens verbreitet die Nachrichtenagentur dpa wieder ein sehr hartes Zitat des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk. Der undiplomatische Diplomat ärgert sich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz nach wie vor nicht in die Ukraine reisen mag. Und sagt: „Eine beleidigte Leberwurst zu spielen, klingt nicht sehr staatsmännisch. Es geht um den brutalsten Vernichtungskrieg seit dem Nazi-Überfall auf die Ukraine. Es ist kein Kindergarten.“
In Berlin sorgt das für Aufregung. Wegen der Vorgeschichte. Und wegen des Tonfalls. Es gibt ja seit Wochen Debatten, ob der Kanzler in Kiew auftreten sollte, als Symbol der Unterstützung. Scholz lehnt das bisher ab. Eine offizielle Begründung reichte er am Dienstagabend in einem ZDF-Interview nach: Die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die Ukraine stehe seiner Reise im Weg. Steinmeier wollte Mitte April eigentlich mit den Staatschefs von Polen, Lettland, Estland und Litauen nach Kiew fahren, erhielt aber kurzfristig eine Absage. Scholz klagte dazu im ZDF: „Es kann nicht funktionieren, dass man von einem Land, das so viel militärische Hilfe, so viel finanzielle Hilfe leistet, das gebraucht wird (…) dass man dann sagt, der Präsident kann aber nicht kommen.“
Ob Scholz fahren sollte oder nicht, darüber gibt es in Berlin unterschiedliche Ansichten. In der Union wird er als zögerlich kritisiert. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) trat gestern demonstrativ in Kiew auf. Vom Koalitionspartner FDP erhält der Kanzler hingegen Rückendeckung. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) sagt, die Ukraine habe Steinmeier ausgeladen und könne nun nicht erwarten, dass der Bundeskanzler nach Kiew reise. „Vielleicht, lieber Herr Melnyk, entschuldigt man sich einfach mal beim Präsidenten und lädt dann den Kanzler höflich ein zu kommen.“ Noch deutlicher wird der streitbare FDP-Vize Wolfgang Kubicki: „Olaf Scholz ist keine Wurst, er ist der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Dies gilt es zu respektieren.“
Womit man beim Ton des Botschafters angelangt ist. Melnyk schießt schon seit Wochen gegen die Bundesregierung und deutsche Politiker. Im Fokus seiner Kritik: das Zögern bei den Waffenlieferungen, aber auch die Russland-Politik der SPD. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) warf er wegen ihrer Unterstützung der Pipeline Nord Stream 2 „Heuchelei“ vor, der Bundesregierung Feigheit und Versagen. Einen ehemaligen SPD-Staatsminister nannte er mal „Arschloch“. Die Wahl seiner Worte kommt nicht immer gut an. „Melnyks Vorwürfe sind in der Wortwahl und inhaltlich maßlos überzogen“, sagte SPD-Vorsitzende Saskia Esken bereits Ende April.
In der SPD wird darauf verwiesen, dass die deutsche Seite sehr wohl viel für die Ukraine tue. Seit Kriegsbeginn hat der Bund Rüstungsgüter im Wert von mindestens 191,9 Millionen Euro geliefert, geht aus Daten des Wirtschaftsministeriums hervor: Kriegswaffen für 120,5 Millionen Euro und sonstige Rüstungsgüter für 71,4 Millionen Euro. Scholz betont allerdings: „Mein Kurs ist schon, dass wir besonnen und mit klarem Verstand handeln.“ Viele Deutsche machten sich Sorgen, dass es eine sehr weitreichende Eskalation des Krieges gebe.
Wird Scholz nun doch reisen? Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte am Dienstag, er gehe davon aus, dass in Kürze auch ein Mitglied der Bundesregierung in die Ukraine reisen werde. Melnyk erklärte, sein Präsident Selenskyj würde sich weiterhin freuen, den Kanzler in Kiew zu empfangen. Er fügte aber hinzu: „Worauf sich die Ukraine viel mehr als auf alle symbolischen Besuche freuen würde, ist, dass die Ampel-Regierung den Antrag des Bundestages über die Lieferung von schweren Waffen zügig umsetzen wird und die bisherigen Zusagen erfüllt.“ Er moniert, dass für die versprochenen Gepard-Flugabwehrpanzer noch immer keine Munition gefunden worden sei. mm