Kiew – Auch am 76. Kriegstag gingen die russischen Angriffe vor allem in der Ostukraine weiter. Prorussische Separatisten drangen nach Militärangaben aus Moskau bis an die Verwaltungsgrenzen des Gebiets Luhansk vor. Dieses Gebiet komplett der ukrainischen Kontrolle zu entziehen, ist eines der erklärten Ziele Russlands.
Die Kleinstadt Popasna, die bis vor Kurzem noch schwer umkämpft war, sei nun „gesäubert“ von ukrainischen „Nationalisten“, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow. Der Luhansker Gouverneur Serhij Hajdaj bezeichnete diese Aussagen hingegen als „Fantasie“. Die ukrainischen Soldaten hätten sich zwar aus Popasna zurückziehen müssen, aber die Russen hätten die Verteidigung keinesfalls durchbrochen, schrieb er im Nachrichtendienst Telegram.
Nach russischen Angaben wurden in der Nacht zu Dienstag in verschiedenen Teilen der Ukraine insgesamt mehr als 400 Ziele mit Raketen und Artillerie angegriffen. Von unabhängiger Seite waren diese Angaben nicht überprüfbar.
Auch die Kämpfe um das Werk Asovstal in Mariupol gingen weiter – nach ukrainischen Angaben mit schwerem Beschuss. Die ganze Nacht lang sei das Gelände aus der Luft angegriffen worden, sagte der Vizekommandeur des Asow-Regiments, Swjatoslaw Palamar, der Zeitung „Ukrajinska Prawda“. Es gebe viele Schwerverletzte. Sie müssten dringend in Sicherheit gebracht werden. Auf dem großräumigen Stahlwerksgelände harren nach ukrainischen Angaben immer noch etwa 100 Zivilisten aus. Außerdem haben sich weiterhin viele ukrainische Kämpfer dort verschanzt. Russland spricht von etwa 2000 ukrainischen und ausländischen Kämpfern.
Der hohe ukrainische Geistliche Onufrij appellierte an Kremlchef Wladimir Putin, eine Rettung der Menschen aus dem Stahlwerk zu ermöglichen. Putin solle sich wie ein Christ verhalten und die eingekesselten Zivilisten, die Kämpfer und Sicherheitskräfte auf von der Ukraine kontrolliertes Gebiet oder in Drittstaaten fliehen lassen. Ein vom Kreml gewähltes Vermittlerland könne die Mission führen, sagte der Vorsteher der größten ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.
Der Geistliche bat Putin, der selbst der russisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats angehört, sich an seine Eltern zu erinnern, die einst in der von der deutschen Wehrmacht belagerten Stadt Leningrad (heute St. Petersburg) um ihr Leben gekämpft hätten. Nach Einschätzung der UN-Menschenrechtsbeauftragten Matilda Bogner sind bei den Kämpfen um Mariupol bisher tausende Menschen ums Leben gekommen. dpa