Wie der Bauer zum Schmied wurde

von Redaktion

Wer neu in ein Dorf zog, brachte seinen Namen mit – oder bekam einen verpasst. Ein Gastbeitrag von Oliver Ultsch

VON OLIVER ULTSCH

München – Sie haben einen Nachnamen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, weshalb sie gerade so heißen, wie Sie heißen, und nicht anders?

Unsere Familiennamen entstanden einst aus den Vornamen der Väter. Aus Berufen. Aus objektiven und subjektiven Eigenschaften. Inklusive zahlreicher Spottnamen. Denn die Leute damals hatten reichlich Humor. Oder waren zugegebenermaßen recht gehässig. Außerdem entstanden die Namen aus dem Ort und der Umgebung, an dem das Haus des Bezeichneten stand. Oder wie es aussah. Und auch aus der Herkunft des Namensträgers.

Man möge meinen, dass dies mit einigen tausend Nachnamen abgetan sei. Weit gefehlt. Jede Sprache hatte ihre Feinheiten, jede Mundart ihre Eigenheiten. Noch heute leben wir ja quasi in einem Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen Bräuchen, Vorgeschichten und unabhängig voneinander entstandenen Dialekten. Daher gibt es rund 900 000 Nachnamen bei 82 Millionen Einwohnern – eine kaum zu erwartende Vielfalt.

In loser Folge werden ich Ihnen ab sofort in dieser Zeitung so einiges zu unseren Namen erzählen. Speziell zu denen, die im Oberbayerischen auffällig sind. Denn: Jeder Landstrich hat seine typischen Namen, die 50 Kilometer entfernt gar nicht vorkommen. Wo die Daten herkommen? Vom Einwohnermeldeamt erhält man keine Informationen. Und ins Telefonbuch lassen sich immer weniger Leute eintragen. Daher sind der Stand aller Daten die Telefonbucheinträge aus 2004 – da war das alles noch recht unverfälscht und übersichtlich. Man kann auf dieser Grundlage recht zuverlässig sagen, wo sich welcher Name konzentriert. Als Quelle für alle Fakten sind der Deutsche Familiennamenatlas, das Digitale Familiennamenwörterbuch, www.deutsche-nachnamen.de, www.geogen.stoepel.net sowie viele weitere Bücher und Internetforen zur Namenskunde zu nennen, die allesamt verdichtet wurden. Dennoch habe ich natürlich nicht den Anspruch auf die einzig wahre Deutung.

Als Erstes wagen wir gemeinsam einen Blick zurück in längst vergangene Zeiten: Die Stadtschreiber und Gelehrten fingen vor rund 1000 Jahren an, Listen zu führen. Mit Grundbüchern und Steuerregistern ging es los. Gerichtsurteile, Geburten, Hochzeiten, Sterbefälle folgten. So verstrichen oftmals ein oder gar zwei Jahrhunderte, bis ein Mensch mitbekam, wie seine Familie überhaupt bezeichnet wurde. Den Namensgeber, der sein eigener Vorfahre war, kannte er meist gar nicht mehr. Wenn einer neu in das Dorf zog, brachte er seinen Namen mit – oder bekam einen verpasst. Nach den bereits genannten Kriterien. Aber wie stellt man sich das nun genau vor?

Zu Beginn hatte jeder nur einen Vornamen. Mit der Zeit waren selbige immer schwerer zuzuordnen. Da kam nun der Sohn des Friedrich, ein Thomas, auf die Welt. Den Namen Thomas gab es jedoch bereits im Dorf. So wurde unterschieden: Thomas Friedrichs Sohn und Thomas Conrads Sohn. Und im Handumdrehen waren indirekt die allerersten Nachnamen entstanden. Großes Aufatmen allenthalben. Da es zu jener Zeit nur wenige Vornamen gab, war das Problem zwar nicht aus der Welt geschaffen, aber zumindest für zwei, drei Generationen vertagt.

Wenn es dann mehrere Thomas Friedrich gab, wurde Stufe zwei gezündet: Der eine war der Sohn des Schmieds, der andere der Zögling des Bauern. Also blieb der eine Thomas Friedrich, der andere wurde zu Thomas Schmied, da es mehr Bauern im Dorf gab. Beim nächsten Bauernspross mit dem Vornamen Thomas wurde der Bub dann Bauer genannt, da dieser Nachname noch frei war. Und der Nächste hieß dann vielleicht Kalb – weil auf dessen Hof gerade ein junges Rind zur Welt gekommen war. Alle anderen Varianten entstanden nach dem gleichen Prinzip. Die Größe der Ortschaften nahm immer weiter zu und wurde so kompensiert – ein entsprechendes System resultierte daraus, aus dem die Namen mit der Zeit entstanden.

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