Oberau – Zwei Druckknopfampeln sind wahrscheinlich die meist verhassten Lichtverkehrszeichen Bayerns. Die Ampeln stehen in Oberau. Einheimische nutzen sie, wenn sie zum Bäcker wollen oder zum Bahnhof. Denn einfach so über die Bundesstraße zu hasten, das kann am Wochenende lebensgefährlich sein in dem 3000-Einwohner-Dorf an der Loisach – dort, wo Oberbayern am schönsten ist. Oder sein könnte.
Bis zu 45 000 Fahrzeuge am Tag rollen durch den Ort. Es geht die Mär, an manchen Tagen drückten die Einheimischen mutwillig auf den Ampelknopf, um die Autofahrer ein bisschen zu ärgern und den Durchgangsverkehr auszubremsen. Bürgermeister Peter Imminger dementiert das entschieden. Das Gegenteil sei richtig: Die Ampeln sind digital – und lassen sich bei viel Verkehr Zeit. Bei Staugefahr stehe der Oberauer mitunter fünf, sechs Minuten, bis das grüne Ampelmännchen aufleuchte – und der Verkehr bremsen muss. Dann aber stehen die Autos in Oberau Stoßstange an Stoßstange. Der Stau reicht am Vormittag über die Bundesstraße hinaus meist bis zum Autobahnende der A95. Ab spätnachmittags staut es sich in der Gegenrichtung – bis zum Farchanter Tunnel. Man kennt das ja von den Durchsagen im Radio.
Damit soll nun Schluss ein. Ab kommenden Donnerstag, 26. Mai, ist Party in Oberau. Festakt (seltsamerweise noch Corona-beschränkt mit 250 Festgästen), dann ein Bürgerfest, später dürfen Fußgänger und Radler die beiden Röhren erkunden. Und ab Freitag, etwa 15 Uhr, können dann die Autos durchfahren. Oberau hat diesen Tag lang herbeigesehnt. „Es gibt Grund zum Feiern“, sagt Bürgermeister Imminger. Auf etlichen Demonstrationen hat der Ort für die Umgehung gekämpft. Bis dann der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), dessen Stimmkreis bis nach Oberau ragt, Geld in die Region Werdenfels pumpte. Im Rest der Republik wird Dobrindt dafür bis heute angefeindet. In Oberau ist er ein Held. Und jetzt ist es so weit: Nach sieben Jahren Bauzeit wird künftig der Großteil des Verkehrs außenrum von zwei knapp drei Kilometer langen Röhren verschluckt.
Doch bringt der Tunnel auch was für die Tagestouristen aus München – wird man künftig schneller zur Zugspitze fahren können? Nach einer Zählung des ADAC gab es vergangenes Jahr 313 Staus zwischen Eschenlohe und Autobahnende. Insgesamt 248 Stunden standen die Autos. Können die Touristen, die einen schönen Ausflug planen, künftig durchfahren?
Dazu gibt es zwei Meinungen. Ja, betonen die Sprecher der Autobahn GmbH, einer Behörde des Bundes, die den Tunnel geplant hat. Der Verkehr werde besser fließen, schließlich gibt es in Zukunft zwei Fahrspuren je Richtung. Und keine Ampeln mehr.
Axel Doering vertritt die Gegenmeinung. Er ist mit seinen 74 Jahren ein Veteran der Umweltbewegung. Er war von Anfang an gegen den Tunnel. Am Tag der Eröffnung werde er Oberau meiden, sagt der Kreisgruppenchef des Bund Naturschutz – sich jetzt noch mit einem Protestplakat hinzustellen, „das bringt doch nichts“. Was ihn an dem Bau am meisten stört, ist nicht einmal der Tunnel an sich. Natürlich werde das Dorf vom Verkehr entlastet, sagt Doering. Doch schon die Ein- und Ausfahrten vor den Tunnelportalen seien erschreckend groß dimensioniert und quasi ein Symbol für den Größenwahn der Autobahnplaner. Für den Umweltschützer ist der Oberauer Tunnel nur ein Teilstück der Misere. Vor den noch kommenden Projekten hat er mehr Angst: „Der Auerbergtunnel wird ganz übel“, sagt er. Gemeint ist: Noch bleibt die Bundesstraße zwischen Autobahnende und Oberau ein Nadelöhr – sie ist nur zweispurig. Wenn aber erst der Auerbergtunnel ab Autobahnende fertiggestellt werde, und wenn dann noch südlich von Oberau der Kramer- und vielleicht noch der Wanktunnel gebaut seien, dann – so sagt Doering – werde das Loisachtal zur Transitroute für den Verkehr Richtung Alpen. Dann, fürchtet er, würden die Navi-Systeme umschalten und Lastwagen in Serie von der Inntal-Autobahn weg auf die A95 und weiter durch Garmisch-Partenkirchen lotsen. Man wird sehen, sagt Doering.
Für Bürgermeister Imminger ist die Geschichte ebenfalls noch nicht zu Ende, auch wenn er natürlich ganz anderer Meinung als Doering ist. Die Gemeinde hat noch Großes vor. Die Umfahrung sei ein Riesenschritt, sagt Imminger. Doch weiterhin wird die B23 vom Ettaler Berg her den Ort zerschneiden. Auch sie soll in den Berg verlegt werden. Die Planfeststellung läuft – sieben, acht Jahre wird es wohl noch dauern, meint Imminger. Erst dann sollen die B2 und die B23 entwidmet und zu Gemeindestraßen herabgestuft werden. Danach wird es richtig gemütlich im Ort, hofft der Rathauschef. Und die Touristen können durchs Dorf flanieren wie im Nachbardorf Farchant, wo schon seit Eröffnung des Tunnels im Jahr 2000 Ruhe herrscht.
Jetzt aber wird erst mal gefeiert. Auch Bürgermeister Imminger wird an der Party im Tunnel teilnehmen. „Auf dem Radl, oder, wenn ich sie noch find’, mit den Rollerblades.“