Lange Zeit schien Wirecard ein deutsches Vorzeigeunternehmen zu sein: Das einzige nennenswerte Technologie-Unternehmen neben SAP an der Börse war mit rund 20 Milliarden Euro zeitweilig mehr wert als die Deutsche Bank. Im Herbst 2018 stieg Wirecard sogar in den deutschen Leitindex DAX auf und verdrängte dort durchaus symbolträchtig die Commerzbank. Aber im Inneren des Unternehmens mit Sitz in Aschheim (Umsatz 2018: 2,02 Mrd. Euro), das sich gern als die Zukunft des digitalen Bezahlens darstellte, schlummerten fragwürdige Bilanzierungs-Praktiken, geschönte Zahlen, vorgetäuschte Kunden und Betrug. Schon 2008 wiesen Kapitalanleger auf Merkwürdigkeiten hin, aber lange Zeit gelang es Wirecard, Kritiker des Unternehmens mit juristischen Mitteln, Negativ-PR und Einschüchterung zu diskreditieren. Ab 2015 berichteten dann Dan McCrum und seine Kollegen von der Financial Times über fragwürdige Geschäftszahlen, merkwürdige Übernahmen und obskure Partner von Wirecard. Lange Zeit konnte das Unternehmen in seinem Abwehrkampf gegen Kritiker und Journalisten auch auf die deutschen Behörden zählen. Höhepunkt der behördlichen Unterstützung von Wirecard: Als die Titel im Februar 2019 abstürzten, erließ die Finanzaufsicht Bafin ein Leerverkaufsverbot. Als das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG im April 2020 das vernichtende Ergebnis seiner Sonderprüfung veröffentlichte und sich bald darauf vermeintliche Treuhandkonten über 1,9 Milliarden Euro in Luft auflösten, stellte Wirecard am 25. Juni 2020 einen Antrag auf Insolvenz. Gegen Markus Braun, den ehemaligen Vorstandsvorsitzen von Wircard, hat die Staatsanwaltschaft im März Anklage erhoben. Sein Kollege im Management, Jan Marsalek, konnte im Juni 2020 fliehen. Er wird mit Haftbefehl unter anderem wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in Milliardenhöhe und besonders schwerer Untreue gesucht und in Moskau vermutet. cl/höß