München – Die Zahl liegt frisch auf dem Tisch. Sie ist offiziell, ermittelt von der Deutschen Fußball Liga (DFL) aus den Geschäftsberichten ihrer 18 ranghöchsten Clubs. In der Bundesliga wurden in der Saison 2020/21 insgesamt 197,305 Millionen Euro an Berater bezahlt. An in der Regel Männer, die daran mitwirkten, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander fanden. Oder dass sie bestehende Vertragsverhältnisse verlängerten. Dafür wurden Provisionen fällig. Borussia Dortmund, das Meister werden wollte, lotste 32,781 Millionen Euro in die Schattenwelt der Spieleragenten. Der FC Bayern München, der Meister bleiben wollte, beteiligte sich mit 25,853 Millionen am Wohlergehen eines Berufsstandes, den er eigentlich verachtet.
„Geldgieriger Piranha“, zischte Ehrenpräsident Uli Hoeneß in Richtung von Pini Zahavi, einem bereits 78-jährigen Star der Beraterbranche, als der den Münchnern vorigen Sommer den im Verein aufgezogenen David Alaba abspenstig machte. Nun vertritt der Israeli Torjäger Robert Lewandowski und erklärt, dass für den Wunderstürmer trotz eines noch bis 2023 laufenden Vertrags „der FC Bayern Vergangenheit“ sei. Zahavi hat den Ruf, dass Spieler ihn engagieren, wenn sie einen Vereinswechsel erzwingen wollen.
Häufig reduziert sich das Bild der Berater auf diesen Ausschnitt ihres Wirkens. An diesem Image hat auch Christian Seifert mitgewirkt. Der frühere Karstadt-Manager kam als Quereinsteiger in den Fußball, von 2005 bis 2021 führte er die DFL, navigierte sie erfolgreich durch die Corona-Krise. Seifert war es, der erstmals im Jahr 2016 dafür sorgte, dass publik wurde, welche Summen in die Taschen der Berater fließen. Und er sagte, die Arbeit der Berater bestehe eigentlich nur darin, „dass sie den Mustervertrag von der DFL-Seite herunterladen“.
Früher vermittelte das Arbeitsamt
Das war eine Aussage, die bei Volker Struth umgehend die Temperatur erhöhte. Struth, 56, schaut sich am Sonntagvormittag immer die Talksendung „Doppelpass“ an, und wenn in der Runde mal wieder ein kritisches Wort gegen seine Branche gefallen ist, kann es sein, dass die Sport1-Redaktion einen spontanen Anruf bekommt und die Diskussionsteilnehmer eine Nachricht aufs Smartphone. Inzwischen ließ Struth sich dazu überreden, selbst Gast im „Doppelpass“ zu werden und sein Nähkästchen zu öffnen. Sogar ein Buch hat er geschrieben.
Struth betreibt die „Sports 360 GmbH“ in Köln, er hat 89 Klienten, und sein Betrieb ist ein Beispiel dafür, wie sich das Spielerberaterwesen entwickelt hat. In den Anfangsjahren der 1963 gegründeten Fußball-Bundesliga gab es Spieler, Trainer, Vereine, Präsidenten, Schatzmeister – und sonst niemanden.
Heinz Höher, 2019 verstorbener ehemaliger Spieler und Trainer, erinnerte sich in seiner Biografie „Spieltage“ daran, wie er als junger Mann einen Brief von einem gewissen Raymond Schwab erhielt. Der nannte sich „Spielermakler“ und bot Höher an, bei Interesse einen Kontakt etwa zu Bayern München herzustellen. Erlaubt war das nicht. Der deutsche Fußball-Bund stellte Strafanzeige wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs und des unlauteren Wettbewerbs. Das Vermittlungsmonopol auf dem deutschen Arbeitsmarkt hatte die Bundesanstalt für Arbeit.
Doch Fußballer ließen sich, als sie spürten, dass das ihre Verdienstaussichten verbesserte, von Rechtsanwälten vertreten, oder von Managertypen, die Rechtsanwälte kannten. Und so hatte der Fußball spätestens in den 1980er-Jahren seine ersten Stars der Vermittlerszene. Holger Klemme war so einer, er vertrat Rudi Völler, Andreas Brehme – und erwirkte die Anerkennung als Vermittler durch die Arbeitsbehörden. Norbert Pflippen betreute Größen von Lothar Matthäus bis Lukas Podolski.
Auf das Ticket von Volker Struths „Sports 360“ laufen Toni Kroos, Niklas Süle, Timo Werner, Dayot Upamecano, Kevin Trapp und mit Julian Nagelsmann auch ein Trainer. Ebenso stehen bei ihm Spieler aus der Profi-Mittelklasse und bessere Amateure mit kaum nennenswertem Marktwert von 100 000 Euro unter Vertrag. Seine Aufgabe sieht Struth zunächst darin, „dass meine Spieler zur richtigen Zeit am richtigen Ort Fußball spielen“. Doch das allein soll es nicht sein. Struth achtet auch auf das Image seiner Schützlinge. „Keine Dekadenz“ ist das Motto. Statt zu protzen sollen seine Leute Haltung zeigen. So sind einige von Struths Spielern, angeführt von Toni Kroos, Bestandteil einer Kampagne gegen „Hate Speech“ – prominente Fußballer sind oft Ziel von Anfeindungen im Netz.
11 723 Berater sind offiziell gemeldet
Eine Beratungsagentur muss ihren Klienten mehr bieten als Vertragsabschlüsse und Tipps für die Vermögensverwaltung. Denn der Markt ist umkämpft, weltweit. Das Portal „transfermarkt.de“ listet 8036 Beratungsfirmen in 159 Ländern, 11 723 Berater sind offiziell als solche gemeldet. Es ist alles dabei – von der Ein-Mann-Klitsche mit einem Seelenverkäufer, der afrikanische Talente in den semiprofessionellen belgischen Fußball verscherbelt, bis zu Beratern, die mit Rundum-sorglos-Paket aufwarten.
Wie Jorge Mendes (56), der Portugiese, dem Cristiano Ronaldo sein Leben anvertraut hat. Der ehemalige Discjockey und Nachtclub-Besitzer, der auch Beteiligungen an großen Vereinen halten soll, musste seinen wichtigsten Klienten aus Steuergeschichten herausholen (die er selbst mitverursacht hatte) und die außergerichtliche Einigung nach Vergewaltigungsvorwürfen einer US-Amerikanerin gegen Ronaldo auf den Weg bringen. Wer bei seinem Kunden in den Rang des wichtigsten Freundes aufsteigt, hat es wohl geschafft.
Das ist auch Mino Raiola gelungen, dem kürzlich mit 54 Jahren verstorbenen Italiener. Seine Spieler wie Erling Haaland, Zlatan Ibrahimovic oder Paul Pogba bekundeten ihre aufrichtige Trauer. Für sie war er der Lotse durchs Leben. Mario Balotelli, ein gemeinhin als schwierig geltender Spieler, rief ihn sogar an, als in seinem Haus Feuer ausbrach. Berater Raiolas Rat: „Ruf die Feuerwehr.“ Der Tipp war wohl gratis.
Ansonsten langte Raiola auch bei den eigenen Leuten hin. Sein Meisterwerk: Der Transfer des Franzosen Paul Pogba 2016 von Juventus Turin zu Manchester United. Von den 105 Millionen Euro Ablöse musste Juventus Raiola 27 Millionen überlassen, laut den „Football Leaks“-Enthüllungen des „Spiegel“ stellte Raiola Manchester 19,4 Millionen in Rechnung, Pogba selbst musste seinem Agenten, der fortan auch an seinem Gehalt prozentual beteiligt sein würde, 2,6 Millionen Gebühr bezahlen.
Ein Berater muss nicht unbedingt viele Klienten haben, sondern die oder den richtigen. So wie Maik Barthel, der zusammen mit dem Polen Cezary Kucharski die Interessen von Robert Lewandowski vertrat. Das war einträglich, Barthel konnte sich eine Villa mit Pool leisten. Die Liebe zum Zugpferd Lewandowski ist jedoch erkaltet. Zuletzt höhnte Barthel auf Twitter: „Dein ganzes Leben willst du zu Real Madrid, um später vielleicht beim FC Barcelona zu landen? Ok.“ Am nächsten Wechsel Lewandowskis wird Pini Zahavi verdienen.
Zehn Prozent mehr für Spieler ohne Berater
Doch muss das überhaupt sein, dass ein Dritter profitiert von einer Vereinbarung zweier Parteien? Ließen sich die Berater nicht einfach ausschließen, übergehen?
Joshua Kimmich hat es getan. Als dem Bayern-Star vor einem Jahr danach war, seine berufliche Zukunft zu klären, ließ er seinen langjährigen Berater Ulli Ferber außen vor, verhandelte die Vertragskonditionen selbst. Die Beraterbranche kritisierte Kimmichs Vorgehen – weil er die Aufbauarbeit seines Beraters ignorierte. Die wenigsten Spieler könnten sich dieses Modell leisten. Inzwischen gilt die Beziehung Kimmich/Ferber als beendet. Dabei hätte der Spieler wohl Assistenz benötigt, als er sich in der Impffrage verhedderte und wochenlang keinen Einfluss auf seine Außenwirkung zu nehmen wusste.
Ein Fußballfunktionär, der sich dem Spielerberaterwesen offen entgegenstellt, ist Christian Keller (43). In acht Jahren machte er den SSV Jahn Regensburg zu einem soliden Zweitligisten. Spielern, mit denen er über Verträge sprach, stellte er „zehn Prozent mehr“ in Aussicht, „wenn sie ohne Berater antreten“. Dass das nicht nur PR-Sprech war, zeigen die Geschäftszahlen der DFL. Lediglich 346 000 Euro musste der Jahn 2020/21, in Kellers letztem vollständigen Bilanzjahr, an Beraterhonoraren bezahlen – die drittgeringste Summe unter den 36 deutschen Proficlubs. Nun ist Christian Keller selbst gewechselt, in die erste Liga, zum 1. FC Köln, der laut DFL 5,834 Millionen an Agenten entrichtete. Köln spielt international, braucht mehr Spieler. Keller geht in seine erste Transferperiode.