„Der Einzelhandel hat teils aggressiv um Gastro-Beschäftigte geworben“

von Redaktion

INTERVIEW Experte erklärt, wie die Pandemie viele ermutigt hat, die Branche zu wechseln – Arbeitsbedingungen werden immer wichtiger

München – Der Mangel an Fachkräften in Bayern betrifft immer mehr Branchen. Wir sprachen mit Stefan Sauer (38), Arbeitsmarktexperte des Münchner ifo-Instituts. Sauer beobachtet, dass zum Beispiel zahlreiche Mitarbeiter aus dem Gastronomiebereich von anderen Bereichen wie dem Einzelhandel abgeworben worden sind. Die Gewinner seien Arbeitgeber, die attraktive Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung anbieten.

In welchen Branchen ist die Not besonders groß?

Früher hat man, wenn vom Fachkräftemangel geredet wurde, die IT und Ingenieure gemeint. In der Pandemie hat man dann hauptsächlich von Pflegekräften gehört. Das sind immer noch besonders betroffene Bereiche. Aber inzwischen zieht es sich quer durch die ganze Wirtschaft. Zurzeit klagen viele Dienstleistungsbereiche: Gastronomie, Telekommunikation, Verkehrsbranche, sogar Architekturbüros und Steuerberater-Firmen. In über der Hälfte der von uns befragten Unternehmen herrscht Fachkräftemangel. Verstärkter Mangel an Arbeitskräften ist aber auch bei Industrieunternehmen, Bau und Handel festzustellen.

Allein mit der Pandemie lässt sich dieses Phänomen wohl nicht erklären?

Da gibt es verschiedene Gründe in verschiedenen Bereichen. Vor allem schlägt die Bevölkerungsentwicklung zu Buche: Es gehen mehr Menschen in Rente, als nachkommen. In Corona hat es manche Branchen aber nun besonders betroffen, weil Beschäftigte in andere Bereiche abgewandert sind.

Wohin sind diese Arbeitnehmer gewechselt?

Genaue Erkenntnisse haben wir nicht. Aber zum Beispiel in der Gastronomie waren viele Mitarbeiter in Kurzarbeit oder hatten keine festen Verträge. Die haben sich dann natürlich etwas anderes gesucht. Einige Einzelhändler zum Beispiel haben zum Teil ganz aggressiv um Beschäftigte aus der Gastronomie geworben. Aber auch in die Industrie sind viele gewechselt. Da gibt es auch Jobs, die attraktiver sind – von den Arbeitszeiten und der Bezahlung.

Wie hat sich Corona auf das Verhältnis zum Arbeitsplatz ausgewirkt?

Vor allem Beschäftigte, die sich schon vor der Pandemie mit dem Gedanken beschäftigt haben, sich zu verändern, haben durch Corona den letzten Schubs bekommen. Und haben vielleicht festgestellt, dass es woanders bessere Bedingungen gibt, sei es durch mehr Homeoffice, weniger Überstunden und eine bessere Bezahlung. Corona war ein Extra-Auslöser, sich zu verändern.

Gibt es Erkenntnisse, dass Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund verstärkt zurückgegangen sind in ihre alte Heimat?

Dazu habe ich keine genauen Zahlen. Aber gerade in der Gastronomie ist es so: Arbeitnehmer, die aus einem anderen Land stammen und plötzlich ohne Job dastanden, sind

zurückgegangen – und auch nicht alle wiedergekommen. Das wird auch zu einer Verschärfung des Arbeitskräftemangels geführt haben.

Welche Branchen und welche Arbeitgeber profitieren von der Situation, dass Arbeitnehmer sich umorientieren wollen?

An einer speziellen Branche kann ich das gar nicht festmachen. Das sind Arbeitgeber, die frühzeitig gute und attraktive Arbeitsbedingungen angeboten haben. Das sind flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice-Regelungen und eine gute Bezahlung.

Interview: Claudia Möllers

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