München – Nur wenige Zentimeter trennen Anika Halbinger und Thomas Scheiner, als sie sich mit ihren Motorrädern in die Kurve legen. Wie ein Zirkel rotieren sie akkurat um den Friedensengel an der Münchner Prinzregentenstraße. Ein paar Sekunden später richten sie sich mit einem sauberen Schwung wieder auf und beschleunigen sanft auf der Geraden – vollkommen synchron, als würden sie sich gegenseitig spiegeln.
Wenn sich die beiden eine Fahrspur teilen, wirken ihre Polizeimotorräder federleicht. Nicht wie 350 Kilogramm schwere Kolosse. Auf der 136 PS starken „BMW R 1250 RT“ sind die beiden Polizisten Präzisionsprofis. Mehr als 200 Kilometer pro Stunde erreicht das Ding. Thomas Scheiner, 55, stellt die Maschine ab und zieht den Helm vom Kopf. „Die Schwierigkeit ist nicht das schnelle Fahren“, sagt er. „Im Gegenteil. Je langsamer, desto wackeliger. Und dann kommt noch der geringe Abstand zu den Kollegen dazu – da muss man gut balancieren können.“ Mit dem Krad (so nennen die Beamten Krafträder im Polizei-Jargon) ist das eine besondere Herausforderung, denn durch die Polizeiausrüstung mit Funk und Sonderausstattung wiegt die Maschine gut 70 Kilo mehr als das normale BMW-Serienmodell.
Darin haben Scheiner und Kollegin Halbinger, 45, aber schon jahrzehntelange Übung: Seit die beiden bei der Polizei sind, düsen sie immer wieder mit dem Motorrad zu Einsätzen – von der Verkehrsüberwachung bis zur Ehren-Eskorte. „Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie viele Staatsgäste ich bereits eskortiert habe“, sagt Halbinger und überlegt. „Aber zu den bekanntesten gehören sicher der Papst, die Königin von Schweden, die Königin von Dänemark, Obama und Putin.“ Scheiner fallen spontan noch Angela Merkel und Benjamin Netanjahu ein. „Eigentlich ist man bei allen Spitzenpolitikern dabei, die zu Besuch in München sind.“
Die Motorradfahrer der Polizeidienststelle an der Bad-Schachener-Straße rücken aber nicht nur im Freistaat, sondern auch deutschlandweit aus, um Staatsgäste zu eskortieren. „Das ist nicht unsere Hauptaufgabe bei der Polizei“, sagt Scheiner. Als Motorrad-Polizist wird man generell nicht immer in der Motorradstaffel eingesetzt, sondern steigt immer mal wieder bei Bedarf aufs Zweirad um. „Und ich würde schätzen, dass wir fünf bis 15 Mal im Jahr zur Ehren-Eskorte gerufen werden“, sagt der Beamte.
Nächste Woche wäre eigentlich wieder so ein Event: Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vom 26. bis 28. Juni zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau einlädt. Ob Joe Biden, Emmanuel Macron, Boris Johnson und Co. dort mit Motorrädern eskortiert werden, ist noch nicht bekannt – über den Transport der Staatsgäste wird aus Sicherheitsgründen nur wenig verraten. Nur so viel ist klar: Wenn alle Spitzenpolitiker eine eigene Eskorte bekommen sollen, wird es eng bei der Besetzung von genug Motorradpolizisten – denn je nach Stellung des Staatsgastes besteht bereits eine einzige Ehren-Eskorte aus bis zu 15 Motorrädern. So viele menschliche Puffer stehen in der Regel Staatsoberhäuptern zu, andere Politiker niedrigeren Rangs bekommen drei, fünf oder sieben Eskort-Fahrer. Die Polizei könnte Schwierigkeiten bekommen, für alle Gäste genug Motorradpolizisten zur Verfügung zu stellen, denn sie hat schon länger ein Nachwuchsproblem in ihrer Motorradstaffel.
So oder so sind Anika Halbinger und Thomas Scheiner beim G7-Gipfel aber im Einsatz: Wenn nicht in der Ehren-Eskorte, dann für andere Verkehrsmaßnahmen. Dazu gehört in der Motorradstaffel etwa das Voraus-Kradfahren. „Das kennt man zum Beispiel von Demos“, erklärt Polizeidirektor Ernst Neuner, 51, der Chef von Halbinger und Scheiner. „Das sind die Motorradfahrer, die vorneweg fahren und den Verkehr frei halten.“ Das gehöre zu den anspruchsvollsten Jobs der Motorradstaffel – und auch zu den gefährlichsten, sagt Neuner. „Die Polizisten müssen unheimlich genau und schnell fahren. Sie schmeißen sich mit hohen Geschwindigkeiten in Kreuzungen rein und fahren dazu mit nur einer Hand – die andere müssen sie hochnehmen, um den Verkehr zu sperren. Dann warten sie, bis die Kolonne an ihnen vorbei ist, und müssen schon an der nächsten Kreuzung wieder vorn an der Spitze sein.“ Mit der Straßenverkehrsordnung hat das nur wenig zu tun. „Für solche Aufgaben muss man das Motorradfahren extrem gut beherrschen“, sagt Neuner. „Das ist nichts, was ich von meinen Leuten einfach so voraussetze – jeder muss selbst wissen, ob er dieses Risiko eingeht.“
Unfälle seien nicht ausgeschlossen, es könne immer mal wieder was passieren – etwa wenn Autofahrer plötzlich die Tür öffnen, während ein Motorradpolizist eng an ihnen vorbeirauscht. „Es gab auch schon Stürze, die gingen zwar meist glimpflich aus – aber ich habe auch Kollegen, die nicht mehr aufs Motorrad steigen, weil sie sagen: Das tue ich mir nicht mehr an.“
Wer zur Motorradstaffel gehören will, braucht nicht nur einen Führerschein, meint Neuner. Idealerweise sollen seine Leute schon vor ihrer Ausbildung leidenschaftliche Motorradfahrer gewesen sein – und auch bei Regen und Schneefall auf die Maschine steigen. „Man braucht sehr viel Leidensfähigkeit, Herzblut, und man muss ein bisschen verrückt sein, damit man diese Herausforderung annimmt“, sagt Neuner. „Wenn das alles zusammenpasst, ist man ein Riesengewinn für die Polizei.“ Denn das Motorrad ist eines der flexibelsten Einsatzmittel der Beamten: Es kommt schnell an Engstellen vorbei und ersetzt Neuner in der Regel zehn Beamte, die er sonst stationär an eine Kreuzung stellen müsste. „Das ist nur ein Job für die Besten“, sagt der Polizeidirektor.
Halbinger und Scheiner gehören zu den Besten. Sie hat 1995 mit dem Motorradfahren begonnen, er in den 80er-Jahren. „Wir mussten bei der Polizei jede Menge üben, bevor wir auf Einsätze geschickt wurden, sagt Anika Halbinger. „Langsamfahrparcours, enge Slaloms, scharfe Wendebewegungen.“ Bei der Motorradstaffel gebe es sogar Beamte, die ihre Geschicklichkeitsübungen so perfektionieren, dass sie zirkusreif sind. „Da gibt es Kollegen, die alleine mehrere Motorräder fahren können – oder auch fünf, die gleichzeitig auf einem Motorrad sitzen“, sagt sie. Ganz so viel Talent wird von ihr und Scheiner beim G7-Gipfel wohl nicht gefordert.