München – Besser sehen, die Gehirnfunktion steigern, Schmerzen und Stress verringern. Sogar von einer Anti-HIV-Wirkung, dem Lindern von Diabetes und dem Tod von Krebszellen ist die Rede. All das – und noch viel mehr – in einem Produkt! Angeblich jedenfalls. Wer im Internet nach „Superfoods“ sucht, stößt auf Angaben wie diese über einen Tee. Ein paar Klicks weiter: Ein Online-Shop preist 250 Gramm leuchtend grünes Gerstengraspulver für knapp 26 Euro an, das „mit der Blume des Lebens energetisiert“ worden sei. Was das bedeuten soll, wird nicht weiter erläutert.
Superfoods – was ist das überhaupt? Seit einigen Jahren werden verschiedenste Produkte so bezeichnet, nicht selten verbunden mit angeblich besonders guten Eigenschaften. Und tatsächlich sieht laut einer Umfrage rund jeder zweite Deutsche Superfoods als Teil gesundheitsbewusster Ernährung.
Seltener geht es um frische und tatsächlich gesunde Waren – denen dann aber gerne nicht vorhandene Zusatznutzen angedichtet werden, zum Beispiel der Goji-Beere, die als Anti-Aging-Sensation gilt. Öfter handelt es sich um Pulver, Konzentrate oder andere haltbare Produkte. Fitter und gesünder mit Pulver aus exotischen Wurzeln, Smoothies oder Algen-Riegeln – „Superfoods“ werden mit allerlei Vorzügen beworben.
Gesund oder riskant – das hängt vom einzelnen Produkt ab
Aber sind Superfoods nun gesund oder riskant? Die eine klare Antwort darauf gibt es nicht. Schon, weil es kein geschützter Begriff ist. Jeder darf Lebensmittel als Superfood anpreisen. Erfunden haben soll ihn ein Autor aus den USA, um sein Buch besser zu verkaufen. Gesunde Naturprodukte wie Avocados oder Heidelbeeren werden so zum Superfood. Aber eben auch bedenkliche Produkte.
Der Lebensmittelverband Deutschland stellt auf Anfrage klar: Superfood sei weder ein rechtlich definierter Begriff noch umfasse diese Bezeichnung Aussagen zur Gesundheitswirkung von Lebensmitteln. „Es ist ein reiner Marketingbegriff.“ Unabhängig davon müssten Superfoods alle rechtlichen Standards wie andere Lebensmittel erfüllen – sonst dürften sie nicht verkauft werden.
Peter Nick, Zellbiologie-Professor am „Karlsruhe Institut für Technologie“ (KIT), ist allerdings auf Produkte gestoßen, die er nicht für sicher hält. „Superfoods kommen in der Regel aus relativ exotischem Umfeld, wo sie in ein traditionelles Ernährungssystem eingebunden sind, teils auch in ein Heilsystem wie Ayurveda oder traditionelle chinesische Medizin.“ Mit dem Export aus der Nische auf einen globalen Markt falle viel Wissen etwa zu Botanik und Dosierung weg – da fingen die Probleme an.
Teils reichen die Mengen regional angebauter Pflanzen nicht für die Nachfrage in Industrieländern, sagt Nick. Das könne zu (Ver-)Fälschungen führen: billigere Ware, vertrieben unter dem Namen des echten Produkts. Unter dem Begriff „Chia“ werden Nick zufolge mindestens acht verschiedene Arten ölhaltiger Samen gehandelt. Für den Endverbraucher sei dies nicht zu durchschauen.
„Firmen und Verbraucher sollten skeptischer sein, Importeure ihre Rohmaterialien prüfen“, fordert Nick. Für traditionell gebräuchliche Produkte gebe es oft umgangssprachliche Bezeichnungen, aber keine einheitlich wissenschaftlichen Namen, was Verwirrung stiften könne. Um dies aufzulösen, arbeitet Nicks Team ähnlich wie die Polizei auf Verbrechersuche: Die Forscher lesen den genetischen Fingerabdruck von Pflanzen aus und gleichen das Ergebnis mit Datenbanken ab. Solche Analysen sollten Nick zufolge Teil der Qualitätssicherung sein.
Mitunter enthalten Superfoods andere Stoffe als behauptet
Verwechslungen können gesundheitlich riskant sein. Bei Untersuchungen von Chia-Smoothies etwa hat Nick Basilikum- statt Chia-Samen gefunden. „Wegen hohen Gehalten eines toxischen Stoffs darf so etwas eigentlich nicht vorkommen“, sagt der Professor. Auch bei den sich ständig ändernden Tee-Trends sieht er Gefahren. Eine Sorte, die vor Jahren als sehr gesund beworben wurde, habe oft gar nicht die angebliche Wundersubstanz enthalten, die auf der Packung stand. In einem Produkt fand sich kein harmloser Ersatz, sondern Nelkenblätter, die für Schwangere kritisch sein könnten.
Abgesehen davon gibt es Probleme beim Durchsetzen geltenden Rechts, geht es um Produktversprechen. Zwar regelt laut dem Lebensmittelverband in Europa eine Verordnung, welche gesundheits- und nährwertbezogenen Angaben nach Überprüfung der Studienlage und nach Zulassung durch den Gesetzgeber verwendet werden dürfen. Trotzdem finden sich im Internet Texte wie beim eingangs beschriebenen Alleskönner-Tee.
Julia Sausmikat von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen spricht von einem rechtsdurchsetzungsfreien Raum im Internet. Die Behörden seien überlastet. „Es ist nahezu utopisch, das alles kontrollieren zu wollen.“ Viele Anbieter hätten ihren Sitz außerhalb Europas, deutsche Behörden seien dann letztlich zahnlos.
Firmen setzen beim Vermarkten von Superfoods und Nahrungsergänzungsmitteln zunehmend auf Influencer, die im Internet auf einen Schlag Zehntausende erreichen. Auch an angeblichen Ranglisten der besten Superfoods mangelt es im Internet nicht. Auf dem einen Portal werden Rohes Sauerkraut, Shiitake-Pilze, Mandeln und die Acerola-Kirsche angepriesen, auf einem anderen Baobab-Fruchtpulver vom afrikanischen Affenbrotbaum, das Myrtengewächs Camu-Camu in Kapselform und Acai-Beeren, wieder auf einem anderen Chia-Samen, Goji-Beeren und Cranberries. Vieles gibt es natürlich auch als Pulver, zum Beispiel Beeren zum Anmischen als „Vital Drink für geistige Aktivität“, wie der Anbieter verspricht. Und häufig geben sich die Seiten einen medizinischen Anstrich.
Laut Sausmikat kann in Zeiten, in denen viele nach Selbstoptimierung streben, sogar so ein banales Produkt wie Salz zum Superfood werden – mit dem richtigen Marketing, das oft einen Bezug zu alter Heilkunst oder indigenen Völkern herstelle. „Damit werden Emotionen bedient, Nachhaltigkeit suggeriert. Dabei kann das oft schon durch die Transportwege gar nicht zutreffen.“
Die Auszeichnung von Superfoods ist oft mangelhaft
Bedient wird auch das Bedürfnis, sich im Alltag etwas Gutes tun zu wollen. „Das könnte auch mit einem Pfefferminztee gelingen, aber es muss heutzutage der Gerstengrassaft sein“, sagt Sausmikat. Auch Optik spiele eine Rolle. Der Saft ist leuchtend grün – ein Hingucker und laut Anbieter geeignet, das Essen farblich auf die Zimmerpflanzen abzustimmen. Auch das Schlank-Versprechen lockt. Laut Sausmikat lassen sich Kilos aber nicht mit Drinks aus vermeintlichem Wunderpulver schmelzen. Einzelne Superfoods könnten ein ungünstiges Muster aus Ernährung und Lebensstil nicht wettmachen.
Die Verbraucherzentralen seien nicht generell gegen Superfoods, stellt die Expertin klar: „Es ist ja die Frage, was das überhaupt ist. Wenn man heimische, unverarbeitete Produkte meint, ist nichts einzuwenden. Aber mit vielen anderen Produkten wird Verbrauchern das Geld aus der Tasche gezogen.“ Und oft seien heimische Lebensmittel weit gereisten Superfoods wie Chia, Acai oder Matcha gesundheitlich ebenbürtig.
Dem Verbraucher bleibt also nichts anderes übrig, als Superfoods selber zu hinterfragen. Auf die Kennzeichnung ist kein Verlass. Laut Verbraucherschutz sind diese mangelhaft. Häufig würden Mengenangaben zu beworbenen Nährstoffen fehlen oder unzulässige gesundheitsbezogene Angaben gemacht.