„München wurde zum Aushängeschild des neuen Deutschland“

von Redaktion

INTERVIEW Alt-Oberbürgermeister Christian Ude erklärt, wie die Olympischen Spiele 1972 München in die Moderne katapultierten

München – Die Wettkämpfe interessierten ihn wenig, das Drumherum umso mehr. Münchens Alt-Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) spricht über den Wandel seiner Stadt durch die Olympischen Spiele 1972 – und das Ende der Gemütlichkeit.

Herr Ude, die wirklich großen Fußball-Events finden heute in der Allianz Arena statt, nicht im Olympiastadion. Bedauern Sie das?

Ihr Befund stimmt. Während der Olympiapark immer beliebter wird, so mein Eindruck, hat das Stadion gigantisch an Bedeutung verloren.

Warum ist das so?

Es kommen halt nicht jede Woche die drei Tenöre und auch die Rolling Stones können nicht immer eine neue Abschiedstournee feiern. Aber im Ernst: Tatsächlich gab es in München nach 1972 die beste nacholympische Nutzung eines olympischen Stadions. Das war halt mit dem Auszug des Fußballs nach Fröttmaning vorbei.

Hätte man ihn vermeiden sollen?

Als die Wünsche der Münchner Vereine nach einem reinen Fußballstadion aufkamen – nach einem Hexenkessel ohne Tartanbahn, mit Fans unmittelbar am Spielfeld, komplett überdacht, und übrigens auch nach Logen für finanziell potente Zuschauer –, wollten wir das Stadion retten. Der Stadtrat, aber auch der Freistaat, also die Staatsregierung und eine große Landtagsmehrheit. Die Politik war zu großen Kompromissen bereit.

Zum Beispiel?

Wir hätten die Tribüne umgebaut, die Tartanbahn, die ja ehrlicherweise kaum genutzt wurde, geopfert und mit Einbau von Logen auch den Einzug der Klassengesellschaft gebilligt. Hans-Jochen Vogel hat mich mehrmals im Rathaus bestürmt, um mir ins Gewissen zu reden. Für ihn war das eine Sünde. Den Ausschlag, all diese Ideen zu verwerfen, gab wirklich das Geständnis des Büros Behnisch und Partner, dass die eigenen Vorschläge für einen Umbau Murks waren. Deshalb Neubau statt Umbau!

Rückblick: 1972 waren Sie 25, Sprecher der Münchner SPD im Ehrenamt und Jurastudent. Haben Sie die Spiele damals interessiert?

Um ehrlich zu sein: Ich war kein einziges Mal im Stadion. Wir waren eine sportlich wenig interessierte Wohngemeinschaft. Klar, im Fernsehen hat man das ein oder andere verfolgt. Was mich aber interessierte, war das kulturelle Begleitprogramm. Kunst im öffentlichen Raum, nicht mehr nur im Musentempel, Ironie und Witz auf der Straße. Das ist dann leider durch den Schatten, den der schreckliche Terrorakt vom 5. September 1972 dauerhaft warf, ziemlich in Vergessenheit geraten.

Die Spiele haben München unglaublich verändert.

So ist es. Das Münchner Lebensgefühl, die Haltung zur Moderne, das Interesse an Internationalität. Oft wird vergessen: München stand in den 1960er-Jahren im Ruf der Provinzialität und hatte die Last, die Hauptstadt der Bewegung gewesen zu sein. Plötzlich wurde nun diese Stadt zum Aushängeschild des neuen, demokratischen, auch bescheiden auftretenden Deutschlands. Mit glänzenden Sportbauten, die geradezu der Gegenentwurf zum scheußlichen Berliner Stadion waren. Das Olympiastadion war aufgrund seiner Architektur weltweit bekannt und stand geradezu als Sinnbild für das neue, liberale und transparente Deutschland.

Es gab auch Widerstand – mit der Münchner Gemütlichkeit war es ja vorbei.

Gewiss. München hatte als Architekturstadt – Frauenkirche, Residenz – schon deutlich von der Vergangenheit gelebt. Viele wollten das konservieren. Ihr Sprachrohr war übrigens Sigi Sommer, der in seiner Kolumne „Blasius, der Spaziergänger“ in der Abendzeitung gegen die Olympischen Spiele grantelte. Wofür brauchts des? Hamma bisher a ned ghabt! Werd alles teurer wern! – das waren seine Argumente. Klar, es gab auch kleine Gruppen in der SPD, die das Geld lieber in Bildungsprojekte gesteckt hätten. Andere, fast Sektierer, meinten, es sei ein viel zu freundliches Bild von Deutschland, das da gezeichnet werde – da kam gewiss ein linker Hang zur Selbstgeißelung hervor.

Sind Olympische Spiele in München erneut denkbar?

Da bin ich ein gebranntes Kind. Als wir uns für die Winterspiel-Idee erwärmt hatten, wurden wir von einer Negativstimmung überrollt, die in der Sache nicht begründet war. Die damaligen Vorwürfe, dass die Münchner Bewerbung ökologisch katastrophal gewesen wäre, halte ich für falsch. Wenn die olympische Bewegung nicht dauerhaft auf Distanz zu Diktaturen geht und statt Kommerzialisierung Nachhaltigkeit als ihre Aufgabe ansieht, hat sie hier keine Zukunft.

Interview: Dirk Walter

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