München – In einem kleinen Raum in der Münchner Kapuzinerstraße hat Olympia 1972 ein Zuhause gefunden. „Das hier ist mein Zufluchtsort“, sagt Bernd Brandt, 56. Es ist eine Olympia-Galerie, die nur einmal in der Woche geöffnet hat. Und in die sich bei nur drei Stunden Öffnungszeiten nur wenige Kunden verirren, während des Journalistenbesuchs kommt gar keiner. Aber das ist Bernd Brandt egal. Kunden können auch nerven, sie fassen vielleicht alles an und kaufen dann doch nichts. „Den meisten Umsatz mache ich eh übers Internet.“
An der Wand hängen Plakate der Spiele im Format Din A0 – die Boxer, die Hürdenläufer, Rhythmische Sportgymnastik. Brandts neueste Erwerbung liegt auf dem Tisch: ein Stapel Piktogramme, die die damaligen Sportarten symbolisieren – Originale von damals. Bernd Brandt zieht Plakat um Plakat hervor und ist jedes Mal begeistert. „Sieht das nicht lässig aus“, fragt er dann. Und gibt zu: „Ich bin nerdig“.
Nerd steht für einen leidenschaftlichen, aber etwas introvertierten Sammlertyp. Nerd Bernd also ist ein Olympia-Sammler. Es hat sich daheim im Keller einiges angestaut. Ein aufblasbarer Schwimmring im Olympia-Design etwa. Oder ein Sitzkissen mit der bekannten Strahlenspirale, dem Emblem der Spiele. Und Sitzschalen aus dem Olympiastadion – damals noch ohne Rückenlehne.
Aber vor allem interessiert den Sammler das Design der Spiele von 1972. Es ist nicht denkbar ohne den Grafiker Otl Aicher (1922–1991). Der Ehemann von Sophie Scholls Schwester Inge war so etwas wie das personifizierte Gegenbild zu den Nazi-Spielen von Berlin 1936. Er war der Chefdesigner der Spiele. „Das gesamte Erscheinungsbild der Spiele war von ihm bestimmt“, schreiben die Historiker Kay Schiller und Christopher Young in ihrem Buch „München 1972“.
Aichers Büro bestimmte Farben, Formen, Uniformen. Eine eigene Abteilung seines Büros entwickelte Piktogramme für jede Sportart. Alles war durchdesignt. So gesehen sind die Spiele 1972 in der doch sehr traditionsbehafteten Stadt München „gelandet wie ein Ufo“, meint Brandt. Es war eine optische Revolution. Selbst Kartenabreißer und Techniker erhielten ihre Olympia-Kluft. Und erst recht die Polizisten mussten sich Aichers Regiment unterwerfen, sie erhielten eine hellblaue Uniform und eine weiße Schiebermütze und kamen – unbewaffnet – eher wie Dandys daher, nicht wie eine Ordnungsmacht. Im Nachhinein kann man das für einen Fehler halten – die Terroristen nutzen den laxen Sicherheitsstandard bei ihrem Überfall auf die israelische Olympiamannschaft aus. Die ganzen Spiele sollten aber eben locker und leicht rüberkommen – die „heiteren Spiele“ waren das Markenzeichen von München 1972.
Brandt sammelt vor allem Plakate. Es gab wohl an die 500 insgesamt, 200 offizielle, dazu etliche Vordrucke und Abwandlungen. Die Plakatentwürfe sind eine Geschichte für sich. Zum Teil wurden Test-Spiele durchgeführt, einzelne Spielszenen abfotografiert („beim Hockeyplakat weiß ich das genau“) und dann für die Plakate im Mehrfachdruck verfremdet. Dafür gab es den Begriff „Solarisationsverfahren“. Brandt sagt: „Das war Hightech hoch zehn.“
Es gibt wohl niemanden, der alle Plakate hat, aber Brandt hat schon ziemlich viele. Es packte ihn schon als Kind. Brandt war sechs, als die Spiele stattfanden. Er erinnert sich noch, dass er damals vor dem Fernseher mitfieberte. Später, als BWL-Student, hing ein erstes Plakat – das mit den Radfahrern – im WG-Zimmer. „Es hat mich nicht mehr losgelassen.“ Als dann die Zeit von Ebay begann, stieg Brandt ein. Für fünf oder zehn Euro konnte er viele Olympia-Plakate ergattern. Heute zahlt man für ein Plakat im DIN-A0-Format 140 bis 180 Euro, einzelne Motive sind nur für mehr als 500 Euro zu haben.
Einiges sucht aber auch Bernd Brandt schon lange. Zum Beispiel ein Ticket vom damaligen Wettkampf im Bogenschießen, der im Englischen Garten stattfand. Oder eine bestimmte Unterlage von damals – den sogenannten Ordner F. Brandt setzt sich auf den Tisch, blättert in seiner – wie er es nennt – „Bibel“: „Munich 72. The Visual Output of Otl Aicher Dep. XI“ zeigt den gesamten grafischen Ausstoß von Aichers Büro – das als Abteilung 11 im Olympischen Organisationskomitee geführt wurde.
Brandt blättert. „Den hab ich“, murmelt er und zeigt auf ein in der „Bibel“ abgebildetes Katalog-Cover. „Das auch.“ Aber dann findet er eine Abbildung des Umschlags vom Ordner F. Der enthielt einfach Farbmusterblätter. Sonst nichts. Klingt sehr speziell, aber die Farben von Olympia 1972 sind eine Geschichte für sich. Aichers Leute legten größten Wert auf eine milde, lockere Farbgebung. „Man hat auf die Farben der Macht verzichtet“, sagt Brandt. Nicht Schwarz-Rot-Gold oder gar das kaiserliche Schwarz-Weiß-Rot sollten die Spiele visuell prägen, sondern Orange, Hellblau, Silber. „Man hat peinlich darauf geachtet, dass die Farben immer stimmen“, sagt Brandt. Druckereien, die die Plakate vervielfältigten, wurden bestimmte Farbfabriken vorgeschrieben – nur dort durften sie die Original-Olympiafarben kaufen. Damit nur ja keine Nuance von der offiziellen Farbgebung abweicht.
„Nie zuvor und nie danach“, meint Brandt, ist ein Design-Konzept „so durchgezogen“ worden wie 1972. Aber wenn man den Sammler fragt, wer damals die Goldmedaille im Kugelstoßen gewonnen hat? Oder bei den 400 Meter Hürden der Männer? Nö, sagt Brandt, keine Ahnung. „Das ist schon ein bisschen tragisch, dass mich das gar nicht interessiert.“
Selbst Techniker und Kartenabreißer in Olympia-Kluft
Die Farben waren auch ein politisches Statement