„Erdbeergeschmack gibt es nicht“

von Redaktion

INTERVIEW Forscher Maik Behrens erklärt, warum uns das Hirn beim Essen oft Streiche spielt

München – Die einen schlürfen Austern, die anderen bevorzugen Nudeln mit Ketchup. Alles Gewöhnungssache? Maik Behrens ist Geschmacksforscher am Leibniz Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München. Im Interview erklärt er, warum Geschmäcker oft so unterschiedlich wahrgenommen werden, weshalb man seinen Kindern keinen Brokkoli aufzwingen sollte – und warum weder Erdbeere noch Vanille echte Geschmäcker sind.

Herr Behrens, die wenigsten würden zu einem Vanilleeis Nein sagen – aber beim Rosenkohl scheiden sich die Geister. Warum ist das so?

Das ist ein angeborenes Verhalten. Grundsätzlich kann man sagen: Alle Neugeborenen lehnen Bitteres ab und lieben Süßes. Das kann sich dann im Laufe des Lebens durch positive oder negative Erfahrungen mit gewissen Lebensmitteln verschieben. Manche können Bitteres irgendwann für sich gewinnen, andere nicht.

Das heißt: Wer Bier trotz seiner Bitterkeit mag, hat positive Erfahrungen damit gemacht?

Im Prinzip ja. Bier macht uns – in Maßen – gelassener, lockerer. Vielen gibt das ein positives Gefühl, deshalb tolerieren sie den bitteren Geschmack. Gleicher Fall mit Kaffee: Der hält uns wach, macht uns aufmerksam. Solange wir keine negativen Konsequenzen feststellen, gewöhnen wir uns an die Bitterkeit und empfinden Kaffee als lecker.

Eine Kollegin mag den Geschmack von Erdbeeren nicht. Das ist doch nicht normal, oder?

Das ist tatsächlich eher ungewöhnlich. Ich vermute, dass sie irgendwann negative Erfahrungen mit Erdbeeren gemacht haben könnte. Vielleicht ging es da ja um eine leichte allergische Reaktion. Aber wir müssten vielleicht erst mal die Begrifflichkeiten klären: Denn einen Erdbeergeschmack gibt es eigentlich gar nicht.

Sondern?

Es gibt nur fünf Geschmäcker: süß, salzig, bitter, sauer, umami. Umami wird durch Glutamat ausgelöst, was vielen Menschen auch als Geschmacksverstärker bekannt ist. Das ist aber falsch: Es handelt sich um einen eigenen Geschmack, den man als herzhaft, suppig und wohlschmeckend beschreiben kann. Unsere Geschmacksknospen sind jedenfalls nur dazu in der Lage, diese fünf Geschmäcker wahrzunehmen. Um den komplexen Eindruck einer Erdbeere oder von Schokolade wirklich wahrzunehmen, braucht es die Nase.

Deshalb schmecken wir weniger, wenn die Nase verstopft ist…

Nicht ganz. Tatsächlich schmecken wir dann süß, bitter, salzig, sauer und umami noch immer einwandfrei. Aber ja, alles, was darüber hinausgeht, fehlt uns – dafür brauchen wir unseren Geruchssinn. Vielleicht könnte man hier eher von Aromen als von Geschmäckern sprechen. Da spielt uns das Hirn einen Streich. Wir assoziieren zum Beispiel Vanille in Kombination mit süß, weil beides gut zusammenpasst – das eine wird von der Nase wahrgenommen, das andere von der Zunge. Wir bemerken diesen Unterschied aber gar nicht.

Nehmen alle Menschen die fünf Geschmäcker gleichermaßen wahr?

Grundsätzlich schon: Wir alle haben auf unserer Zunge Geschmacksknospen, die sich in unterschiedlichen Bereichen der Zunge befinden. In diesen Knospen gibt es Zellen verschiedener Typen: Typ 1, 2, 3 und 4. Typ 2 etwa ist auf süß, umami und bitter spezialisiert. Typ 3 auf sauer. Und wo unsere Salzig-Zellen sind, ist noch gar nicht erforscht. Allerdings gibt es auch ein paar genetische Ausnahmen: Da geht es vor allem um die Bitter-Rezeptoren. Deshalb scheiden sich bei vielen bitteren Lebensmitteln, wie Sie sagten, die Geister.

Was sind das für Unterschiede?

Es gibt viele unterschiedliche Bitter-Rezeptoren. Ein Beispiel ist der TAS2R38: ein Rezeptor, der in zwei Hauptvarianten vorkommt: Die Schmecker- und die Nichtschmecker-Variante. Eine große Gruppe von Menschen hat die Nichtschmecker-Variante, sie empfindet also die betroffenen Bitterstoffe als nicht bitter. Wir haben auch einen nachweisbaren Unterschied bei dem Süßstoff Saccharin, der zum Beispiel in vielen zuckerreduzierten Getränken eingesetzt wird. Dieser Unterschied hängt mit Varianten anderer Bitterrezeptoren zusammen. Einige Menschen empfinden ihn als unangenehm bitter, andere sind weniger empfindlich für die Bitterkeit von Saccharin.

Und wie bringe ich jetzt als Elternteil mein Kind dazu, den Brokkoli aufzuessen?

Der falsche Weg wäre zu befehlen: Du isst das jetzt auf, ohne Diskussion. Druck und Zwang können die Abneigung fördern und den gewünschten Effekt ins Gegenteil umschlagen lassen. Ich schätze, da muss man sich einfach vorsichtig rantasten. Ich weiß ja nicht, ob das unbedingt die beste Idee ist – aber vielleicht mag das Kind ja Ketchup auf seinem Brokkoli?

Interview: Kathrin Braun

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