Auf Rosen gebettet oder Generation ohne Zukunft?

von Redaktion

ZUM TAG DER JUGEND Ein Streitgespräch zwischen der Studentin Sophia Schmid und Ex-CSU-Chef Erwin Huber

München – Corona-Pandemie, Klimawandel, eine überalternde Gesellschaft und jetzt noch Ukraine-Krieg und China-Krise. Die junge Generation sieht ihre Zukunft schwinden und kritisiert, die Lastenverteilung werde immer ungerechter. Gleichzeitig fordert sie mehr Freiheiten und Freizeit ein. Passt das zusammen? Zum heutigen Internationalen Tag der Jugend haben wird den ehemaligen CSU-Parteichef Erwin Huber (76) und die Münchner Studentin Sophia Schmid (21) an einen Tisch gebracht. Die Debatte war kontrovers – und überraschend. Für Erwin Huber steht jedenfalls fest: Die junge Generation ist nicht stürmisch genug.

Corona, Energiekrise, Klimawandel, miserable Rentenaussichten – hat es die heutige Jugend schwerer als vorige Generationen?

Sophia Schmid: Ich kann nicht den Vergleich ziehen zur Generation meiner Eltern oder meiner Großeltern, die hatten in ihrer Jugend andere Schwierigkeiten. Aber jetzt stehen wir vor dem Problem, dass unsere Zukunft auf dem Spiel steht. Wir müssen in den nächsten zehn bis 15 Jahren handeln. Da geht es nicht nur um die Klimakrise. Sind junge Menschen fürs Alter abgesichert, wenn sie jetzt viel arbeiten? Sind wir überhaupt wettbewerbsfähig? Haben wir eine digitale Infrastruktur? Und das sind nur einige der Sorgen der Jugend. Erwin Huber: Wenn ich meine eigene Erfahrung heranziehe aus den 60er-Jahren, würde ich eher sagen: Die heutige Jugend ist auf Rosen gebettet. So viele Chancen gab es noch nie. Ich saß mit 50 bis 60 Kindern in einer Klasse. Viele meiner Altersgenossen haben später große Schwierigkeiten gehabt, eine Lehrstelle zu finden. Heute sind die Bildungsmöglichkeiten ungleich besser. Das halte ich auch für eine Leistung meiner Generation. Aber ja, heute stehen wir vor neuen, großen Herausforderungen. Das Klimaproblem ist überhaupt nicht mehr lösbar. Uns erwartet eine große Dürre in Europa. Und generell nehmen die Krisen in der Welt zu.

Also verstehen Sie den Frust der Jugend?

Huber: Ja, wir gehen immerhin schweren Zeiten entgegen. Ich befürchte aber, dass der Jugend die Stimme fehlt. Womöglich fehlt ihr auch eine Plattform. Die politischen Jugendorganisationen wollen nur Karriere machen, die Kirchen sind in einer Moralkrise, die studentischen Organisationen veranstalten nur akademische Feiern, statt Gesellschaftspolitik zu machen. Ich fühle mich fast herausgefordert, als alter, weißer Mann für die Jugend auf die Barrikaden zu gehen. Schmid: Wir sind auch leider eine Minderheit in Deutschland. Für Parteien ist es eher uninteressant, viel Werbung um uns zu machen. Ich finde es aber auch erschreckend, dass viele junge Menschen nicht mal wählen gehen.

Ist das nicht eine Reaktion darauf? Wer sich von der Politik nicht gehört fühlt, geht auch nicht wählen?

Schmid: Ich glaube, viele wissen auch einfach nicht, was ihre politische Ausrichtung ist, weil es sie nicht interessiert.

Bei der 68er-Bewegung hat es an den Universitäten gebrodelt. Sind junge Menschen heute gemütlicher geworden?

Huber: Die Jugend ist heute eher angepasst und karriereorientiert. Ich bin selbst an der Hochschule und ich habe große Bewunderung für die Studenten dort – die meisten sind wirklich gescheit und vernünftig. Aber sie sind keine Herausforderung für die Gesellschaft. In den 1960ern ist nicht nur die Studentenbewegung auf die Barrikaden gegangen, auch in den klassischen Parteien waren junge Menschen viel präsenter als heute. Wir haben die Patriarchen in der CSU aus den Ämtern gedrängt. Wir waren eine stürmische, junge Generation. Da ist etwas verloren gegangen, das für die Zukunftsfähigkeit eines Landes wichtig ist. Schmid: Aber damals, bei der 68er-Bewegung, hatten die Menschen doch ganz andere Probleme. Ob es um das Abtreibungsrecht für Frauen ging oder darum, ob Vergewaltigungen in der Ehe als Straftaten gelten. Das sind Punkte, die auf nationaler Ebene leicht umzusetzen sind. Jetzt stehen wir vor globalen Herausforderungen. Wir haben Krieg in Europa, und bald vermutlich auch in Asien. Wie gehen wir international mit so was um? Und zur Klimakrise: Da sind plötzlich Kinder weltweit auf die Straße gegangen und haben sich engagiert. Das hat vieles bewegt: Bei der letzten Bundestagswahl gab es nicht ein einziges Wahlprogramm, in dem der Klimawandel keine Rolle gespielt hat.

Herr Huber, in Ihrer Jugend gab es auch globale Unsicherheiten: Kalter Krieg, Kuba-Krise, auch da hatte man große Sorge vor einem Dritten Weltkrieg. Wird das heute vergessen?

Huber: Die meisten jungen Leute mussten damals zur Bundeswehr, also ein unmittelbares Opfer bringen für ihre Sicherheit. Ich gebe aber zu: Die heutigen globalen Probleme sind härter und schwerer zu lösen. Und ich habe große Hochachtung vor der Fridays-for-Future-Bewegung. die hat in der Tat etwas bewegt. Die CSU macht noch zu wenig, aber insgesamt ist damit ein wichtiges Thema auf die Tagesordnung der Weltpolitik gekommen. Wenn ich mir aber in einem Punkt mehr Engagement von der Jugend wünschen könnte, dann bitte für ein offenes, tolerantes Europa: In dem großen Konflikt – Russland, China, USA – droht Europa auf die Verliererstraße zu geraten. Und damit auch unsere Form der Demokratie. Schmid: Ja, unter Jugendlichen werden die Freiheiten in Europa oft für zu selbstverständlich gehalten. Auf der anderen Seite muss ich sagen: Ich habe mich selbst bei den Jungen Europäischen Föderalisten engagiert. Aber meine Zeit ist begrenzt. Viele junge Menschen müssen neben ihrem Studium noch Geld verdienen.

Hatten Sie früher mehr Zeit, um sich politisch zu engagieren, Herr Huber?

Huber: Die Beanspruchung in Schule und Studium ist heute in der Tat höher. Und: Die junge Generation steht vor einer Herausforderung, die es zu meiner Zeit nicht gab. Die Digitalisierung hat zu einer Reizüberflutung geführt. Alles ist unübersichtlicher geworden, überall wird man zur Ablenkung verführt. Wirtschaftlich gesehen hat es die heutige Jugend leichter als in den 60er-Jahren – aber was die mentale, seelische Belastung angeht, sind junge Menschen heute stärker betroffen. Schmid: Ich glaube, man macht es sich ein bisschen zu einfach, wenn man pauschal dem Internet die Schuld gibt. Durch das Internet kommen wir viel leichter an Informationen, die Digitalisierung schafft Transparenz. Was ich aber erschreckend finde: Es ist bekannt, dass soziale Netzwerke mit unserer Aufmerksamkeit Profit machen, Nutzer werden durch Algorithmen manipuliert, in bestimmte Gruppen gedrängt, auch in radikale. Falschinformationen verbreiten sich rasend schnell. Und die Politik hat bis jetzt noch nicht eingegriffen, das finde ich sehr kritisch. Huber: Ich wollte damit nicht sagen, dass die Digitalisierung ein Übel der Gesellschaft ist. Im Gegenteil: Sie schafft einen unglaublich breiten Raum an Kommunikation. Dadurch entstehen auch neue Herausforderungen. Ich muss Ihnen aber widersprechen: Der Staat kann hier nicht eingreifen. Es gehört zur Eigenverantwortung, mit Technologie sinnvoll umzugehen und Gefährdungen zu vermeiden. Ansonsten machen wir Stück für Stück unsere Freiheit kaputt.

Herr Huber, bei der letzten Bundestagswahl haben junge Menschen hauptsächlich Grüne und FDP gewählt. Für die Volksparteien ein Armutszeugnis. Woran liegt das?

Huber: Das mit der FDP verstehe ich selbst nicht. Bei den Grünen ist das schon eher erklärbar: Da geht es um Emotionen, man begibt sich als Wähler in eine gute moralische Position, tut etwas für die Umwelt und für die Zukunft. Dazu kommt: Wir haben als CSU die Verbindung zur jungen Generation verloren. Auch die Junge Union bringt da zu wenig, sie müsste eigentlich näher an den jungen Leuten dran sein. Und wir haben sicherlich auch Themen wie den Klimaschutz zu spät angepackt. Schmid: Ich glaube, die Union war einfach zu lange in der Regierung. Ich sag’s ungern, aber in so einer langen Zeit sammeln sich die Korruptionsvorwürfe, ob im Bereich Masken oder bei Unternehmensbeteiligungen. Und ich glaube, so langsam wird das „C” in Ihrer Partei zum Problem, Herr Huber. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer liberaler wird, in der immer weniger Menschen an Gott glauben, viele aus der Kirche austreten, einige auch anderen Religionen angehören. Junge Menschen können sich kaum noch mit den Ansichten identifizieren, die CDU und CSU vertreten – da geht es zum Beispiel auch um das Werbeverbot für Abtreibungen. Sehr viele Leute haben sich gefreut, dass der Paragraf abgeschafft wurde.

Und warum wählen so viele junge Menschen FDP?

Schmid: (lacht) Weil die FDP zum Beispiel gesagt hat, dass sie Cannabis legalisiert. Die Partei hat generell die Freiheit des Einzelnen in den Vordergrund gestellt – nach der Corona-Krise ist das vielen Menschen besonders wichtig. Die Ausgangssperren waren vor allem für junge Leute hart.

Herr Huber: Gibt es etwas, was Sie an der jungen Generation besonders stört?

Huber: Eine Sache brennt mir auf der Seele: Ich glaube, wir verführen die junge Generation mit dem Schlagwort Work-Life-Balance. Das klingt so, als ob Arbeit etwas Schlimmes wäre und man versuchen sollte, ihr so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Ich halte das für verhängnisvoll. Erfüllung findet man mehr in der Arbeit als im Urlaub. Ich würde der jungen Generation zum Tag der Jugend wünschen, dass sie Arbeit als sinnvolle Tätigkeit und nicht nur als Belastung sieht. Schmid: Das sehe ich anders. Niemand hat Lust, den ganzen Tag nur rumzusitzen. Und so gut wie jeder würde sich wünschen, Erfüllung in seiner Arbeit zu finden, egal ob in bezahlter oder ehrenamtlicher Arbeit. Aber unsere Generation hat festgestellt: Es bringt uns nichts, wenn wir 50 Stunden die Woche arbeiten, keine Zeit für Reisen und Hobbys haben und ganz nebenbei noch Kinder großziehen. Viele vergessen, wie anstrengend Haushalt und Familie sein können. In den 60ern hat das noch die Ehefrau gemacht. Das ist heute anders. Der Punkt bei Work-Life-Balance ist zu erkennen: Wo hört im Job Erfüllung auf und wo fängt Belastung an.

Huber: Als 16-Jähriger war ich noch ein Macho, als 66-Jähriger eher Feminist. Ich habe heute großes Verständnis dafür, dass man Familie und Arbeit in Einklang bringen muss. Aber wir sind schon eine Wohlstandsgesellschaft, nach der Schule reisen erst mal viele junge Leute für ein Jahr nach Australien. Ich will das auch gar nicht schlechtreden. Aber wir haben nun mal einen großen Fachkräftemangel, damit ist Work-Life-Balance nur schwer vereinbar. Das ist vielleicht eine bittere Pille – aber Ihre Generation wird noch viel arbeiten müssen.

Interview: Kathrin Braun und Mike Schier

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