München – Der Journalist und Autor Hans-Peter Siebenhaar (60) beschäftigt sich seit Jahren mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland. Ein Gespräch über die Causa Schlesinger, das System der ARD, mangelnde Kontrolle und Ideen für einen Neuanfang.
Sie schauen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit Jahren kritisch auf die Finger, schrieben vor zehn Jahren ein Buch mit dem Titel „Die Nimmersatten“. Sie sind also sicher nicht kalt erwischt worden von der Affäre Schlesinger. Hat Sie das Ausmaß dennoch überrascht?
Der Skandal rund um den RBB hat mich tatsächlich nicht überrascht. Er ist vielmehr ein weiteres, sehr eindrucksvolles Beispiel für Fehlentwicklungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir brauchen jetzt eine tiefgreifende Diskussion über die Zukunft von ARD und ZDF.
Wir hatten kürzlich ein Interview mit dem Medienexperten Groebel im Blatt, der ein „System Schlesinger“ sieht, aber kein strukturelles Problem in der ARD. Sie sehen das nun anders. Wieso?
Der Fall Schlesinger/RBB steht für das strukturelle Problem einer mangelnden Kontrolle der Anstalten durch die Aufsichtsgremien. Wir sehen darüber hinaus ein intransparentes System, das offenbar zu Missbrauch, Vetternwirtschaft und Untreue geradezu einlädt. Es ist nicht das erste Mal, dass ARD und ZDF von Finanzskandalen erschüttert werden. Ich erinnere an den Zehn-Millionen-Euro-Schaden beim von ARD und ZDF betriebenen Kinderkanal durch Veruntreuung von Gebührengeldern, den Zusammenbruch des Instituts für Rundfunktechnik in München nach schwerwiegenden Managementfehlern oder auch den Fall des ehemaligen Unterhaltungschefs des MDR, Udo Foht, mit seinen angeblichen Geldschiebereien, der jetzt vor Gericht kommt. Man kann insgesamt von einer Parallelwelt sprechen, in der die Chefetagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks agieren, und das seit Jahrzehnten.
Genau diese Chefetagen, namentlich die Intendanten außerhalb des RBB, werden derzeit nicht müde, ihre eigene Fassungslosigkeit zu betonen. Wie glaubwürdig ist das für Sie?
In der ARD läuten jetzt alle Alarmglocken. Nachdem die Intendanten über Wochen geschwiegen und viel zu spät in der Causa Schlesinger agiert haben, bemühen sie sich jetzt in ihrer Not um Schadensbegrenzung. Das ist eine durchsichtige PR-Strategie, mehr aber auch nicht.
Die aber auch gewagt sein könnte, falls auch beim WDR, NDR, BR oder wo auch immer Ungereimtheiten aufgedeckt würden. Die Fallhöhe wäre dann enorm.
Wie weit sich manche Intendanten jetzt aus dem Fenster lehnen, ist in der Tat gewagt. Solange keine tiefgreifende Modernisierung des Rundfunksystems stattfindet, würde es mich jedenfalls überraschen, wenn ARD und ZDF in den nächsten Jahren frei von Skandalen blieben.
Nach all dem: Würden Sie so weit gehen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen? Oder sehen Sie auch seinen Nutzen?
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit ARD, ZDF und Deutschlandradio spielt eine sehr wichtige Rolle für unsere Demokratie. Das gilt insbesondere in den Bereichen Information, Kultur und Bildung. Daher bin ich gegen eine Abschaffung, aber sehr für mehr Effizienz, Transparenz und Qualität. Was wir dringend brauchen, ist ein besserer öffentlich-rechtlicher Rundfunk für deutlich weniger Geld.
Was heißt das konkret? Wo sehen Sie das größte Sparpotenzial?
Wir müssen die opulenten Doppel, Dreifach- und Vierfach-Strukturen abschaffen. Dann könnten die Anstalten sehr viel Geld sparen. Ich plädiere daher für eine Fusion von ARD und ZDF. Das ZDF ist ohnehin ein rundfunkpolitischer Unfall aus den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus wäre eine Marktbereinigung innerhalb der ARD-Anstalten sehr wünschenswert.
Inwiefern?
Man könnte die derzeit neun ARD-Anstalten zu vier großen Anstalten fusionieren: Nord, Süd, Ost und West. Warum sollen die Bürgerinnen und Bürger für jede noch so kleine Anstalt wie Radio Bremen oder den Saarländischen Rundfunk zahlen, die wirtschaftlich seit Jahrzehnten wenig Sinn machen.
Die „Marktbereinigung“ wäre eine Forderung an die Politik.
Genau, denn für den Rundfunk sind die 16 Bundesländer zuständig. Doch Medienpolitik findet kaum noch statt. Ich finde es erschütternd, dass die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, nicht zum Thema RBB mit eigenen Ideen Stellung nimmt und ehrliche Reformvorschläge präsentiert. Der bereits im Juni von den Bundesländern beschlossene neue Medienstaatsvertrag für ARD und ZDF wird nicht ausreichen, die Akzeptanz zu fördern.
Das Hauptproblem bei dem Skandal und die wohl wichtigste Forderung im Zusammenhang mit einer Reform ist das Thema Kontrolle. Wie muss die Ihrer Meinung nach aussehen? Das bisherige System mit zum Teil ehrenamtlich arbeitenden Rundfunk- und Verwaltungsräten kann es ja wohl nicht mehr sein.
Viele Räte sind nur Nebenerwerbskontrolleure. Wie wenig kompetent dieser Nebenerwerbs-Job erfüllt wird, zeigt der RBB beispielhaft in sehr negativer Weise. Wir brauchen Aufsichtsräte, die professionell, kompetent, unabhängig und ohne politische Abhängigkeiten den Intendanten sehr genau auf die Finger schauen. Schließlich geht es um die sinnvolle und effektive Verwendung von jährlich mehr als acht Milliarden Euro an Rundfunkgebühren, welche die Bürgerinnen und Bürger lebenslang zahlen müssen.
Was halten Sie davon, externe Unternehmensberater zum Aufräumen in die Funkhäuser zu schicken?
Berater gehen bereits heute schon in den Rundfunkanstalten ein und aus. Für ein Aufsichtsgremium wünsche ich mir keine Dienstleister, die dann wieder in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, sondern erfahrene, selbstbewusste, politisch unabhängige Manager, die ihrer wichtigen Kontrollfunktion gerecht werden.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass das Thema Kontrolle jetzt wirklich in Angriff genommen wird?
Eine tiefgreifende Reform von ARD und ZDF ist nicht die Aufgabe der Intendanten, sondern der Bundesländer. Bislang schweigen die Ministerpräsidenten aber weitgehend zu dem jüngsten Skandal. Es gibt zudem keinen Masterplan der Länder für grundlegende Reformen von ARD und ZDF. Vor diesem Hintergrund bin ich, obwohl Optimist, nicht allzu zuversichtlich, dass sich die Medienpolitiker zu einer wirklichen Modernisierung und Verschlankung durchringen werden. Dabei sollten die Vorkommnisse im RBB den Bundesländern eine eindringliche Mahnung sein zu handeln. Wegducken wie in den vergangenen Jahren ist jetzt keine Option mehr.
Das Gespräch führte Stefanie Thyssen.