München – Er gilt als „Lunge des Planeten“: Geschätzte 80 bis 120 Milliarden Tonnen Kohlenstoff speichert der Amazonas-Regenwald, der sich auf einer unvorstellbaren Fläche von sechs Millionen Quadratkilometern über neun Länder Südamerikas erstreckt. Doch die grüne Lunge des Kontinents ist in Gefahr. Trockenheit und Abholzung setzen dem Öko-System stark zu. Französische Wissenschaftler veröffentlichten im vergangenen Jahr eine Studie, wonach der brasilianische Teil des Amazonas-Gebiets bereits mehr CO2 ausstößt, als der Regenwald neu aufnehmen kann. Die Forscher sprachen von einem historischen Kipppunkt für das Weltklima.
Kolumbiens neu gewählter Präsident Gustavo Petro reagiert nun auf die Warnungen von Forschern und Umweltschützern. Er forderte in seiner Antrittsrede im August einen internationalen Fonds zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes. „Wir können die gesamte Bevölkerung des kolumbianischen Amazonasgebiets zu Waldschützern machen, aber wir brauchen Finanzhilfe aus der ganzen Welt, um das zu tun“, sagte Petro.
Um den wichtigen CO2-Speicher zu schützen, könne die internationale Gemeinschaft die Auslandsschulden seines Landes verringern, um Aktionen zum Schutz und zur Wiederaufforstung der Regenwälder zu finanzieren. Wenn der Internationale Währungsfonds „hilft, die Schulden in konkrete Aktionen gegen den Klimawandel umzuwandeln, schaffen wir eine neue, blühende Wirtschaft und ein neues Leben für die Menschheit“, sagte Petro, der erste linksgerichtete Präsident Kolumbiens.
Nicht nur in seinem Land werden Stimmen nach einem besseren Schutz des Regenwaldes laut. Auch in Brasilien, wo rund 60 Prozent der gesamten Amazonas-Regenwaldfläche liegen, macht Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio Lula da Silva gerade Wahlkampf mit einer neuen Umwelt- und Klimapolitik für die Abstimmung im Oktober. „Wir werden den illegalen Goldabbau beenden und sehr ernsthaft gegen die Abholzung kämpfen“, kündigte er an. „Wenn die Welt bereit ist zu helfen, kann die Erhaltung eines Baumes im Amazonasgebiet mehr wert sein als jede (andere) Investition“, sagte Lula.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hingegen sieht das Amazonas-Gebiet als wirtschaftliches Nutzgebiet. Kritiker werfen ihm vor, die Umweltbehörden zu schwächen und Holzfällern und Goldgräbern das Eindringen in geschützte Gebiete zu erleichtern. Im ersten Halbjahr 2022 hat die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes einen neuen Rekordwert erreicht, wie Satellitenaufnahmen der Weltraumbehörde INPE zeigten. Demnach seien allein 2022 rund 3750 Quadratkilometer Wald zerstört worden – das ist der höchste Halbjahreswert seit Beginn der Aufzeichnungen. Bolsonaro aber wies am Montag in einem TV-Interview den Vorwurf zurück, die Abholzung hätte unter seiner Regierung zugenommen. „Das Amazonasgebiet ist so groß wie Westeuropa“, sagte er. „Glaubst du, dass überwachen, Brände vermeiden so einfach ist?“ Stattdessen kritisierte Bolsonaro die Umweltbehörde Ibama dafür, dass sie von illegalen Goldgräbern beschlagnahmtes schweres Gerät zerstört.
Für Brasilien gibt es bereits einen Amazonas-Fonds. Eigentlich. Denn wegen Bolsonaros laxer Schutzpolitik haben wichtige Geldgeber wie Deutschland und Norwegen die Finanzhilfen vor drei Jahren eingefroren. „Das Konzept eines Fonds zum Schutz des Regenwaldes ist grundsätzlich richtig“, sagt Gesche Jürgens, Wald-Expertin bei Greenpeace. „Aber es kann nur funktionieren, wenn vor Ort die Motivation stimmt –wenn also beispielsweise Landräuber systematisch in die Schranken gewiesen werden.“ Während Kolumbien hier neuerdings guten Willen zeige, sei das von Bolsonaro nicht zu erwarten. Zudem dürfe Europa die Bemühungen im Umweltschutz nicht mit Wirtschaftsabkommen wie EU-Mercosur torpedieren.
Jürgens, die erst kürzlich wieder im Amazonas-Gebiet war, berichtet von einem „Wild-West-Gefühl“ vor Ort. „Viele dort machen einfach, was sie wollen. Und da ist der Regenwald eben oft im Weg. Nicht jeder hat da einen emotionalen Bezug dazu.“ Gleichzeitig gebe es aber immer wieder innovative Projekte –aus dem Umweltschutz wie aus der Landwirtschaft. „Die müssen wir unterstützen, denn es geht nur mit den Menschen vor Ort.“ Umweltschützer hoffen deshalb auf einen Wahlsieg Lulas im Herbst. Gesche Jürgens sagt: „Wenn Bolsonaro wieder gewinnt, dann sehe ich schwarz für den Regenwald.“ dg/dpa/afp