München – Bertram Brossardt ist Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und des Verbands der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. In der Vier-Tage-Woche sieht er wenig Potenzial, trotzdem müsse künftig flexibler gearbeitet werden, sagt er.
Herr Brossardt: Ist die Vier-Tage-Woche ein Modell für Deutschland?
Eine generelle gesetzliche oder tarifvertragliche Vier-Tage-Woche lehnen wir schon aus betriebsorganisatorischen Gründen ab. Es gehört zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, an wie vielen Tagen und wie lange gearbeitet werden soll. Jedes Unternehmen muss das Arbeitszeitmodell finden, mit dem es erfolgreich wirtschaften kann. In Belgien hat ein Gesetz eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit möglich gemacht. Wer bei einer 40-Stunden-Woche nur vier Tage arbeiten will, kann dies tun, er muss dann täglich zehn Stunden arbeiten. Sinnvoll ist, die Arbeitszeit flexibler zu gestalten. Wir setzen uns deshalb seit langem auch für eine Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes und für eine wöchentliche Betrachtung der Höchstarbeitszeit ein.
Weniger arbeiten bei gleicher Bezahlung – was sagen Sie dazu?
Das käme einer Entgelterhöhung gleich, da der Stundenverdienst steigt. Das erhöht für das Unternehmen die Personalkosten deutlich und beeinträchtigt damit die Wettbewerbsfähigkeit. Letztlich ist es eine individuelle betriebswirtschaftliche Entscheidung. Eine Vier-Tage-Woche bei gleichem Entgelt mag in einzelnen Unternehmen funktionieren, in den meisten aber nicht. Es wird immer auch Mitarbeiter geben, die weiterhin fünf Tage arbeiten wollen. Alle Interessen unter einen Hut zu bekommen, ist anspruchsvoll.
Würde eine Vier-Tage-Woche Personal anlocken oder den Fachkräftemangel eher verschärfen?
Letzteres. Die Einstellung zusätzlicher Fachkräfte scheitert schon derzeit in vielen Branchen am Arbeitsmarkt. Laut der Bundesagentur für Arbeit sind deutschlandweit über 880 000 offene Stellen gemeldet. In Bayern sind es über 160 000. Hier zusätzliche Beschäftigte zu gewinnen, um die durch die Vier-Tage-Woche entstehenden Lücken aufzufüllen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Und noch einmal: Steigende Personalkosten darf es nicht geben, schon gar nicht in der jetzigen Zeit.
In welchen Branchen wäre eine Vier-Tage-Woche denn denkbar?
Sie ist möglich bei hoher Arbeitszeitsouveränität des Einzelnen. Kaum möglich ist sie in Produktionsbetrieben, wo Aufträge „just in time“ abgearbeitet werden und die Beschäftigten damit zwingend zu bestimmten Zeiten vor Ort sein müssen. Aber auch hier wird flexibel gearbeitet mit sogenannten Flexi-Konten sowie innovativen Freischicht-Modellen, in denen in einzelnen Wochen auch verkürzt gearbeitet werden kann. Auch die Flächentarifverträge der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie bieten ein ganzes Bündel an Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung.
In verschiedenen Studien hat sich gezeigt, dass die Produktivität eines Unternehmens trotz der Vier-Tage-Woche nicht sinkt.
In Einzelfällen mag das funktionieren, in der Breite der gesamten Wirtschaft ist das utopisch. Ein Feldversuch zur Vier-Tage-Woche in Island wurde beispielsweise hauptsächlich in städtischen Behörden und dem Bildungssektor durchgeführt. Auf das produzierende Gewerbe lässt sich das nicht übertragen. Jedenfalls würden die Prozessabläufe in den Unternehmen deutlich schwieriger, zum Beispiel durch ein neues System zur Schichteinteilung. Eine Arbeitszeitverkürzung geht nur mit einer Optimierung der innerbetrieblichen Organisation. Andernfalls kommt es zu einer Arbeitsverdichtung und damit zu mehr Stress, mehr Fehlern und unter dem Strich zu einem Weniger an Produktivität.
Interview: Rebecca Habtemariam