London/Balmoral – Am Donnerstagabend um 18.34 Uhr Ortszeit unterbricht die britische Rundfunkanstalt BBC ihre Berichterstattung und sendet: ein schwarzes Bild. Es ist das Ende einer Ära. „Mein ganzes Leben, sollte es kurz oder lang werden“, versprach die spätere Königin Elizabeth II. an ihrem 21. Geburtstag, wolle sie ihren Untertanen widmen. Dieses Versprechen hat sie gehalten. Nun ist die britische Königin auf ihrem schottischen Landsitz Schloss Balmoral gestorben.
Für die meisten Menschen auf der Welt gehörte sie zu Großbritannien, wie das Pfund oder Big Ben. Jeder, der jünger als 70 Jahre ist, kennt das Land nur mit ihr als Königin. Mit ihrem strahlenden Lächeln eroberte sie bis zum Schluss das Herz ihrer Untertanen im Sturm. Laut einer Umfrage war die Queen das beliebteste Mitglied des britischen Königshauses. Mit ihrem Tod endet eine Epoche.
Erschreckend hager und zerbrechlich wirkte Queen Elizabeth II., als sie in dieser Woche die neue britische Premierministerin Liz Truss mit der Regierungsbildung beauftragte. Der Eindruck täuschte nicht: Der Tag des Wechsels an der Regierungsspitze am Dienstag ging nicht spurlos an der Königin vorüber. Zunächst musste sie eine virtuelle Sitzung ihres Geheimrats absagen. Und gestern kam eine Nachricht, die dem ganzen Land den Atem stocken ließ: „Nach einer weiteren Bewertung heute Morgen sind die Ärzte der Königin besorgt um die Gesundheit Ihrer Majestät und haben empfohlen, dass sie unter medizinischer Beobachtung bleibt“, sagte ein Palastsprecher.
Die gesamte Familie eilte sofort ans Krankenbett der Königin. Prinz William und seine Frau Kate, die ihre Kinder George (9), Charlotte (7) und Louis (4) noch am Morgen zu ihrem ersten Schultag in der privaten Lambrook School begleitet hatten. Prinz Charles (73) und seine Frau, Herzogin Camilla (75) trafen auf Schloss Balmoral ein. Und auch Prinz Harry (37), dessen Verhältnis mit der königlichen Familie zuletzt schwierig war, kam – wenn auch ohne seine Frau Meghan.
Schon am späten Nachmittag fanden sich hunderte Menschen, aufgerüttelt von der Nachricht der Ärzte aus dem Königshaus, am Buckingham Palace in London ein. Sie brachten Blumen, nahmen Anteil. Das Königreich bangte, Bekundungen der Anteilnahme aus der ganzen Welt vom Weißen Haus bis nach Brüssel wurden verschickt – bis am Abend schließlich traurige Gewissheit herrschte.
Als Elizabeth 1952 Königin wird, steht sie an der Spitze eines Empires mit mehr als 70 Kolonien. Bei ihrem Tod ist davon kaum etwas übrig. Sie übernimmt das Zepter im Kalten Krieg, der Jahrzehnte andauert und lange vor ihrem Ableben endet. Sie sitzt auf dem Thron, als ihr Land Teil der Europäischen Union wird – und wieder austritt.
Die Queen bleibt sich trotz aller Umbrüche stets treu. Elizabeth II. fällt nie aus der Rolle und mischt sich nie in die Politik ein. Selbst als ihr Mann, Prinz Philip, im April 2021 nach mehr als 73 Jahren Ehe stirbt, gönnt sie sich nur eine kurze Auszeit.
Als Elizabeth am 21. April 1926 in London auf die Welt kommt, ist noch nicht abzusehen, dass sie eines Tages zur dienstältesten Monarchin Großbritanniens werden soll. Sie ist Dritte in der Thronfolge nach ihrem Onkel Edward VIII. und ihrem Vater George VI. Doch als Elizabeth zehn Jahre alt ist, dankt Edward überraschend ab. Ihr Vater wird König und sie Thronfolgerin. Von da an ist ihr Leben darauf ausgerichtet, Staatsoberhaupt zu sein.
Mit 13 Jahren verliebt sie sich in den schneidigen Philip. Der griechische Prinz aus dänisch-deutschem Adel ist nicht die erste Wahl ihrer Eltern. Doch Elizabeth lässt nicht locker. Nachdem die beiden heiraten, weicht er nicht mehr von ihrer Seite. Später betont sie, er sei ihre Stärke und ihr Halt in all diesen Jahren gewesen. „Ich bin ihm mehr schuldig, als er jemals zugeben würde.“ Die beiden bleiben sich bis zum Tod Philips aufs engste verbunden. Als er stirbt, gehen die Bilder der wegen Corona-Regeln einsam in dem hölzernen Chorgestühl der St.-George’s-Kapelle trauernden Queen um die Welt.
Schon ihrer Thronbesteigung ging der Verlust eines geliebten Menschen voraus: Scherzhaft wird sie als einzige Prinzessin bezeichnet, die einen Baum bestieg und als Königin hinunterkam. Die Nachricht vom Tod ihres Vaters erreicht Elizabeth und ihren Mann Philip 1952 auf einer Kenia-Reise in einem Baumhaus-Hotel. Elizabeth kehrt als Königin nach London zurück. Sie ist damals gerade 25 Jahre alt. Millionen verfolgen die Krönungszeremonie am Fernseher.
Alles ist der Pflicht untergeordnet. Auch die Familie. Die vier Kinder, Charles, Anne, Andrew und Edward, heißt es später, hätten nicht viel von ihrer Mutter gehabt, die fast täglich offizielle Termine wahrnimmt. Später, Anfang der neunziger Jahre, bereiten wiederum die Kinder ihrer Mutter Kummer: Eine Ehe nach der anderen zerbricht.
Sie selbst nennt es annus horribilis, das Schreckensjahr: 1992 lässt sich Prinzessin Anne von Ehemann Mark Phillips scheiden, Prinz Charles und Diana gehen auseinander und auch Prinz Andrew und seine Frau Sarah Ferguson trennen sich. Im November steht Schloss Windsor in Flammen. Elizabeth ist tief getroffen, heißt es. Doch sie bewahrt Haltung: eine „stiff upper lip“, eine steife Oberlippe, wie man in Großbritannien sagt. Das verschafft ihr viel Anerkennung.
Anders ist es, als Ex-Schwiegertochter Diana 1997 bei einem Autounfall in Paris stirbt, gemeinsam mit dem Geliebten. Die Queen schweigt, als die Nation in Trauer versinkt. Ihr wird Gefühlskälte vorgeworfen. Erst nach Tagen beugt sie sich dem Druck. Der Tod der „Königin der Herzen“ markiert den Tiefpunkt der Beziehung zwischen Elizabeth II. und ihrem Volk.
Schrittweise erobert sie sich den Respekt ihrer Untertanen zurück. Die Queen lächelt mehr, gibt sich zugänglicher. Als Prinz William, der älteste Sohn Dianas, 2011 seine Jugendfreundin Katherine Middleton heiratet, haben sich die Briten längst ausgesöhnt mit der Queen. Selbst Charles, der Diana mit seiner Jugendliebe Camilla betrog, ist rehabilitiert. Doch der Frieden währt nicht lange. Missbrauchsvorwürfe gegen Sohn Andrew und der Rückzug von Enkel Harry und seiner Frau Meghan von royalen Pflichten belasten die Queen.
Doch die Queen hat auch eine unbeschwerte Seite. Die zeigt sich vor allem an ihrer Liebe zu Tieren. Seit ihrem vierten Lebensjahr reitet sie und steigt noch in den Sattel als sie schon fünffache Uroma ist. Im Frühsommer 2022 feiert die Queen 70. Thronjubiläum mit einem mehrtägigen Fest in London. Doch zu diesem Zeitpunkt zieht sie sich schon vermehrt von royalen Pflichten zurück.
Den Thron nehmen auf absehbare Zeit Männer ein: Sohn Charles, Enkel William und Urenkel George. „God Save the King“ wird die Nationalhymne künftig lauten. Ihrer toten Königin rufen die Briten ein letztes Mal zu: „God Save the Queen“ – Gott beschütze die Königin. S. SCHWINDE/C. MUSCHIOL/ C. MEYER/S. KUSIDKLO