London – Staatsoberhäupter aus aller Welt waren gekommen, Königinnen und Könige, Sultane und sogar der japanische Kaiser Naruhito, der sonst nie an Beisetzungen teilnimmt. Hunderttausende nahmen am Straßenrand Abschied und warfen Blumen, als der Leichenwagen die Königin zum letzten Mal aus der britischen Hauptstadt zur Beisetzung in ihre geliebte Residenz Schloss Windsor brachte. Es war ein königliches Jahrhundertereignis. König Charles III. wirkte ergriffen, als er mit seiner engsten Familie den Sarg seiner Mutter durch die britische Hauptstadt geleitete. Tränen schimmerten in den Augen des 73-Jährigen.
Das Staatsbegräbnis, es war minutiös durchgetaktet. In die königliche Standarte gehüllt wurde der Sarg aus der Westminster Hall des Parlaments in die nahe Westminster Abbey getragen. Dort nahmen etwa 2000 Gäste an dem einstündigen Gottesdienst teil. In der Abtei hatte Queen Elizabeth II. 1947 ihren Ehemann Prinz Philip geheiratet und war 1953 gekrönt worden. Nach dem Gottesdienst führte der letzte Weg der Queen vorbei am Buckingham-Palast zum Wellington Arch und dann nach Schloss Windsor, wo Elizabeth II. neben ihrem erst im vergangenen Jahr verstorbenen Philip die letzte Ruhe findet.
Menschenmassen drängten sich im Stadtzentrum oder nutzten Public Viewings etwa im Hyde Park. „Wir haben eine gute Show geliefert“, sagte die Londonerin Kas Girdler stolz. „Darin sind wir gut, das können wir. Morgen wird alles wieder normal sein.“ Jede Minute des Trauerzugs erklang ein Salutschuss, auch die berühmte Glocke Big Ben schlug regelmäßig. Soldaten in Galauniform schritten mit dem Sarg. Die vielen Uniformen und das Zeremoniell erinnerten viele Beobachter an das einstige britische Empire, das während Elizabeths Regentschaft weiter bröckelte.
Nun also ist die Queen Geschichte und Charles III. die Gegenwart. Aber wie sieht die Zukunft der britischen Monarchie und des Commonwealth aus? Für die Briten war der gestrige Tag mehr als der Abschied von ihrem Staatsoberhaupt. Es war ein Aufbruch ins Ungewisse. In den vergangenen zehn Tagen ist bereits deutlich geworden, dass der Tod der Queen die Debatte um den britischen Kolonialismus intensivieren wird. Schon werden vor allem in den USA Forderungen laut, man müsse untersuchen, inwiefern gerade auch die Königsfamilie von der Ausbeutung fremder Völker profitiert hat. „Solange sie regierte, konnte das Establishment die Schrecken übertünchen“, analysiert die Kolumnistin Afua Hirsch. „Jetzt ist die Zeit für schmerzliche Wahrheiten gekommen.“
Der Theologe Michael Hölzl von der Universität Manchester sprach gestern von einem bevorstehenden grundlegenden Wandel im Vereinigten Königreich und Commonwealth. Er habe das Land gerade heute „wie eingefroren“ erlebt, sagte er. Selbst auf den Straßen seien Menschen zur Gedenkminute stehen geblieben. „Zugleich war der Abschied von der Queen wie ein Zugrabetragen der Monarchie insgesamt.“ Die Ehrerbietung habe „in erster Linie der Person der Queen und nicht dem Königshaus an sich“ gegolten. Ohne die Queen als Klammer werde die Monarchie „sicher nicht so wie bisher“ bestehen bleiben. Einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge wünschen sich 77 Prozent der Briten eine Fortsetzung der Monarchie. Das Commonwealth dürfte aber weiter bröckeln – und auch Schottlands Weg könnte sich verändert haben: weg von der britischen Union, um der europäischen wieder beitreten zu können.