München – Ein kühler Wind weht durch die Gassen auf der Theresienwiese. Einem Mann wird der Hut vom Kopf geweht, bei anderen schlagen die Regenschirme um. Es ist wie verhext. Der Sommer war in Deutschland heiß und trocken wie nie – und jetzt? Pünktlich zum Oktoberfest geht’s München nass nei: Dauerregen, Bibberkälte. Und das ausgerechnet nach zwei Jahren pandemiebedingten Wiesn-Ausfalls.
Die Wirte und Schausteller hätten also genügend Gründe, Trübsal zu blasen. Denn es ist spürbar weniger los in diesem Jahr. Von etwa zehn Prozent weniger Besuchern als 2019 spricht die Stadt. Aber Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner gibt sich trotzdem unverwüstlich: „Die Wiesn ist verregnet, aber glücklich. Die Wiesn-Fans sind zufrieden“, sagt er vor dem Abschlusswochenende. „Die Wiesn als Fest ist zurück. 2023 kann kommen.“
Auch bei den Wirten ist das Wetter natürlich Thema. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es schon mal durchgehend so kalt und regnerisch war“, sagt Wiesn-Wirte-Sprecher Peter Inselkammer. Zur Wiesn wird’s warm – das galt lange als ungeschriebenes Wettergesetz. Von wegen. Doch auch bei Peter Inselkammer herrscht Zweckoptimismus: „Die Wiesn funktioniert.“ Die Stimmung in den Zelten sei gut – auch, wenn weniger los ist.
Zu spüren ist das vor allem an den Vormittagen. Da gibt das Oktoberfest diese Woche ein trauriges Bild ab: Kaum Besucher schlendern über das Festgelände. Die wenigen, die da sind, halten statt Schmankerln aus den Buden ihre Regenschirme in der Hand. Manche Fahrgeschäfte starten gar erst gegen Mittag ihren Betrieb, Buden sind teils noch mit grauen Rollläden verschlossen. Der ein oder andere Schausteller jammert. Doch die Trübseligen sind in der Minderheit. Der Tenor bei den meisten: „Wir machen das Beste draus.“ Sauwetter hin oder her.
Gabi Walter ist an ihrem Bratwurst-Stand den Umständen entsprechend zuversichtlich. „Erst mal sind wir natürlich einfach zufrieden, weil wir wieder da sein dürfen“, sagt die 56-Jährige. Das schlechte Wetter? Natürlich ärgerlich. „Aber da kannst du nichts machen.“ Im Laufe des Tages nehme die Besucherzahl zwar zu, aber man merke, dass die Leute vorsichtiger geworden seien. „Inflation, Krieg, Krise, Pandemie.“ Die Gründe dafür sind vielfältig.
Dass die Menschen sparen, merkt auch Josy Steinker an ihrem Altbayrischen Schießstand. Die 68-Jährige ist mit der Schießbude aufgewachsen. Sie und ihre zwei Mitarbeiterinnen Christiane und Corinna leiden nicht nur unter Regen und Kälte. Die Misere begann schon früher: Ein Großteil ihrer Ware und ihrer Preise im Stand kommt aus China. Verzögerungen, Lieferengpässe und höhere Einkaufspreise gehörten zum Alltag. „Wir haben schon im Sommer begonnen, Ware fürs Oktoberfest zu hamstern“, sagt Josy.
Dass die Einnahmen heuer mit 2019 nicht mithalten können, merkt auch Renate Wagner. „Da führt kein Weg hin“, sagt sie. Die 81-Jährige betreibt seit 50 Jahren eine Schießbude auf der Wiesn. Dick eingepackt sitzt sie dort und beobachtet die wenigen Passanten. „Am Wetter kann ich nichts ändern und ich bin froh, dass es mir gutgeht“, sagt die Wiesn-Veteranin.
Ihre Wiesn-Premiere haben heuer Lara Strein (19) und Christina Hellweger (21) gefeiert. An Miris Hütt’n verkaufen die beiden Schnaps und Cocktails. „Wir hätten schon gedacht, dass mehr los ist“, erzählen sie. „Aber die Leute sind alle sehr freundlich.“ So ein Schnaps wärmt schließlich von Innen. Die ersten Besucher würden schon vormittags an den Stand kommen und ein Stamperl trinken. Die beiden haben aber einen anderen Trick, um warm zu bleiben: den Heizstrahler in ihrer Bude – und dazu bis zu fünf Lagen Klamotten.
Am härtesten trifft es heuer die Biergarten-Bedienungen. Bei einigen ist der Umsatz nahezu komplett weggebrochen. Manche nehmen’s mit Humor. Manuel, Biergarten-Kellner vom Paulaner-Zelt, sagt: „Wir machen uns warme Gedanken.“ Dabei ist die Lage frostig. Ein Kollege hat zum Beispiel an einem der ersten Wiesn-Tage nur zwei Mass verkauft. Rafa, der drei Jacken übereinander trägt, sagt: „Du hast deine Standard-Ausgaben, und es kommt nichts rein…“
Nicht ganz so schlimm ist’s für die Kellner in den Zelten. Aber: „Generell gibt es nicht so einen großen Ansturm“, sagt Tobi aus der Ochsenbraterei. Vor allem bei den Reservierungen merke er das: Viele erscheinen nicht, auch ohne abzusagen – und schon fehlen die Gäste. Tobi rechnet mit 30 Prozent weniger Umsatz als 2019. „Aber es ist schwierig zu sagen, wir haben ja noch ein paar Tage vor uns.“ Da schimmert sie noch durch, die Hoffnung auf den Wiesn-Endspurt.
Gegen Nachmittag ist auf der Theresienwiese dann auch schon mehr los. Am Abend leuchtet es aus jeder Ecke. Es wird voller auf dem Festgelände. Und in den Zelten, da steigt wie gewohnt die Party. Layla, Hulapalu und Sweet Caroline – die volle Dröhnung aus allen Richtungen. Die Menschen tanzen auf den Bierbänken und singen mit. „Es ist halt ein bisschen lockerer“, sagt Peter Inselkammer mit Blick auf die Auslastung. Er hofft zum Abschluss des 187. Oktoberfests auf ein gutes langes Wochenende. „Damit können wir aufholen.“ Vorausgesetzt, das Wetter spielt einigermaßen mit. Für kommende Woche sieht die Vorhersage übrigens wieder deutlich freundlicher aus. Pünktlich zum Ende der Wiesn.