München – Was vor 175 Jahren als Zehn-Mann-Betrieb in einem Berliner Hinterhof begann, ist heute ein Weltkonzern. Nicht nur Entscheidungen der Geschäftsführung haben Siemens geformt. Gewerkschaften, in Deutschland etwa die IG Metall, haben Siemens genauso geprägt wie Regierungen weltweit.
Zum einen lebt Siemens von staatlichen oder staatsnahen Aufträgen – seit seiner Gründung: Der erste Großauftrag 1848 ist der Bau einer Telegrafieleitung von Berlin nach Frankfurt, genehmigt vom preußischen König. Friedrich Wilhelm IV. wollte eine schnelle Verbindung zwischen der Hauptstadt Berlin und der neuen Nationalversammlung in Frankfurt.
Bis heute ist Siemens politisch: Freistaat Bayern, Bundesrepublik Deutschland, EU – jede administrative Ebene hat ihr eigenes Interesse.
Beispiel Bundesregierung: Sind Bundeskanzler oder früher die Kanzlerin auf Auslandsreise, fliegen Siemens-Manager oft als Teil einer Wirtschaftsdelegation im Regierungsflieger mit. Neue Auslandsaufträge werden eingefädelt, oft abgesichert durch Hermes-Bürgschaften des Wirtschaftsministeriums. Interesse der Regierung: Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland, Sicherung von Arbeitsplätzen. Aber auch politische Beschlüsse wie Atom- oder Kohleausstieg beeinflussen das Geschäft.
In der jüngsten Geschichte hat die EU Siemens geformt. 2019 untersagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die Fusion der Siemens-Bahn-Sparte mit dem französischen Konkurrenten Alstom. Hätte sie grünes Licht gegeben, sähe Siemens heute anders aus. Aktuell gliedert sich der Konzern in die Sparten Siemens Mobility mit dem Eisenbahngeschäft, Digital Industries mit dem Industriegeschäft und Smart Infrastructure, dazu zählt etwa die Gebäudetechnik. Am Dax-Konzern Siemens Healthineers halten die Münchner rund drei Viertel der Aktien. Siemens ist heute in fast allen Ländern der Welt tätig. Nur aus Russland hat sich Siemens nach dem Ukraine-Überfall verabschiedet – auch Geopolitik prägt.
Ende des Geschäftsjahres 2021 beschäftigte Siemens weltweit 303 000 Mitarbeiter. Der Jahresumsatz lag bei 62,3 Milliarden Euro. Größte Einzelaktionärin mit einem Anteil von rund sechs Prozent ist die Siemens-Familie, im Aufsichtsrat vertreten durch Nathalie von Siemens, Ururenkelin des Firmengründers.
Siemens wandelt sich weiter: „Unser Anspruch ist, dass wir uns immer wieder neu erfinden, neue Technologien und Trends antizipieren, agil bleiben, uns nicht auf Erfolgen ausruhen“, sagt Roland Busch (Foto), seit über einem Jahr Chef des Konzerns. „Wir wollen auch die nächsten 175 Jahre weltweit eine Hauptrolle spielen.“ SEBASTIAN HÖLZLE