Markt Indersdorf – Rosi kann sich kaum noch zügeln. Ganz aufgeregt drängt sie vorwärts, aber die Hand am Halsband ist stärker. „Wir nennen sie Rosi, die Rakete“, sagt Alexandra Betz und lacht. Woher der Spitzname kommt, wird klar, als Alexandra das Halsband loslässt. Voller Enthusiasmus stürmt die vierbeinige Rakete auf den Gast an der Wohnungstür zu.
Rosi ist ein Jahr alt, Rasse Magyar Vizsla. Goldgelbes Fell, mittelgroß – und jede Menge Energie. Neben Alexandra Betz, 38, steht Isabel Mall. Die 24-Jährige ist das zweite Frauchen von Rosi. Alexandra und Isabel sind kein Paar und auch keine Wohngemeinschaft, aber sie teilen sich Rosi. „Dogsharing“ nennt sich der Trend.
Immer mehr Leute, vor allem Jüngere, wollen einen Hund oder haben schon einen. Was oft fehlt, ist Zeit. „Dogsharing“ soll das Problem lösen: Zwei gleichberechtigte Halter, ein Hund. Einen Partner findet man über Webseiten wie „dogsharing.de“, „hundelieb.com“ – oder über soziale Medien.
„Vor Rosi hatte ich schon 17 Jahre lang eine Hündin, die ich immer zur Arbeit mitnehmen konnte – bis ich meinen Job gewechselt habe“, erzählt Alexandra. Im letzten Lebensjahr der Hündin musste Alexandra sie deshalb während der Arbeit immer bei ihrer Mutter abgeben. Alexandra war dankbar für die Hilfe, doch sie wusste: Das ist keine langfristige Lösung.
Nach dem Tod der Hündin macht sich Alexandra also Gedanken: „Ich wollte unbedingt wieder einen Hund. Aber wer unterstützt mich?“ Sie informiert sich über Hundebetreuungen. Die Preise liegen zwischen 40 und 50 Euro pro Tag – finanziell für sie nicht machbar. Deshalb startet Alexandra über Facebook, Instagram und Whatsapp einen Aufruf und fragt: „Wer will sich mit mir einen Hund teilen?“. Sie erhält eine Nachricht von Isabel. Isabel Mall kommt, genau wie Alexandra, aus Markt Indersdorf im Landkreis Dachau.
Vom Sehen kannten die Frauen sich schon, aber engeren Kontakt gab es nie. Auch Isabel hatte vor Rosi einen Hund. Nach seinem Tod war der Wunsch nach einem neuen Haustier groß. „Aber es ist schwer, jemanden zu finden, der immer Zeit hat, wenn du auf der Arbeit oder im Urlaub bist“, sagt die 24-Jährige. Als sie Alexandras Dogsharing-Post sieht, denkt sie sich: „Warum nicht?“
Und es funktioniert. Sowohl zwischen den beiden als auch mit Rosi. Von Geburt an ziehen sie die Hündin gemeinsam auf, sind immer zu zweit bei der Hundeschule und anderen Terminen. Inzwischen hat Rosi sogar einen Instagram-Account – @rosi.the.vizsla.girl. Isabel macht die Fotos, Alexandra schreibt die Texte. Im Hunderegister steht nur Alexandra, da nur ein Besitzer eingetragen werden kann. Für die beiden ist das aber nicht mehr als eine Formalie.
Dass alles so problemlos funktioniert, liegt vor allem an klaren Absprachen: „Wir haben lange vorher geredet, um zu schauen, wie wir uns die Erziehung von Rosi wünschen. Zum Glück haben wir die gleichen Vorstellungen“, sagt Alexandra. Die Hündin muss sich immer an dieselben Regeln halten und hat ähnliche Tagesabläufe. „Es darf nicht alles immer wieder neu sein, sonst kapiert der Hund ja nichts mehr“, finden beide Dogsharer. „Auch zwischen uns beiden passt es einfach. Sonst kann man es gleich vergessen“, sagt Isabel.
Der Alltag wird um den Job geplant. Beide arbeiten in verschiedenen Firmen der Automobilbranche, Alexandra als Assistentin der Geschäftsführung, Isabel in der Buchhaltung. Beide können teilweise von zu Hause aus arbeiten, sodass immer diejenige Rosi bekommt, die gerade daheim ist. Wer an den Wochenenden zuständig ist, verhandeln sie immer neu. „Wenn ich an einem Tag wandern gehe, dann nehme ich sie mit. Für die Ausbildung als Suchhund ist Alexandra der Hundeführer“, erklärt Isabel.
Dass Dogsharing reibungslos läuft, ist nicht immer der Fall: „Ob es funktioniert oder nicht, ist individuell und kommt auch auf den Hund an“, sagt Isabel Boergen, Chefin der Münchner Hundeschule „Weltstadt mit Hund“. Empfehlen würde sie Dogsharing nicht. „Das ist wie bei einem Scheidungskind: Ein Hund würde so ein Verhältnis nie freiwillig wählen.“
Bei Alexandra und Isabel ist die Situation insofern anders, als Rosi von Beginn an in zwei Haushalten aufwuchs. Eine „Scheidung“ musste die Suchhündin also nicht mitmachen. Sie hat vielmehr schon immer zwei Familien. In jedem Fall sollten Dogsharer darauf achten, wie der Hund mit dem Lebensstil klarkommt, rät Boergen. „Die Besitzer sollten ein Auge darauf haben, ob der Hund von dem ständigen Wechsel gestresst ist. Das kann man daran sehen, wenn er schlecht schläft, sich bei einem Besitzer anders verhält oder weniger frisst.“ Aber, schränkt die Hundetrainerin ein: „Die Symptome können auch andere Ursachen haben.“
Neben dem Charakter der Halter, sagt Boergen, sei auch der des Hundes entscheidend. „Wenn ein Hund sich nicht zu stark an eine Person bindet, einen entspannten Charakter hat und gut mit Ortswechseln klarkommt, dann kommt Dogsharing eher infrage.“ An der Hunderasse allein könne man das freilich nicht festmachen.
Sich einen Hund aus dem Tierheim zu holen, davon rät Boergen beim Dogsharing ab. Tierheim-Hunde hätten häufig eine schwierige Vorgeschichte. „Das Ganze soll ja nachhaltig erfolgreich sein, aber gerade Hunde aus dem Tierheim brauchen ein stabiles Umfeld.“ Insgesamt dürfe man Dogsharing nicht unterschätzen. „Die Arbeit – also Hundeschule, Gassigehen – bleibt dieselbe, wenn auch auf weniger Zeit verteilt. Ich empfehle lieber, dass Personen sich zum Gassigehen anbieten – oder als Hundesitter über einen bestimmten Wochenzeitraum.“
Alexandra und Isabel zeigen aber, dass Dogsharing funktionieren kann. Ganz bewusst haben sie sich nicht für einen Straßenhund oder einen aus dem Tierheim entschieden. Rosi kommt vom Züchter und hat sich sowohl im Singlehaushalt von Alexandra als auch in der Familie von Isabel, die noch bei ihren Eltern lebt, gut eingefunden. Mit ihrem erst einen Lebensjahr ist sie noch ein rechter Treibauf, aber ein fröhlicher. Einen Nachteil gegenüber „normalen“ Hundehaltern sehen die Frauchen nicht. „Wenn alle wissen, worauf sie sich einlassen, dann gibt es kein Problem.“