München – Warum wird eigentlich der Hund in der Pfanne verrückt? Rolf-Bernhard Essig kann’s erklären. Der Literaturwissenschaftler aus Bamberg ist Sprichwort-Experte und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Ursprung deutscher Redewendungen. Sein neues Buch „Pünktlich wie die Maurer“ (Duden-Verlag, 12 Euro) dreht sich rund um Redensarten aus dem Handwerk. Im Interview erklärt Essig, warum sowohl Locken als auch Bilanzen frisiert werden können und was ein Blackout mit englischen Theaterstücken zu tun hat.
Herr Essig, Sie erklären in Ihrem Buch 350 Handwerksredensarten. Sind Sie so etwas wie ein Meister Ihres Faches?
Ich bin zumindest seit Kindheitstagen mit dem Handwerk konfrontiert. Mein Vater hat die Dinge gern selbst in die Hand genommen. Ganz gleich, ob es um Zimmer- oder Dachdeckerarbeiten ging – er war handwerklich sehr geschickt, wenn auch auf Amateur-Basis. Ich habe mitbekommen, wie man Heizungen repariert und Beton gießt. Und dabei fiel mir auf: Ganz viele Redewendungen im Alltag kommen aus dem Handwerk. Wenn man zum Beispiel „Was soll der Kitt?“ sagt, dann ist mit „Kitt“ eigentlich eine graue Masse gemeint, mit der man Fensterscheiben fixiert. Und in der Redewendung steht es für „Blödsinn“.
Damit einem so etwas auffällt, muss man vermutlich „jedes Wort auf die Goldwaage legen“.
Dieses Sprichwort gab es übrigens schon in der Antike! Aber ja, tatsächlich beschäftige ich mich schon seit vielen Jahren mit sprichwörtlichen Redensarten. Mein Vater war Seemann, meine Mutter war Lehrerin und dazu sehr religiös. In all diesen Bereichen tendiert man dazu, sehr bildhaft und sprichwörtlich zu formulieren. Das hat wohl auf mich abgefärbt. Nachdem ich Germanistik und Geschichte studiert habe, bin ich immer tiefer in die Welt der Redewendungen eingetaucht.
Warum kommen so viele Redewendungen aus dem Handwerk?
Das gilt für alle Berufsgruppen: in der Medizin, der Seefahrt, in der Botanik – überall gibt es Redensarten, die in unseren Alltag eingeflossen sind. Selbst in der Steuer- und Unternehmensberatung. Das Handwerk ist eben nur ein Bereich, in dem die Redensarten sehr, na ja, handfest sind.
Welche Redensart hat Sie bei Ihren Recherchen besonders überrascht?
Nehmen wir das „Frisieren“ – wir kennen es alle vom Friseur. Als ich an dem Buch gearbeitet hatte, habe ich gar nicht daran gedacht, dass das Wort auch in einem ganz anderen Kontext verwendet wird: Man kann ja auch Bilanzen und Motoren frisieren. Ich konnte mir den Zusammenhang erst nicht erklären. Dann erfuhr ich: Das französische Wort „friser“ heißt so viel wie „kräuseln“. Das hat man einerseits mit Haaren gemacht, wenn man Locken gedreht hat. Aber es war früher auch gängig, dass Modisten Stoffe kräuselten, um sie hochwertiger erscheinen zu lassen. Damit wurden also Stoffe verbessert – wie beim Frisieren eines Motors. Diese Verbesserung war allerdings auch manchmal eine Art Mogelei – wie beim Frisieren von Bilanzen.
Haben Sie eine Lieblingsredewendung?
Ja: „Einen Blackout haben.“ Für mich eine sehr schöne Formulierung aus dem 19. Jahrhundert, die ursprünglich aus dem englischen Theater kommt. Wenn man eine Szene besonders dramatisch beenden wollte, löschte man plötzlich alle Lichter. Der Darsteller verließ dann im Dunkeln die Bühne. Im Drehbuch stand dann: black out. Heute wird das beim Stromausfall gesagt oder wenn Leute nicht ganz helle sind, sich plötzlich an etwas nicht mehr erinnern. Diese Metapher sitzt.
Viele dieser Sprüche sind sehr alt. Können sich auch heute noch neue Redewendungen etablieren?
Definitiv! Nehmen wir „total verpixelt sein“: Das kommt aus der Computertechnik beziehungsweise aus dem Grafikdesign. Wenn man jemanden auf Fotos oder Videos zum Beispiel aus Datenschutzgründen unkenntlich machen muss, verpixelt man ihn. Das wurde rasch sprichwörtlich für dumme, verwirrte, desorientierte Menschen. Jugendliche sagen zu so was auch „lost sein“.
Setzt sich so etwas als Redewendung durch?
Schwer zu sagen, denn Jugendsprache tendiert dazu, schnell zu veralten. Dabei erfinden junge Leute vor allem neue Sprüche, um sich abzuheben – deshalb weiß man nicht, wie lange sich so etwas hält. Gleiches gilt für „Ich habe heute leider kein Foto für dich“, der Spruch von Heidi Klum, wenn jemand bei „Germany’s Next Topmodel“ rausfliegt. Oder „Niveau ist keine Hautcreme“. Das kann sich etablieren oder nur für kurze Zeit ein netter Ausdruck sein.
Sterben nicht alle Sprichwörter irgendwann aus?
Manchmal denkt man, dass eine Redewendung ausgestorben ist – und dann ist sie plötzlich wieder da. „Alter Schwede“ hat man zum Beispiel ewig nicht mehr gesagt. Seit junge Leute aber generell den Ausruf „Alter“ verwenden, ist auch „Alter Schwede“ zurück.
Wofür brauchen wir Redewendungen überhaupt?
Ich habe dafür mal zehn Gründe gelistet, aber das wären hier zu viele. Redewendungen können zum Beispiel Kompetenz vermitteln. Wenn man etwas aus der Motortechnik erklären will und dabei viele Redewendungen aus dem Bereich nutzt, kann man dem Zuhörer suggerieren: Der kennt sich aus, muss vom Fach sein. Und sie können motivieren. Wenn ich mich zu einer Arbeit nicht aufraffen kann, sage ich mir etwa: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Für Gläubige können Redewendungen auch Trost spenden, wenn man sich sagt: „Der Herr hat’s gegeben und der Herr hat’s genommen.“ Sprichwörter sind keine in Stein gemeißelten Gesetze – um beim Handwerk zu bleiben –, aber sie können guten Rat für den Alltag geben.
Interview: Kathrin Braun