Wenn der Lebensgefährte zum Fremden wird

von Redaktion

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VON WOLFGANG HAUSKRECHT

München – Anna und Julian sind ein glückliches Paar. Seit 30 Jahren leben sie zusammen. Sie haben zwei gemeinsame erwachsene Kinder und wollen gemeinsam alt werden. Sie sparen auf ein Konto, beschenken sich. Den Urlaub zahlt, wer gerade genug Geld übrig hat. Nichts unterscheidet Anna und Julian von einem Ehepaar – außer, dass sie nicht verheiratet sind. Was sie nicht ahnen: Ständig bewegen sie sich am Rande der Steuerhinterziehung. Worüber sie auch nie nachgedacht haben: Was ist, wenn einer unerwartet stirbt? Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen, die sich unverheiratete Paare dringend stellen sollten.

Können sich unverheiratete Paare ein gemeinsames Vermögen aufbauen?

Ja, aber steuerrechtlich ist das ein Problem – denn sie gelten als Fremde. Im Grunde ist alles, was sich Anna und Julian gegenseitig kaufen, eine Schenkung – und steuerpflichtig. Der Steuersatz liegt bei 30 Prozent, ab sechs Millionen Euro sogar bei 50 Prozent. Mit 20 000 Euro in zehn Jahren ist der Freibetrag mickrig – im Gegensatz zu Ehepaaren mit 500 000 Euro.  Beispiel: Anna und Julian finanzieren gemeinsam eine Immobilie, jeder ist hälftig Eigentümer. „Das Darlehen wird von beiden geschuldet“, erklärt Paul Grötsch, Geschäftsführer des Deutschen Forums für Erbrecht. „Steuerrechtlich sauber wäre es, wenn jeder von seinem Konto die Hälfte der Monatsrate bezahlt.“ Zahlt vor allem einer, wie es in der Praxis wegen unterschiedlicher Gehälter häufig vorkommt, ist das schnell eine verdeckte Schenkung.  Zahlt Julian für Anna in zehn Jahren 100 000 Euro ab, müsste Anna 80 000 Euro mit 30 Prozent versteuern – das sind 24 000 Euro. Auch Schmuck, eine Weltreise zum Geburtstag oder ein Auto können steuerrechtlich relevante Schenkungen sein. Eine Ausnahme sind die üblichen Lebenshaltungskosten.

Julian hat einen Unfall – und stirbt. Ein Testament gibt es nicht. Was bedeutet das für Anna?

Das Erbrecht ist unerbittlich: Es gilt die gesetzliche Erbfolge. „Dort ist der Unverheiratete nicht vorgesehen – den gibt es nicht“, erklärt Grötsch. „Er ist rechtlos und erbt gar nichts.“ Das Vermögen geht an die nächsten Verwandten. Das können auch Onkels, Tanten, Neffen und Nichten sein – nur nicht Anna. Bei Verheirateten hingegen steht automatisch der Partner ganz vorne in der Erbfolge.

Und die Immobilie? Was wird aus Julians Hälfte?

Die ist auch weg. „Ich hatte erst so einen Fall“, erzählt Grötsch. Ein Paar, das viele Jahre zusammen war, habe gemeinsam ein Haus gebaut. Dann starb der Mann. Ein Testament gab es nicht. „Alleinerbin war die Mutter.“ Besonders knifflig werde es dann, so Grötsch, wenn die Mutter nicht mehr geschäftsfähig sei. „Dann kommt plötzlich ein gerichtlich bestellter Betreuer – und mit dem ist es besonders schwierig zu klären, dass man im Haus wohnen bleiben kann.“

Variante: Beide haben das Haus zur Hälfte abbezahlt – aber nur Julian ist als Eigentümer eingetragen.

Eine Katastrophe für Anna. „Obwohl sie die Hälfte gezahlt hat, geht alles an Julians Erben“, sagt Grötsch. Dass Anna Ansprüche an die Erben wegen ungerechtfertigter Bereicherung stellen kann, sei sehr fraglich. Anna habe nicht einmal ein Wohnrecht im Haus. Noch ein Problem hat Anna: Mit den Abzahlungen hat sie Schenkungen an Julian geleistet – die steuerpflichtig sind. Grötsch: „Der absolute Super-Gau. Anna schenkt ihm die Hälfte der Finanzierung und begeht unbewusst womöglich noch Steuerhinterziehung. Er stirbt – ihr bleibt gar nichts.“

Julian hat doch ein Testament gemacht – und Anna als Alleinerbin eingesetzt.

Gut für Anna – aber auch für den Fiskus. Denn die Erbschaftsteuer schlägt voll zu. Freibetrag und Steuersätze sind identisch mit der Schenkungsteuer. Damit soll verhindert werden, dass über Schenkungen die Erbschaftsteuer umgangen wird.  Der Freibetrag liegt also ebenfalls bei nur 20 000 Euro. Für alles, was darüber hinausgeht, fallen 30 Prozent Steuer an. Liegt das Erbe über sechs Millionen Euro, sind es sogar 50 Prozent (Grafik). „Unverheiratete zahlen die volle Steuerlast – so wie ein Fremder.“    Ganz anders bei Ehepaaren. „Der Ehegatte ist der steuerlich am besten gestellte Erbe“, erklärt Grötsch. Sein Freibetrag liegt bei 500 000 Euro. Erbt er mehr, ist die Steuer immer noch viel geringer als bei Unverheirateten.  Keinen Anspruch haben unverheiratete Hinterbliebene zudem auf den Versorgungsfreibetrag von bis zu 256 000 Euro, der Ehegatten zusteht.  Auch bei Steuerbefreiungen sind sie außen vor.  Beispiel Eigenheim: Bei Ehegatten bleibt das Eigenheim – zusätzlich zum Freibetrag – komplett steuerfrei, wenn man nach dem Tod des Gatten mindestens zehn Jahre dort leben bleibt. Grötsch: „Das sind gewaltige Unterschiede, wie sie größer gar nicht sein können.“

Wie erbt der Lebensgefährte überhaupt etwas?

„Das geht tatsächlich nur über ein Testament“, bestätigt Grötsch. Ausnahme: Bei Verträgen wie Bankguthaben Lebensversicherungen, Bausparverträgen oder Wertpapierdepots ist ein „Vertrag zugunsten Dritter“ möglich, der auf den Todesfall begrenzt werden kann. Vereinfacht erklärt, wird bei solchen Verträgen ein Dritter, hier der Lebensgefährte, als Bezugsberechtigter eingetragen. Im Todesfall fallen die Verträge bzw. Konten an den Begünstigten, auch wenn es kein Testament gibt. Die automatische Erbfolge wird also ausgehebelt. Allerdings: „Auf die Erbschaftssteuer wirkt sich das nicht positiv aus“, erklärt Grötsch. Sie wird voll fällig. Also mindestens 30 Prozent.

Gibt es keine Kniffe, sich erbrechtlich mit Verheirateten gleichzustellen?

Nein. Lebensversicherungen sind die einzige Ausnahme – mit einer sogenannten „Über-Kreuz-Versicherung“. Dazu müssen beide Partner eine Versicherung abschließen. Der Kniff: Sie begünstigen sich im Todesfall gegenseitig. Anna ist also Beitragszahlerin und Versicherungsnehmerin, versichert ist aber der Tod von Julian. Julian macht es genau andersrum. Stirbt Julian, bekommt Anna die Todesfallleistung steuerfrei, weil im juristischen Sinne nichts vererbt wird. Stirbt keiner bis zum Vertragsende, bekommt jeder die angesparte Summe ausbezahlt. „Die absolute Katastrophe ist, wenn der eigene Tod versichert und der Lebensgefährte als Bezugsberechtigter eingesetzt ist. Dann wird für den Partner voll Erbschaftsteuer fällig.“

Welche Möglichkeiten gibt es bei Immobilien?

Die Erbschaftsteuer könnte Anna zwingen, das Haus zu verkaufen. „Möglich ist es, nicht das Haus zu vermachen, sondern nur den Nießbrauch“, sagt Grötsch. Heißt: Jemand anderes erbt, etwa die Kinder mit ihren hohen Freibeträgen, der Lebensgefährte bekommt Nießbrauch – also ein mietfreies lebenslanges Wohnrecht. „Dann muss er nur den Kapitalwert des Nießbrauchs versteuern.“  Hier wird eine als real erachtete Kaltmiete mit einem Faktor der Lebenserwartung multipliziert und Anna zahlt auf diese Summe einmalig 30 Prozent Erbschaftsteuer. Anna kann auch eine jährliche Besteuerung wählen. Beispiel: Der ermittelte Mietwert liegt bei 2000 Euro im Monat – 24 000 Euro im Jahr. Darauf zahlt Anna 30 Prozent Steuer jährlich, also 7200 Euro. Wenn Anna das Haus zur Hälfte gehört, fällt der veranschlagte Mietwert entsprechend geringer aus.  Die Erben könnten das Haus zwar trotzdem verkaufen, der Käufer müsste aber den Nießbrauch übernehmen. „Man kann das testamentarisch aber auch so regeln, dass ein Verkauf nicht möglich ist“, sagt Grötsch.

Anna und Julian haben drei Konten. Jeder eines auf seinen Namen und ein Gemeinschaftskonto. Was passiert mit dem Geld?

Das Geld auf Annas Konto gehört ihr, Julians Konto geht an seine Erben. Beim gemeinsamen Konto ist es etwas komplizierter, denn es gibt „Und“- sowie „Oder“-Konten.  Beim Und-Konto können die Inhaber nur gemeinsam verfügen. „Wenn einer stirbt, wird das Konto von der Bank meist gesperrt“, erklärt Grötsch. Beim Oder-Konto kann der Hinterbliebene weiter über das Geld verfügen. Das heißt aber keineswegs, dass es ihm auch gehört. „Gewöhnlich geht man beim Gemeinschaftskonto davon aus, dass das Guthaben hälftig verteilt wird.“ Eine Hälfte gehört Anna, die andere Julians Erben. Ist Anna als Erbin eingesetzt, muss sie Erbschaftssteuer zahlen – womöglich auf selber gespartes Geld.

Anna hat für das Und-Konto eine Vollmacht, die über den Tod hinaus gilt.

Anna kann dann weiter auf das gemeinsame Konto zugreifen. Aber auch hier gilt: Das Geld gehört den rechtmäßigen Erben. Ist das nicht Anna, können der oder die Erben die Vollmacht widerrufen – und Anna verklagen, gibt sie Julians Anteil aus.

Gibt es weitere Fallen bei Gemeinschaftskonten?

Ja, die Schenkungsteuer. Die Bank ist im Erbfall verpflichtet, die Konten ans Finanzamt zu melden. Liegt auf dem Gemeinschaftskonto viel Geld, könnte das Finanzamt prüfen, wer wie viel eingezahlt hat. „Stellt sich heraus, dass es vor allem der Verstorbene war, hätte Anna Schenkungssteuer zahlen müssen. Gemeinsame Konten sind bei Unverheirateten problematisch“, warnt Grötsch. Ausgenommen seien Konten, über die der gemeinsame Lebensunterhalt bestritten wird.

Das Paar hat viele Jahre in Aktien investiert. Das Depot läuft aber nur auf Julian. Geht Anna leer aus?

Gibt es kein Testament zu ihren Gunsten, dann ja. Selbst wenn Anna die meisten Aktien finanziert haben sollte, fällt das Depot in die gesetzliche Erbfolge. Pech für Anna.

Und wenn es ein gemeinsames Aktiendepot ist?

Dann greifen dieselben Mechanismen wie beim anderen Vermögen. Hat Anna eine Vollmacht über den Todesfall hinaus, kann sie weiter über das Depot verfügen – ist aber nicht automatisch die Erbin.  Bei Aktien kann das für Anna Folgen haben: Verkauft sie nach Julians Tod Aktien aus dem gemeinsamen Depot und der Kurs steigt danach, könnte Anna gegenüber den Erben schadenersatzpflichtig sein. Realisiert sie Gewinne, fallen 25 Prozent Abgeltungssteuer zu Lasten der Erben an, die unter Umständen Anna zahlen muss. Grötsch: „Anna sollte deshalb nichts ohne Absprache mit den Erben tun – auch wenn sie eine Vollmacht hat.“

Was ist mit dem gemeinsamen Hausstand?

Gegenstände des Hausstands gehören dem, der sie gekauft hat. Da das aber meist kaum nachweisbar ist, wird davon ausgegangen, dass normaler Hausstand beiden gehört. Die Beweislast, dass der Gegenstand dem Verstorbenen gehörte, liegt laut Grötsch bei den Erben. Am besten sei es, testamentarisch zu verfügen, dass der Hausstand komplett dem länger lebenden Lebensgefährten gehört.

Im Wohnzimmer hängt ein teures Gemälde – Hausstand oder Vermögen?

Knifflig – mit Chancen für Anna. „Die Erben müssten einen Anspruch auf Herausgabe geltend machen und beweisen, dass der Anspruch existiert“, sagt Grötsch. Dann gehe es um Detailfragen: Wer war der Kunstsammler in der Beziehung? Wer hat mehr verdient? Ist das Gemälde überhaupt Teil des Hausstandes? „Das ist dann ein Einzelfallproblem, über das gestritten werden muss.“

Das rät der Erbrechtexperte unverheirateten Paaren.

Wichtig, so Grötsch, sei eine saubere Trennung des Vermögens, um schon zu Lebzeiten steuerpflichtige Schenkungen zu vermeiden. Gehe das nicht, wie bei Immobilien, „muss man klare Vereinbarungen treffen, wer was zahlt, wem was gehört, welche Ansprüche bei Trennung entstehen – und wer was erbt, wenn einer stirbt.“ Also ein Testament. „Das ist bei Ehepaaren schon wichtig, bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist es absolut zwingend, sonst gibt es nur Chaos.“

Ist es klug, ein Testament selbst zu verfassen?

Rein rechtlich geht es selber. „Allerdings ist ein Testament fast immer relativ kompliziert“, warnt Grötsch. Die juristischen Begriffe seien Laien nicht geläufig. „Der Laie glaubt, er schreibt was – und schreibt tatsächlich was ganz anderes.“ Beispiel Vermächtnis und Erbe. Vermacht Julian Anna sein Auto, ist Anna nicht die Erbin. Sie kann aber vom Erben verlangen, das Auto herauszugeben. Bei nicht verheirateten Paaren sei es oft noch komplexer als bei Ehepaaren, wer was bekommen soll. „Das geht meistens schief. Deshalb sollte man sich zwingend beraten lassen.“

Ist das alles gerecht?

Wer sich nicht in den Hafen der Ehe begibt, verdient auch nicht dessen Schutz, lautet eine alte, aber im Erbschaftsteuerrecht immer noch gültige Umschreibung der Gesetzeslage in Deutschland. Die Gerechtigkeitsfrage stelle sich vor allem bei unverheirateten Paaren, sagt Grötsch. „Das ist schon problematisch. Man wird schon fast gezwungen zu heiraten. Das wollen aber immer mehr Menschen nicht. Das Steuerrecht zieht da aber bisher nicht mit.“ Eine Änderung der Gesetzeslage sei nicht in Sicht.

Wäre für Anna alles gut, hätten sie einen Tag vor Julians Tod geheiratet?

Ja. „Eine Frist wie bei Rentenansprüchen gibt es nicht“, sagt Grötsch. „Solange man geschäftsfähig ist, reicht es auch noch am Sterbebett.“

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