München – Da waren es nur noch vier: Deutschland hat in diesem Sommer einen seiner fünf Gletscher verloren. Zu stark war das Eis des Südlichen Schneeferners an der Zugspitze geschmolzen. Die Eisreste werden laut Forschern der Akademie der Bayerischen Wissenschaften in ein bis zwei Jahren vollständig verschwinden – schon jetzt gilt er nicht mehr offiziell als Gletscher. Für die anderen deutschen Gletscher sieht es nicht besser aus: Blaueis und Watzmanngletscher in den Berchtesgadener Alpen sowie Nördlicher Schneeferner und Höllentalferner an der Zugspitze sind auch vom Abschmelzen bedroht. Das ewige Eis in den Alpen schwindet schneller als gedacht.
Der Gletscherschwund führt den Menschen einmal mehr den Klimawandel vor Augen. Die Erde erwärmt sich und damit steigen auch die Temperaturen in den Alpen. Die Folge: Weniger Eis, weniger Schnee – schlicht: weniger Winter. Aber welche Konsequenzen hat das für den Wintersport? War’s das schon bald mit der Pistengaudi? Und was bedeutet das für den Wintertourismus in Bayern?
Maximilian Witting ist 38 Jahre alt, begeisterter Wintersportler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mensch-Umwelt-Beziehungen des Geographie-Departments der LMU München. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist der Klimawandel und dessen Auswirkungen auf den Wintersport. Die gute Nachricht zuerst: Witting glaubt nicht, dass das Skifahren in den Alpen in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr möglich sein wird. Zwar ist der Wintersport und damit auch der Wintersporttourismus besonders vom Klimawandel abhängig. „Für eine Pisteneröffnung müssen einfach bestimmte Schneebedingungen gegeben sein.“ Aber je nach Lage unterscheiden sich die Voraussetzungen der Skigebiete und Wintersportziele enorm.
Ein entscheidender Faktor ist die Höhenlage. „Die natürliche Schneehöhe nimmt immer weiter ab, vor allem im Bereich unter 1500 Metern“, sagt Witting. Für niedrig gelegene Skigebiete sei es deshalb besonders wichtig, Anpassungsstrategien zu entwickeln, um wirtschaftlich überleben zu können. Denn die Anzahl der sogenannten optimalen Skitage, also Tage mit perfekten Skibedingungen wie schneebedeckter Landschaft, blauem Himmel, passender Temperatur und komplett geöffneten Skigebieten, sinkt. Und genau das sind die Tage, an denen Skigebiete den meisten Umsatz machen. Diese Tage werden weniger – und verschieben sich im Jahreszyklus immer weiter nach hinten.
Wittings Doktorvater Prof. Jürgen Schmude hat dazu Modellrechnungen für die 2030er- und 2050er-Jahre am Beispiel des Berchtesgadener Landes erstellt. Schmude forscht seit Jahren zu Tourismuswirtschaft und Nachhaltigkeit an der LMU und ist wissenschaftlicher Leiter am Bayerischen Zentrum für Tourismus in Kempten. Er kam zu dem Ergebnis, dass die meisten optimalen Skitage künftig vor und um Ostern liegen werden. „Aktuell generieren Skigebiete aber noch bis zu 30 Prozent ihres Jahresumsatzes in den Weihnachtsferien“, sagt Witting. In Zukunft müssen sie ihren Hauptumsatz dann machen, wenn potenzielle Skifahrer vielleicht mental schon eher im Biergarten als auf der Piste einkehren.
Über all das müssen sich die Skigebiete Gedanken machen, wenn sie sich für die Zukunft rüsten wollen. Deshalb hält Witting es für sinnvoll, frühzeitig in Alternativen zu investieren, um unabhängiger vom Winter zu werden. Eine mögliche Strategie könnte der Ausbau von Ganzjahrestourismus-Angeboten sein. Damit die Gäste auch dann ihr Frischlufterlebnis bekommen, wenn der Schnee nicht mitspielt.
Das hat sich auch Georg Reisberger vorgenommen. Er ist Geschäftsführer der Oedberglifte, einem kleinen Skigebiet bei Gmund am Tegernsee, das gerade einmal auf 800 Metern Höhe liegt. „Wir brauchen Alternativen, die uns vom Tagestourismus wegbringen“, sagt Reisberger. Bereits vor Jahren hat der Liftbetreiber in die Gastronomie investiert, eine Sommerrodelbahn errichten lassen, dazu Campingplätze und auch eine Kletterwand. Weg vom reinen Skibetrieb. „Wir sind ein Freizeit-Resort“, sagt Reisberger. Seit fünf Jahren möchte er einen Bike-Park bauen lassen. Aber Anwohner und Naturschützer haben Einwände, die Pläne stocken. Wer Alternativen zum Skibetrieb schaffen will, braucht mitunter einen langen Atem.
Breite Sommernutzungskonzepte gibt es auch in den Gebieten Brauneck, Wallberg und Spitzingsee, wo im Winter die AlpenPlus-Gäste ihre Schwünge ziehen. Hier können Gäste im Sommer wandern, klettern, Gleitschirmfliegen oder mit Mountaincarts den Berg hinunterbrettern. „Das Klima ändert sich, das ist Fakt“, sagt AlpenPlus-Sprecherin Antonia Asenstorfer. Aber um den Wintersport in ihren Gebieten macht sie sich mittelfristig keine Sorgen. Für die kommenden 30 Jahre sei auch in niedrig gelegenen deutschen Skigebieten mit hoher Schneesicherheit zu rechnen. Dies hätten Studien gezeigt. Geograf Witting sieht das etwas anders. Zwar werde es immer auch Skigebiete geben, die niedrig liegen und durch kleinräumige Mikroklimata weniger stark vom Klimawandel betroffen sind. „Aber der Trend ist klar.“
Dass nicht nur Skigebiete in Talnähe vom Klimawandel betroffen sind, zeigt ein Blick in die Schweiz. Das Gletscher-Skigebiet „Matterhorn Paradise“ in Zermatt wirbt mit „perfekt präparierten Pisten“ an 365 Tagen im Jahr – und das dank der Höhenlage auf fast 4000 Metern ganz ohne Kunstschnee. Doch in diesem Sommer musste das Skigebiet aus Sicherheitsgründen für einige Wochen schließen. Das Wetter hatte Auswirkungen auf die Gletscherspalten-Aktivitäten gezeigt, wie Marc Lagger von den Zermatt Bergbahnen erklärt. Auch in der Höhe macht sich der Klimawandel bemerkbar.
Und was, wenn der Schnee dauerhaft ausbleibt? Letzte Rettung Schneekanone? Eine kurzfristige Beschneiung kann für höher gelegene Skigebiete bei entsprechenden Temperaturen durchaus eine Strategie für schlechte Winter sein, findet Witting. Hier müsse aber sorgfältig abgewogen werden, ob der Einsatz auch im Hinblick auf die Ressourcen sinnvoll ist.
Denn die künstliche Beschneiung bleibt umstritten. Naturschützer kämpfen dagegen, vor allem, weil die Schneekanonen in Bayern teilweise staatlich gefördert werden. Das Bayerische Wirtschaftsministerium will an der Förder-Praxis festhalten. Wissenschaftler Witting sieht Verbesserungsbedarf. „Subventionierungen könnten an Nachhaltigkeitskriterien und den Einsatz erneuerbarer Energien gebunden werden“, schlägt er vor. „Wir müssen uns einfach überlegen, für was wir unsere Steuergelder einsetzen möchten.“
Doch eins ist auch für Witting klar: Wegen des Klimawandels gänzlich auf den Wintersport verzichten – das hält er nicht für sinnvoll. Aber Skifahrer müssten flexibler werden. Das gelte auch für ihn selbst. „Wenn die Bedingungen passen, gehe ich gerne Skifahren mit meinen Kindern.“ Und wenn nicht? „Dann betätige ich mich eben anderweitig in den Bergen. Denn so weitermachen wie bisher ist für mich keine Option.“ Der Meinung ist auch sein Doktorvater Prof. Schmude. Sein Appell an alle Wintersportler: „Reisen Sie mit Hirn!“ Lieber einmal für mehrere Tage in den Winterurlaub statt an fünf Wochenenden hintereinander. Denn auch An- und Abreise sind ein entscheidender Faktor für den Klimawandel.
Perfekte Skitage? Eher an Ostern als an Weihnachten
Die Förderung von Schneekanonen ist höchst umstritten