Das Imperium aus der Dose

von Redaktion

foto: Picture Alliance

VON GÜNTER KLEIN

Fuschl am See/München – Die Nachricht kam am Samstag kurz vor Mitternacht. In einer Mail informierte Red Bull die Mitarbeiter über den Tod von Firmenchef Dietrich Mateschitz. Nicht überraschend –seit Wochen war bekannt, dass der österreichische Multi-Milliardär schwer krank ist. „Schon bald wird die Trauer Platz machen für Dankbarkeit, dafür, was er verändert, bewegt, bewirkt und so vielen Menschen ermöglicht hat. Wir werden ihm respektvoll und liebevoll verbunden bleiben“, heißt es in der Mitteilung. Man wolle sein Lebenswerk in seinem Sinn fortführen.

„Didi“ Mateschitz, der Mann, der Red Bull erfand, hat nicht viel Öffentlichkeit zugelassen. Der Hamburger Verleger Oliver Wurm begegnete ihm vor 21 Jahren in Sölden eher zufällig. Wurm war damals Redakteur bei der Illustrierten „Max“ und besuchte auf dem Gletscher in den Ötztaler Alpen die Premiere von „Hannibal“, einem auf 2600 Meter Höhe in den ewigen Schnee gesetzten Historien-Spektakel. Mit seinem Sitznachbarn unterhielt er sich ganz nett, doch wer das war, wurde ihm erst klar, als dieser sich verabschiedete, enteilte und in einen Helikopter stieg. Abflug.

Mateschitz ist ein Mythos in der Welt der neuen Wirtschaft. Geboren 1944 in der Steiermark, war er Handelsvertreter, der 1982 auf einer Thailand-Reise ein Getränk kostete, das anregende Wirkung hatte. Kraetin Daeng nannte es sich – „Roter Stier“. Wäre das nicht etwas für den Export nach Europa? Ein Hit in einer Gesellschaft, die sich über Leistung definiert? Wer wach ist, leistet mehr.

Mateschitz gründete mit der Familie Yoovidhya, die die Rechte an der Rezeptur hatte, eine gemeinsame Firma, 49 Prozent gehören ihm. Er nannte das gemeinsame Produkt „Red Bull“. Wirkt viel besser als Kaffee, raunten sich in den 80er-Jahren die Studierenden zu, die auf Examen lernten und dafür durchwachte Nächte brauchten.

Auch unter Sportlern war das Gebräu mit dem koffeinähnlichen Stoff Taurin ein Geheimtipp. „In Deutschland war Red Bull zunächst nicht erhältlich, wir sind dann über die Grenze gefahren und haben es uns an der ersten österreichischen Tankstelle palettenweise besorgt“, erzählt Christian Winkler, der Eishockey-Torwart beim SC Riessersee war. Mittlerweile ist er 51 und bei Mateschitz angestellt. Als „Managing Director Sports Red Bull Eishockey“ ist er für beide Clubs zuständig, die Mateschitz sich gekauft hat: München und Salzburg.

In den traditionellen Sport hatten Mateschitz und Red Bull ihre Aktivitäten 2001 noch nicht ausgeweitet, als Oliver Wurm dem Unternehmer über den verschneiten Weg lief. Gefördert wurde, was eine junge partyaffine Zielgruppe anzog: Snowboard, Klippenspringen, Wingsuit-Fliegen. Oder es wurde einfach eine Sportart erfunden: „Crashed Ice“ zum Beispiel: In Eishockey-Montur stürzten sich die Akteure einen vereisten Parcours, ähnlich einer Bobbahn, hinunter. Red Bull schuf sich seinen Gaudi-, Sport- und Actionkosmos. Das Getränk bekam ein Image. Mateschitz ebenfalls: ein Macher, innovativ und für einen Österreicher auf exotische Weise zupackend.

Oliver Wurm erbat nach der Gletscher-Episode ein Interview für „Max“. Er bekam die Zusage und reiste mit dem Starfotografen Peter Rigaud nach Salzburg. Am dortigen Flughafen hatte Mateschitz sich einen eigenen Hangar hingestellt. Für das Shooting hatte er drei komplette Sets aufbauen lassen und gab vor: Pro Szene sieben Minuten Zeit, fürs Interview 25 Minuten. Wurm erinnert sich, dass es „kein großes Hallo“ gab, man gleich zur Sache kam. „Er war unfassbar entspannt und total kooperativ. Ihm gefiel diese Effektivität.“ Mateschitz bekam acht Seiten in der „Max“, es blieb sein einziges Lifestyle-Interview.

Es gibt Prominente, die Mateschitz einen Freund nannten. Der österreichische Fußballer Martin Hinteregger, berühmt geworden bei Eintracht Frankfurt, ging mit ihm auf die Jagd. Franz Beckenbauer und Reiner Calmund begleiteten ihn auf seinem Investment in den weltweit größten Sport. Und Uli Hoeneß handelte auf der Gesprächsebene, wie sie zwei wirtschaftlich erfolgreiche Menschen finden, mit ihm den Bau einer Arena im Münchner Olympiapark aus, die Mateschitz’ Münchner Eishockey-Mannschaft und die Bayern-Basketballer 2024 gemeinsam beziehen werden. Die Fußball-Rivalität zwischen den Bayern und dem zum Herausforderer gewordenen Mateschitz-Verein Rasenballsport Leipzig überspielten Mateschitz und Hoeneß mit einer auf drei Jahren angelegten Meisterwette. Einsatz: ein Bier. Sie wollen beide demonstrieren, dass sie Kumpel sind. Und im Grunde ihres Herzens einfache Leute.

Der Blick auf Dietrich Mateschitz veränderte sich mit den Jahren. Mateschitz rüttelte an den Fundamenten des etablierten Sports. Er kaufte sich in die Formel 1 ein – und sein Team Red Bull Racing wurde sogleich sagenhaft erfolgreich. Seine Berater rieten ihm, im Fußball aktiv zu werden, da könne er die den Snowboard-Softboots entwachsenen Red-Bull-Trinker an der Dose halten. In Österreich machte er den Traditionsverein Austria Salzburg zu Red Bull Salzburg. In Deutschland suchte er nach einem Standort, der ihm Aufmerksamkeit garantieren würde. Er umwarb (1860) München, (St. Pauli) Hamburg und (Fortuna) Düsseldorf – doch der Deutsche Fußball-Bund wehrte einen Direkteinstieg ins Profilager ab. Mateschitz ging nach Leipzig. Einstieg in der fünften Liga. DFB und Deutsche Fußball-Liga konnten den Aufsteiger nicht mehr aufhalten. Auch im siebten Jahr in der Bundesliga erfährt Leipzig noch viel offene Ablehnung. Auch mit Eishockey konnte Mateschitz nicht punkten. 2013 kaufte er den klammen EHC München, machte ihn reich. Die Fans der gegnerischen Vereine schmähen München als „Salzburger Hure“.

Es setzte ein Ringen um das Bild von Dietrich Mateschitz ein. Eine ARD-Dokumentation setzte ihm zu. Berichtet wurde über die Todesfälle von damals sechs Actionsportlern aus dem Bereich Basejumping und Wingsuit-Fliegen – sie hatten bei Red Bull unter Vertrag gestanden. Waren sie im Dienst der Marke zu einem unverantwortbaren Risiko gezwungen worden? Kritik erntete der 2012 von Mateschitz finanzierte Stratosphären-Sprung von Felix Baumgartner aus fast 39 Kilometern Höhe – da wurde auch firmenintern befürchtet, aus dem „Red Bull“ könnte ein „Dead Bull“ werden.

Offiziell ist Mateschitz immer nur Wohltäter gewesen. Er hat die Stiftung „Wings for Life“ gegründet, weltweit finden Läufe statt, deren Startgelder in die Forschung fließen, um Querschnittslähmungen heilbar zu machen. In Österreich schenkt er Kindern Eishockey-Ausrüstungen, in seiner Akademie in Liefering bei Salzburg finden Sporttalente beste Trainingsbedingungen. „Herr Mateschitz ist selbst Sportler, er gibt jungen Menschen die Möglichkeit, ihren Traum zu leben“, schwärmte der Fußballtrainer Ralf Rangnick, einer von Mateschitz’ wichtigsten sportlichen Botschaftern.

Mit den Jahren versuchte Didi Mateschitz, selbst zum Mitspieler auf dem Medienmarkt zu werden. Er gab Zeitschriften heraus, sein Fernsehsender „Servus TV“ lockte Autoren mit satten Gagen und erwarb Sportrechte.

Doch der Wohlfühl- und Spaßsender bekam eine immer stärkere politische Ausrichtung – vor allem in der Corona-Krise. An Sonntagabenden wetterte das „Corona-Quartett“ um den auf Irrwege geratenen Wissenschaftler Sucharit Bhakdi gegen die Maßnahmen der deutschen Politik, Servus TV lud alle ein, von denen andere Sender wohlweislich die Finger ließen – selbst der rechtsextreme Identitäre Martin Sellner bekam eine Plattform. Mateschitz selbst ließ eine klare Nähe zur FPÖ erkennen, er positionierte sich gegen Zuwanderung, und Arbeitnehmerrechte erschienen ihm hinderlich. Als bei Servus TV ein Betriebsrat gegründet werden sollte, drohte er mit Schließung. Er war der klassische Fall des Patriarchen, der das letzte Wort hatte. Öffentlichkeit gestattete er lediglich seinen sportlichen Protagonisten, den Stars, Fahrern, Piloten, Spielern, Trainern, dem obersten Management – alle anderen mussten anonym bleiben.

Auf ein Vermögen von über 15 Milliarden US-Dollar wird er taxiert. Das US-Magazin „Forbes“ schätzt sogar 24,7 Milliarden Euro. Was nun mit dem Imperium passiert, ist die spannende Frage. Mateschitz hat einen Sohn, Mark, 39, aus einer früheren Beziehung mit der Skilehrerin Anita Gerhardter (heute Geschäftsführerin von „Wings for Life“). Mark Mateschitz leitet eine der Nebenbrauereien seines Vaters (Thalheimer Heilwasser), ist an einer Immobilien-Firma beteiligt und seit Februar im Vorstand der Wings-for-Life-Stiftung. Dietrich Mateschitz war praktisch Alleinherrscher, weil die Industriellen-Familie Yoovidhya ihm das Vertrauen schenkte. Ob das Vertrauen bleibt? Im Red-Bull-Spiel ist Sohn Mark nun der neue große Unbekannte.

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