München – Mit seiner rechts-nationalen Politik hat Ungarn sich über die Jahre viele Feinde in der EU gemacht. Im Interview spricht Außenminister Peter Szijjártó, 44, über den Vorwurf allzu großer Kreml-Nähe, den Streit um die eingefrorenen EU-Milliarden, der sich wohl dieser Tage entscheidet. Und er erklärt, warum es noch kein Vier-Augen-Gespräch mit seiner deutschen Amtskollegin gab.
Herr Minister, vor einer Woche traf eine Rakete ein Dorf in Ostpolen. Weltweit herrschte Angst. Wähnten Sie die Nato schon im Krieg mit Putin?
Ja, ein paar Stunden lang hatte ich diese Sorge. Darum sollten wir dringend Lehren aus dem Vorfall ziehen. Erstens: Ruhig bleiben. Warschau und Washington haben so verantwortungsvoll und besonnen reagiert, dass es eine wirklich positive Überraschung war. Wir dürfen zweitens nichts glauben, nur weil es im ersten Moment einen bestimmten Anschein macht. Internationale Medien sprachen schnell von einem russischen Raketenangriff, als sei der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Das war hochgefährlich. Drittens: Wir brauchen Frieden, und zwar so schnell wie möglich.
Da wird Ihnen niemand widersprechen.
Meine Erfahrung ist: Sobald man in Brüssel das Wort Frieden in den Mund nimmt, gilt man als Marionette Moskaus. Wann immer die EU-Außenminister über die Ukraine reden, spreche ich bewusst als letzter. Bei den 26 Kollegen fällt das Wort Frieden niemals, das ist ein Problem.
Mit Verlaub, nicht Ihre Kollegen verhindern den Frieden, sondern Putin…
Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Wir sind ein Nachbarland der Ukraine und spüren die Auswirkungen des Krieges direkt. Eine Million Ukrainer sind bisher durch Ungarn geflüchtet oder bei uns geblieben. 2021 mussten wir sieben Milliarden Euro für Energieimporte zahlen, dieses Jahr 19 Milliarden Euro für die gleiche Energie-Menge. Ob irgendeine Seite bereit ist für Frieden, weiß ich nicht. Aber er ist die einzige Lösung. Je mehr wir davon sprechen, desto größer ist die Chance.
Manche sagen, Sie stünden Putin allzu nahe, weil Ungarn so abhängig von russischem Gas und Öl ist…
Den Vorwurf hören wir seit Langem. Berlin sollte da vorsichtig sein: Wenn ich die Besuche deutscher und ungarischer Politiker in Moskau vor dem Krieg vergleiche, dann sind die Deutschen ganz weit vorne. Wir sind in unserer Position ganz klar: Wir verurteilen diesen Krieg. Als ich bei der russischen Energiewoche auf dem Podium saß, unten 1000 Zuhörer, habe ich das deutlich gesagt.
Haben Sie den Krieg dort auch Krieg genannt?
Natürlich, es ist schrecklich, was da passiert. Auf der anderen Seite ist die Energieversorgung unseres Landes keine politische oder ideologische, sondern eine absolut technische Frage. Wir können Gas nicht mit dem Flugzeug, dem Zug oder im Rucksack importieren, dafür braucht es Infrastruktur. Wir kaufen Russlands Gas nicht, weil es uns Spaß macht, sondern weil es die einzige Möglichkeit ist.
Budapest hat westliche Sanktionen und Waffenlieferungen oft kritisiert, dabei zeigt beides Wirkung. Lagen Sie falsch?
Aus unserer Sicht haben die Sanktionen bisher nichts gebracht. Der Krieg ist brutaler denn je, Europas Wirtschaft leidet und läuft auf eine große Rezession zu, aber Frieden ist nicht in Sicht.
Der Effekt ist, dass Putin den Krieg nicht gewinnen kann. Was wäre denn Ihre Idee, um Frieden zu erreichen?
Schauen Sie, wir sind ein kleines Land…
Sie haben keine Idee…
Es gibt größere und mächtigere Länder als unseres. Ich bin sehr sicher, dass unter einer Kanzlerin Angela Merkel eine große Chance bestanden hätte, diesen Krieg zu verhindern. 2014, als Russland die Krim annektierte, schnappte sich Frau Merkel ihren französischen Kollegen und startete Verhandlungen, mit denen ein größerer Krieg verhindert wurde.
Der Konflikt wurde eingefroren, nicht gelöst.
Das stimmt, die Sache ist komplex. Aber die, die jetzt für mehr und mehr Sanktionen sind, müssen erkennen, dass wir damit das Friedens-Ziel nicht erreichen. Am Ende wird es ohne Verhandlungen zwischen Moskau und Washington nicht funktionieren.
Sie sprachen von ukrainischen Flüchtlingen. Aber auch die Zahlen auf der Balkanroute steigen. Ist die Situation ähnlich wie 2015?
Das ist sie, leider. Wir sollten hier klar zwischen Flüchtlingen und Migranten unterscheiden. Wer aus der Ukraine flieht, kann zu uns kommen, weil wir das erste sichere Land für ihn oder sie sind. So will es das internationale Recht. Aber klar ist auch: Niemand darf sich ein Zielland aussuchen. An unserer südlichen Grenze haben wir aber alleine dieses Jahr 245 000 Menschen gestoppt. Sie haben kein Recht zu kommen.
Es gibt weiter Kritik an Ihrem Umgang mit Flüchtlingen. Was passiert mit denen, die jetzt kommen?
Sie kommen nicht rein, weil zwischen ihnen und uns ein Zaun ist.
Reagiert die deutsche Politik angemessen auf die steigenden Zahlen?
Es ist nicht mein Job, das zu kommentieren. Aber so lange Europa nicht klar sagt, dass Zuwanderung nur auf dem legalen Weg möglich ist, werden wir mit dieser Herausforderung an unseren Außengrenzen zu kämpfen haben. Brüssel und die großen Mitgliedstaaten tun leider noch immer das Gegenteil: Sie ermutigen die Leute, zu uns zu kommen.
Erwarten Sie, dass das Problem größer wird?
Ich sehe nur die Zahlen an unserer Grenze. Und die steigen wie die Hölle.
Schweden und Finnland wollen in die Nato, nur die Türkei und Ungarn blockieren das. Was haben Sie gegen die Aufnahme?
Gar nichts – und die Kollegen in Schweden und Finnland wissen das. Wir als Regierung haben dem Parlament den Vorschlag schon zur Ratifizierung vorgelegt. Es ist nur so: Wir haben gerade ein paar Probleme mit der EU-Kommission, die Gelder blockiert, die uns zustehen. Deshalb muss das Parlament eine Reihe von Gesetzen ändern. Sobald es diese beschlossen hat und diese auch die EU-Kommission für richtig hält, kann es anfangen, sich weiteren Gesetzen zu widmen.
Die EU wirft Ihrer Regierung Korruption und Angriffe auf die Justiz vor…
Und wir haben auf Druck der Kommission 17 Gesetzesvorhaben erarbeitet, die jetzt alle erst mal durchs Parlament gehen müssen. Das ist also vorerst ganz gut beschäftigt. Sobald das abgeschlossen ist, können wir und um andere Fragen wie die Nato-Beitritte kümmern.
Das klingt, als wollten Sie Brüssel unter Druck setzen. Das EU-Parlament kritisiert, dass Ihre 17 Vorschläge unzureichend seien.
Das Parlament hat uns kürzlich auch vorgeworfen, keine echte Demokratie mehr zu sein. Das ging eindeutig zu weit. Manchen passt es ganz einfach nicht, wie die Ungarn wählen. Was die Corona-Hilfen angeht, sage ich Ihnen: Dass uns das Geld bisher vorenthalten wird, ist Irrsinn. Wir haben unseren Teil getan, jetzt ist die Kommission am Zug.
Auch die Beziehungen zwischen Ungarn und Bayern haben sich abgekühlt. Was ist passiert?
Das müssen Sie Ihren Ministerpräsidenten fragen, auf unserer Seite hat sich nichts geändert. Aber ich habe da eine Vermutung: Manfred Weber hasst uns Ungarn aus irgendeinem Grund, das könnte dabei eine Rolle spielen. Es ist eine Schande, dass ein Politiker wie er sagt, Europa müsse ohne Ungarn weitermachen, gerade ein deutscher. Überhaupt frage ich mich, warum Politiker anderer Länder so viel Zeit investieren, sich in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen.
Weil Ungarn Teil der EU ist, an deren Regeln es sich halten muss…
Wenn jemand ein Problem mit unserer Politik hat, soll er oder sie uns anrufen. Alle Kollegen haben meine Handy-Nummer.
Hat es Annalena Baerbock schon bei Ihnen probiert?
Annalena Baerbock hat all meine Gesprächs-Angebote abgelehnt, sie war nicht bereit, mit mir zu sprechen. Wenn man immer wieder abgewiesen wird, stellt man die Bemühungen irgendwann ein. Ich habe es versucht. Wenn Sie mich fragen: Mit europäischen Werten hat dieses Verhalten wenig zu tun.
Interview: Georg Anastasiadis und Marcus Mäckler