„Einer von beiden lügt wie gedruckt“

von Redaktion

Politik-Analyst Peter Filzmaier sieht sein Land auf eine Demokratiekrise zusteuern – nicht nur wegen des jüngsten Skandals

München – Der gebürtige Wiener Peter Filzmaier ist Professor für Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems. Seit vielen Jahren ist er ein aufmerksamer Beobachter der österreichischen Politik.

Herr Professor Filzmaier, erklären Sie bitte einem Deutschen ganz knapp, was derzeit in Österreichs Politik los ist.

Wir stehen an der Klippe zur Demokratiekrise. Denn das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik ist im unterirdischen Bereich angelangt.

Liegt das allein an den aktuellen Vorwürfen gegen die ehemalige Regierung von Sebastian Kurz?

Es ist eine Mischung. Es gibt die aktuellen Affären, davor gab es den Ibiza-Skandal und ein jahrzehntelanges Selbstverständnis der Parteien, das immer wieder zu Postengeschacher und freihändigen Auftragsvergaben geführt hat. Dazu kommt ein mäßiges Krisenmanagement – bei Corona genauso wie bei den Kriegsfolgen.

Welche Partei trifft diese Stimmung am stärksten?

Die Regierung aus ÖVP und Grünen verliert noch etwas mehr an Zustimmung als die Opposition. Doch obwohl sich die sozialdemokratische SPÖ in den Vorwürfen gegen die ÖVP regelrecht suhlt, kann auch sie sich nicht als bessere Alternative darstellen. Die rechte FPÖ holt in Umfragen auf, obwohl sie die Hauptrolle im Ibiza-Skandal spielte und jede Regierung mit ihrer Beteiligung vorzeitig geplatzt ist. Sie betreibt skrupellosen Populismus und profitiert vom schlechten Gedächtnis der Wähler.

Warum macht gerade Österreich immer wieder mit politischem Filz und Affären Schlagzeilen?

Österreich war und ist eine der stärksten Parteiendemokratien in Europa – mit der im Verhältnis zur Bevölkerung höchsten Zahl an Parteimitgliedern. Das war in der Geschichte durchaus positiv. Die Parteien haben sich beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg verdient gemacht. Doch so sehr es im vergangenen Jahrhundert noch akzeptiert wurde, dass man auch bei Jobvergaben mitspricht oder einem Mitglied mal eine Wohnung verschafft, so sehr wird das heute abgelehnt. Österreichs Parteien haben das aber noch immer nicht ganz kapiert.

Wie blickt die ÖVP heute auf Sebastian Kurz?

Die ÖVP sitzt zwischen zwei Stühlen. Ein Drittel bis die Hälfte der aktuellen Nationalratsabgeordneten hat ihr Mandat Kurz zu verdanken. Ein anderer Teil der Partei will vor den anstehenden Landtagswahlen hingegen möglichst nichts mehr mit ihm zu tun haben. Der aktuelle Kanzler Karl Nehammer ist da der kleinste gemeinsame Nenner. Er war unter Kurz als ÖVP-Generalsekretär und Innenminister schon dabei, ist aber andererseits nicht persönlich in die Korruptionsvorwürfe verwickelt. Er hat mit diesem Spagat wohl den politisch gerade undankbarsten Job der Republik – deshalb ist er auch unumstritten.

Und wie sehen die Österreicher ihren Ex-Kanzler?

Sebastian Kurz hat die Österreicher regelrecht desillusioniert. In einem großen Marketing-Gag hat er den Namen, die Farbe und das Logo seiner Partei verändert und so getan, als wäre unter ihm nun alles anders. Doch damit hat er das Tricksen, Tarnen und Täuschen geradezu auf die Spitze getrieben. Denn im Moment gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder der ehemalige Kanzler lügt wie gedruckt oder der von ihm und der Partei in mächtige Posten gehievte Ex-ÖVP-Mann Thomas Schmid, der Kurz schwer belastet, ist ein großer Lügner. In beiden Fällen ist der demokratiepolitische Flurschaden schon angerichtet. Denn die meisten Menschen machen einen Bogen um Leute, die so lügen oder Telefonate heimlich mitschneiden. Und genau das ist das derzeitige Bild, das die österreichische Politik abgibt.

Interview: Sebastian Horsch

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