Vom Kanzler zum Angeklagten?

von Redaktion

foto: Schlager/dpa

VON SEBASTIAN HORSCH

München – Der Mann, der schon zweimal Bundeskanzler der Republik Österreich war, der danach einen zweiten Karriereweg als Lobbyist eingeschlagen hat und von dem manche glauben, er könnte bald im Gefängnis sitzen, ist noch immer erst 36 Jahre alt. Sebastian Kurz hat einen politischen Aufstieg hingelegt, der seinesgleichen sucht. Staatssekretär mit 24, Außenminister mit 27, Regierungschef mit 31. Nicht wenige sahen in ihm mangels Konkurrenz auf Augenhöhe schon den kommenden ewigen Kanzler Österreichs. Nun drohen er und seine mittlerweile beendete Regierungszeit in einem gigantischen Skandal zu versinken. Wie konnte es so weit kommen?

Der Stein, der alles ins Rollen brachte, setzte sich im Mai 2019 mit einem lauten Knall in Bewegung. Medien berichteten damals über ein 2017 aufgenommenes Video, das Unglaubliches zeigte. Zu sehen war Vizekanzler Heinz-Christian Strache (zum Zeitpunkt der Aufnahme noch FPÖ-Spitzenkandidat), wie er auf einer Couch lümmelte und sich um Kopf und Kragen redete. Einer Schauspielerin, die vorgab, für viele Millionen Euro die in Österreich einflussreiche „Kronen Zeitung“ übernehmen zu wollen, stellte er lukrative staatliche Aufträge in Aussicht, falls sie mit ihrer damit gewonnenen Medienmacht Straches Partei FPÖ unterstütze. Die Ibiza-Affäre war in der Welt – und sie sprengte die Regierungskoalition von FPÖ und Kurz’ ÖVP.

Kurz selbst kam aus der Sache zunächst vergleichsweise sauber raus. Er gewann die Neuwahlen und war schon im Januar 2020 erneut Kanzler – diesmal koalierte seine ÖVP mit den Grünen. Doch das Unheil nahm für den Kanzler bereits seinen Lauf.

Denn im Zuge der Ermittlungen wurde auch die Wohnung des Kurz-Vertrauten Thomas Schmid durchsucht – und eine Festplatte mit rund 300 000 Chats und Mails beschlagnahmt. In diesem „Kasterl“, wie Schmid es nennt, fanden sich auch Nachrichten, die er mit dem Kanzler ausgetauscht hatte. „Kriegst eh alles, was Du willst“, schrieb Kurz beispielsweise an seinen Freund, der sich einen lukrativen Job als Alleinvorstand einer Staatsholding wünschte – und ihn auch bekam. „Ich liebe meinen Kanzler“, antwortete Schmid.

Zum großen Verhängnis wurde Kurz allerdings ein anderes Detail. Den Ermittlern war in den Text-Nachrichten der Begriff „Beinschab-Österreich-Tool“ aufgefallen. Damit konfrontiert, gestand die in der Alpenrepublik medial präsente Meinungsforscherin Sabine Beinschab schließlich, Umfragen zum Vorteil von Kurz und der ÖVP manipuliert zu haben, die daraufhin im Boulevardblatt „Österreich“ erschienen waren. Ein weiterer Verdacht: Bezahlt wurde sie dafür womöglich mit Steuergeld. Im Oktober 2021 folgten Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Zentrale. Kurz trat zunächst als Regierungschef zurück und erklärte im Dezember 2021 schließlich, dass er die Politik hinter sich lassen werde.

Doch die Staatsanwaltschaft wurde Kurz damit nicht los. Zudem hat sein Vertrauter Schmid inzwischen die Seiten gewechselt, kooperiert mit der Staatsanwaltschaft und belastet den Kanzler schwer. Seine Mutter habe ihm ins Gewissen geredet und er wolle kein „Bauernopfer“ sein, sagt Schmid. Kurz sei der eigentliche Drahtzieher gewesen hinter den manipulierten Umfragen und habe von allem gewusst. „Ja, das war ihm klar.“

Kurz hingegen bestreitet das – und sieht sich durch ein offenbar von ihm selbst heimlich mitgeschnittenes Telefonat mit Schmid entlastet, das er den Behörden übergeben hat und das inzwischen auch an die Öffentlichkeit durchgedrungen ist. Immer wieder hört man in dem 13-minütigen Mitschnitt, wie der Ex-Kanzler das Gespräch darauf hinleitet, von Schmid eine klare Bestätigung zu erhalten, dass er selbst mit der Umfragen-Affäre nichts zu tun gehabt habe. Er frage sich, „welches kranke Gehirn“ auf die Idee komme, er habe das beauftragt, sagt Kurz. Schmid widerspricht nicht – doch seine Reaktionen bleiben vage.

Für den Ex-Kanzler steht trotz seines Abschieds aus der Politik noch immer einiges auf dem Spiel. Kurz droht – wenn er die Vorwürfe nicht ausräumen kann – nach Abschluss der Ermittlungen in wohl rund zwei Jahren ein Prozess. Eine Strafe von bis zu zehn Jahren Gefängnis ist rechtlich möglich, wenn es zum Schuldspruch käme.

Schmid hingegen hofft wohl auf eine mildere Strafe, wenn er als Kronzeuge auspackt. Und der frühere Generalsekretär im Wiener Finanzministerium hat noch einiges mehr zu erzählen. Seine Aussagen zeichnen gemeinsam mit den nun öffentlichen Chat-Nachrichten das Bild eines verfilzten Systems, das über Kurz hinausgeht. Schmid belastet weitere hochrangige Politiker, aber auch Unternehmer wie den Immobilienunternehmer René Benko, die versucht haben sollen, über ihn Einfluss auf verschiedene Steuersachen zu nehmen.

Zudem brachten Schmids Chatverläufe auch Medienvertreter in Bedrängnis. So intervenierte der mittlerweile ausgeschlossene ÖVP-Mann zum Beispiel immer wieder bei Rainer Nowak, Herausgeber, Chefredakteur und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“, wenn er in seiner „Lieblingszeitung“ etwas lesen musste, das ihm nicht gefiel. Der wiederum gab Schmid sogar Ratschläge, wie dieser auf Anfragen von „Presse“-Journalisten zu Nebentätigkeiten reagieren solle. „Antworte nur dass es kein Nebenjob ist, sondern ein aufsichtsratmandat als eigentümervertreter mit keinem Gehalt sondern einfachem sitzungsgeld“, schrieb der inzwischen zurückgetretene Nowak dem österreichischen Medium „Profil“ zufolge am 30. Januar 2019 an Schmid – ohne dabei auf Groß- und Kleinschreibung zu achten. „Ok“, antwortete der.

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht durch die Vorgänge in seinem Land auch das Vertrauen in die Demokratie erschüttert. „Ich kann und will das so nicht hinnehmen. Viele Menschen wenden sich mit Schaudern von der Politik ab, und ganz ehrlich, ich kann das verstehen“, sagte Van der Bellen Ende Oktober in einer scharfen Rede. Er selbst denke sich: „Das darf doch alles nicht wahr sein!“

Florian Klenk äußert hingegen die Hoffnung, dass sich durch die Affäre in Österreich etwas zum Positiven ändern könnte. „Die Sicherungssysteme der Demokratie, an denen Kurz herumgefummelt hatte – Justiz, freie Medien, Parlament –, sie halten offenbar besser, als er erwartete“, schreibt der Chefredakteur des österreichischen „Falter“ in einem Beitrag für die „Zeit“. Österreich erlebe „ein Aufblühen der Justiz, ein großes Reinemachen“.

Sebastian Kurz gibt sich derweil weiter selbstbewusst. Beruflich ist der Ex-Kanzler heute als „Global Strategist“ für den deutsch-amerikanischen IT-Unternehmer Peter Thiel tätig und an mehreren Unternehmen beteiligt. Erst kürzlich trat er beim Unternehmertag am Tegernsee auf. Zudem hat Kurz dem „Stern“ gerade ein langes Interview gegeben, in dem er beklagt: „Die Unschuldsvermutung steht in der Verfassung, aber Realität ist sie nicht.“ Er wittert hinter all dem eine politische Kampagne, „weil man mich in Wahlen nicht schlagen konnte“. Und er freue sich schon „auf den Tag des Freispruchs, weil ich mir nichts zuschulden habe kommen lassen“.

Bis zu zehn Jahre Gefängnis wären rechtlich möglich

Kurz sieht sich als Opfer einer Kampagne

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