Taiwans Schutzschild aus Mikrochips

von Redaktion

Der Inselstaat beherrscht den globalen Markt. Auch China ist abhängig – was eine Invasion erschweren könnte

AUS TAIWAN BERICHTET UNSERE REPORTERIN KATHRIN BRAUN

Hsinchu – Nur 180 Kilometer Pazifik trennen die taiwanische Stadt Hsinchu von der Ostküste Chinas. Die Meerenge, Taiwanstraße genannt, ist Pekings Drohkulisse. Das taiwanische Verteidigungsministerium hat an diesem Tag wieder chinesische Jets in der Straße gemeldet. 21 Stück – östlich der Mittellinie, die als inoffizielle Seegrenze gilt. In dem Inselstaat löst das keine Aufregung aus, man hat sich längst an Pekings Provokationen gewöhnt. Auch Jim Ho, 50, ist gelassen. In seinem weißen E-Volvo düst er durch den „Hsinchu Science Park“. Die Straßen des Technologie-Parks sind leer, es ist Sonntag. Ho hält vor einem Koloss aus Stahl und Glas. „Hier arbeite ich seit 24 Jahren“, sagt der Ingenieur.

Jim Ho ist einer der klugen Köpfe von TSMC, Taiwans Mikrochip-Gigant. Womöglich ist TSMC ein Grund, weshalb Chinas Kampfjets keinen Schrecken verbreiten. Das Unternehmen ist weltweit die Nummer eins unter den Mikrochip-Herstellern. Der Jahresumsatz lag 2021 bei knapp 50 Milliarden Euro. „Unsere Chips stecken in den meisten Smartphones, Computern, selbst in diesem Auto“, sagt Ho nicht ohne Stolz.

Mikrochips sind die zentralen Bausteine aller digitalen Geräte. Ohne sie würde nicht mal eine Kaffeemaschine funktionieren. Und je kleiner der Chip, desto stärker die Leistung des Geräts. „Hier produzieren wir die 3-Nanometer-Mikrochips“, sagt Ho und deutet auf eine der acht TSMC-Fabriken im Park. „Das sind die kleinsten, die es derzeit gibt.“ Drei Nanometer, das sind gerade mal drei Millionstel Millimeter. Diese Technologie ist erst seit einigen Wochen auf dem Markt. „Wir arbeiten aber bereits an noch kleineren, 2-Nanometer-Chips.“ Wenn alles glatt läuft, sind Jim Ho und seine Kollegen 2025 so weit. Zum Vergleich: Ein Atom ist gerade mal 0,1 Nanometer groß.

Hauptbestandteil von Mikrochips ist der Halbleiter Silizium. Die neuesten Chips werden für hochkomplexe Technologien wie künstliche Intelligenz und selbstfahrende Autos benötigt. TSMC beherrscht hier 90 Prozent des globalen Markts. Aber auch in älteren, größeren Halbleiter-Kategorien ist das Unternehmen führend. Insgesamt wird etwa jeder zweite Mikrochip von TSMC hergestellt.

„Die moderne Welt wäre ohne Halbleiter nicht denkbar“, sagt Peter Fintl, Chipexperte bei der Technologieberatung Capgemini Engineering. Sollte die Produktion in Taiwan stoppen, würde das die Welt in eine tiefe Krise stürzen – auch China. Deshalb wird TSMC auch „Silicon Shield“ genannt, eine Art Schutzschild vor Angriffen. „Ich glaube, an dieser Theorie ist etwas dran“, sagt Fintl. „Denn TSMC ist auch für Peking systemrelevant.“

Jim Ho parkt vor der Geschäftsstelle des Unternehmens. „Morris Chang“ ist auf einem Schild eingraviert, zu Ehren des inzwischen 91-jährigen TSMC-Gründers. An anderen Tagen fahren Shuttle-Busse die rund 40 000 Arbeitnehmer von Fabrik zu Fabrik, Kinder spielen im TSMC- Kindergarten. Auch Hos Tochter war dort. An der nahen Universität machen Studenten in einem amerikanischen Burger-Laden Pause, an sonnigen Tagen nutzen Mitarbeiter den firmeneigenen Pool.

Heute wird nicht gearbeitet, der Park ist so gut wie leer. Ho trägt Sonnenbrille und Sportkleidung, spaziert zum Hauptgebäude. „Ich bin hier gerne Mitarbeiter“, sagt er. „Das Unternehmen bietet ein gutes Gehalt und andere Programme, sodass wir ein überdurchschnittlich gutes Leben führen können.“ Natürlich sei die Arbeit nicht einfach, sagt Ho. Er sei einer von nur 500 Ingenieuren, die an der Entwicklung der Mikrochips tüfteln. „Aber wir lernen immer voneinander und lösen schwierige Probleme gemeinsam. Ich glaube, das ist der wichtigste Faktor dafür, dass TSMC heute das beste Halbleiter-Unternehmen seiner Klasse ist.“

Unklar ist, welche Pläne China im Falle einer Invasion mit der Halbleiter-Hochburg hätte. „Es wird viel darüber diskutiert, ob China Zugriff auf Taiwans wichtige Mikrochip-Industrie erlangen könnte“, sagt Julia Hess, Expertin für Technologie und Geopolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung. „Aber so einfach funktioniert das nicht: Die Wertschöpfungskette der Mikrochips ist extrem kleinteilig.“ Mikrochips ließen sich nicht wie Rohstoffe übernehmen, Taiwan sei bei der Halbleiter-Produktion auf Chemikalien und Materialien aus Europa, Japan und den USA angewiesen. Unklar wäre auch, wie die Mitarbeiter im Fall einer Invasion reagieren würden. „Ihre Expertise ist notwendig für die Produktion der Mikrochips.“

Für Jim Ho ist die Antwort klar. „Natürlich würden wir nicht für ein Land wie China arbeiten wollen“, sagt er. „Wir schätzen unsere Freiheit, unsere Demokratie.“ Er selbst glaubt nicht an einen Angriff. „Dann wäre die ganze Welt involviert. Das wäre ein unglaubliches Risiko für China. Und es wäre nur logisch, dass auch andere Länder versuchen würden, das zu vermeiden.“ Ho hat selbst fast täglich Kontakt zu Zulieferern aus Ländern wie Japan und Deutschland. „Ohne diese Beziehungen kann die Produktion nicht funktionieren.“ Natürlich habe TSMC Notfallpläne, sagt Ho. „Wir bauen nicht umsonst Fabriken in Japan und in den USA, und aktuell denken wir auch an einen Standort in Deutschland.“ Die Lieferketten in Deutschland würden besonders gut funktionieren, man habe zuverlässige Kunden wie BMW und Bosch.

Wie konkret die Pläne für einen deutschen Standort sind, will TSMC derzeit nicht beantworten. „Mit einem TSMC-Standort könnte die EU auf dem Halbleiter-Markt nachziehen“, sagt Julia Hess. Das sei zwar ein Schritt in Richtung Diversifizierung, dennoch brauche es Jahrzehnte, um ausreichend Fertigungskapazitäten aufzubauen. Da in Europa noch keine Mikrochips der neuesten Technologie, also fünf Nanometer und kleiner, hergestellt werden können, bringe auch eine TSMC-Fabrik in Deutschland keine Versorgungssicherheit. „Wir werden abhängig bleiben von Taiwan.“ TSMC habe sich ein Ökosystem geschaffen, das „einmalig auf dieser Welt“ ist. „Es wird immer günstiger bleiben, dort zu produzieren und zu expandieren.“

Als Jim Ho aus dem Park steuert, fährt er an einer Reihe futuristischer Hochhäusern im Ortsteil Guansin vorbei. Nirgendwo sonst im Inselstaat ist der Wohlstand so hoch wie hier. „Die meisten, die hier leben, sind TSMC-Mitarbeiter“, sagt Ho. Sie seien für den Erfolg verantwortlich – und für den Schutz des Unternehmens. „Die Schlüsseltechnologie steckt in ihren Köpfen.“ Und darauf habe kein Land der Welt Zugriff.

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