Livermore – Kernfusion als grüne und klimaneutrale Form der Energiegewinnung: Die Nachricht aus den USA könnte eine neue Ära einleiten. US-Energieministerin Jennifer Granholm sprach gestern in Washington von „einer der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts“. Experten sprechen unisono von einem Durchbruch. Unisono verweisen sie aber auch darauf, dass die kommerzielle Nutzung der Technologie zwar näher rückt, aber trotzdem noch immer in weiter Ferne liegt.
Bei der Kernfusion werden kleine Atomkerne miteinander verschmolzen, also fusioniert, dabei wird Energie frei. „Kernfusion ist die Mutter aller Energie im Universum“, sagt der Physiker Markus Roth von der TU Darmstadt. „So funktioniert jeder Stern.“ Das Prinzip ist leicht erklärt: In Sternen wie unserer Sonne wird bei großer Hitze und unter ungeheurem Druck Wasserstoff zu Helium fusioniert. Die dabei frei werdende Energie versorgt etwa die Erde mit Licht und Wärme.
In irdischen Fusionsreaktoren werden die Kerne der Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium zu Heliumkernen verschmolzen. Deuterium und Tritium werden auch schwerer und überschwerer Wasserstoff genannt. Denn während gewöhnliche Kerne von Wasserstoff-Atomen nur ein Proton enthalten, hat Deuterium zusätzlich noch ein Neutron, Tritium sogar zwei Neutronen. Normalerweise verhindert die Abstoßung gleichnamiger Ladungen – hier der positiv geladenen Protonen – die Vereinigung zu einem gemeinsamen Atomkern. Erst extrem hohe Temperaturen geben den Kernteilchen so viel Energie, dass sie beim Zusammenprall die Abstoßungsbarriere überwinden und fusionieren.
Bei dieser Fusion entstehen freie hochenergetische Neutronen. Deren Energie würde bei einem Fusionskraftwerk Wasser erhitzen, der Wasserdampf eine Turbine antreiben – wie bei anderen Kraftwerken auch. Für die nötige Temperatur sorgte beim Erfolgs-Experiment die stärkste Laseranlage der Welt.
Bei heutigen Kernkraftwerken werden große Atomkerne nicht verschmolzen, sondern aufgespalten, was Risiken birgt – etwa die enorme Resthitze oder den stark strahlenden Atommüll. Die Kernfusion dagegen ist sicher: Bei einer Störung würde die Temperatur fallen und die Reaktion abbrechen. Schädliche Nebenprodukte gibt es nicht.
Beim jetzigen Experiment in der „National Ignition Facility“ des „Lawrence Livermore National Laboratory“ (LLNL) in Kalifornien hatten 192 Laser die nur wenige Millimeter große Brennstoffkammer, die winzige Mengen Wasserstoff enthielt, auf mehr als drei Millionen Grad erhitzt. LLNL-Direktorin Kimberly Budil zufolge benötigte die Anlage 300 Megajoule Energie, um zwei Megajoule Laserenergie zu liefern, die drei Megajoule Fusionsausbeute erzeugten.
Dass erst einmal mehrere hundert Megajoule an Energie ins System gesteckt werden mussten, ist der Haken an der Erfolgsmeldung. Der Energieertrag habe nur einen Bruchteil des Eintrags betragen, sagt Tony Roulstone von der Universität Cambridge. Zur Stromgewinnung müsse man aber mindestens das Doppelte der investierten Energiemenge erzeugen. Hinzu kommt: „Das LLNL könnte diese Art Resultat prinzipiell etwa einmal pro Tag erzielen“, meint Justin Wark von der Universität Oxford. „Ein Fusionskraftwerk müsste das zehn Mal pro Sekunde tun.“ Gleichwohl ist der Physiker optimistisch: „Die grundlegende Wissenschaft ist jetzt ziemlich gut verstanden, und das sollte weitere Investitionen ankurbeln.“ Auch Roth ist optimistisch. Er hofft auf private Investoren – und ein erstes kommerzielles Fusionskraftwerk bis Ende der 2030er-Jahre (siehe Interview).
Auch das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München forscht an Kernfusion. Die Garchinger sind Teil des internationalen Projekts ITER. Anders als beim US-Projekt geht es nicht um Laser-, sondern um Magnetfusion. Diese nutzt für die Fusion Magnetfelder statt einen Beschuss durch Laser. Das Ergebnis ist aber dasselbe: Energiegewinnung durch Kernfusion.
Allerdings befindet sich die ITER-Anlage in Caradache im Süden Frankreichs noch im Bau. Und wie im Frühjahr bekannt wurde, gibt es Probleme, unter anderem bei der Verschweißung des ringförmigen Vakuumgefäßes, das das Energie liefernde Plasma beherbergen soll. Offenbar sind die Ränder nicht so exakt, dass die Teile normgemäß zusammengefügt werden können. Der Zeitplan, Ende 2025 mit dem Probebetrieb und 2035 dann wissenschaftlich mit Brennstoff zu arbeiten, wankt deutlich.
Prof. Sibylle Günter, wissenschaftliche Direktorin des IPP in Garching, gratulierte den US-Forschern zu ihrem Erfolg. Zugleich verwies auch sie auf eine Vielzahl offener Probleme bei der Laserfusion, die gelöst werden müssten, „bevor man an den Bau eines Kraftwerks denken kann“.