Wie die Klimaaktivisten ihren Nachwuchs generieren

von Redaktion

Zwei Mal pro Woche lädt die „Letzte Generation“ zur Anwerbe-Videokonferenz – wir haben uns mit eingewählt

Köln – Den Straßenverkehr lahmlegen, Kunstwerke besudeln, Flughäfen entern: Die Debatte um die Aktionen der „Letzten Generation“ hört nicht auf. Was die wenigsten wissen: Zweimal in der Woche kann man sich selbst ein Bild machen. Dann laden die Klimaaktivisten zu einer Online-Videokonferenz ein.

Anschauen kann man sich das ja mal, dachte ich. Die Termine finden immer donnerstags und sonntags statt. Ich bin an einem Donnerstag im November dabei. Der Kursleiter heißt Tim. Tim ist Mitte zwanzig, hat klischeehaft lange Haare und ist hauptberuflich Klimaaktivist bei der „Letzten Generation“. Zum Zoom-Call schalten sich Alte und Junge, Männer und Frauen aus teuren Altbau- oder günstigen Sozialwohnungen ein. Tim erzählt, dass zu Beginn dieser Zoom-Konferenzen oft nur eine Handvoll Menschen zugehört haben. Heute sind wir mehr als 50 im Seminar.

45 Minuten dauert sein Vortrag. Tim spricht über Kipppunkte der Klimakatastrophe, das Absterben borealer Nadelwälder und Migrationsbewegungen in den globalen Norden. In der Conclusio stimmen die meisten überein: Die Welt von morgen wird bedrohlich, wenn jetzt nichts passiert.

Tim redet frei und stellt zu jeder Aussage eine Quelle in das Notizfeld. Und er hat, was bei vielen Vorträgen an deutschen Schulen und Universitäten fehlt: Leidenschaft. Ohne die würde es nicht gehen, denn Ziel der Konferenz ist es schließlich, neue Leute für die „Letzte Generation“ zu begeistern. Immer wieder verweist Tim auf eine Mailadresse, dorthin sollten sich alle wenden, die mitmachen wollen. Die Teilnahme an diesem Vortrag ist in der Logik der „Letzten Generation“ der erste Schritt. Danach folgt ein Aktionstraining. Man werde intensiv darauf vorbereitet, eine Straße zu blockieren. Wie kann man dann aufgebrachte Autofahrer besänftigen? Wie lässt sich Gewalt vorbeugen?

Eine junge Frau hebt virtuell ihre Hand. Sie möchte aktiv werden, hat aber Angst vor einem Eintrag in ihr polizeiliches Führungszeugnis. Tim verweist auf das „Legal-Team“ und betont: Niemand werde gezwungen, illegale Sachen zu tun. Außerdem gebe es eine Reihe von Anwälten, die der „Letzten Generation“ helfen.

Längst nicht jeder Seminarteilnehmer ist radikal. Ein Mann meldet sich und sagt, er kenne die Lösung. Also nicht er selbst, sondern ein Professor aus Potsdam. Die globale Erwärmung zu stoppen, funktioniere ohne radikales Umsteuern. Das habe der Forscher in einer Studie nachgewiesen. Tim kann seine Skepsis nicht verbergen, bittet aber freundlich darum, ihm das Dokument zu schicken.

Die nächste Diskutantin will wissen, ob das mit dem Festkleben denn wirklich sein müsse. Dann entbrennt eine Debatte über die Wahl der Mittel. Tim erzählt, dass er früher versucht habe, auf herkömmlichem Wege etwas zu ändern: Petitionen unterschreiben, Demonstrationen organisieren, entsprechende Parteien wählen. Habe alles nichts gebracht, sagt Tim. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Im Umfeld der „Letzten Generation“ läuft vieles angepasster als gedacht. Es gibt einen Fundi- und einen Realo-Flügel. Tim ist Fundi.

Tim erzählt, dass er schon oft körperliche Gewalt von aufgebrachten Autofahrern erlebt habe. Auch in diesem Seminar ist er vor seinen Kritikern nicht geschützt. „Für euch würde ich nicht bremsen“, schreibt einer in den Chat. Einfach so. Jemand anderes äußert Gewaltfantasien. Tim sieht diese Nachrichten – und macht: nichts. Auch keiner der übrigen Teilnehmer geht darauf ein. Und irgendwann hören die Hassnachrichten einfach auf. Die Veranstaltung endet beseelt. Es sehe zwar nicht gut aus, aber aus jeder der 56 Kacheln trieft: Gemeinsam kriegen wir das noch hin. MAX MÜLLER

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