Landshuter kämpft für zum Tode verurteilten Iraner

von Redaktion

VON WOLFGANG HAUSKRECHT

München – Es soll ein gemütlicher WM-Abend werden. Es ist Samstag, der 10. Dezember. Frankreich trifft im Viertelfinale auf England, Dominik Metzger ist zu einer WG-Party eingeladen. „Ich hatte mich schon sehr darauf gefreut“, erzählt der 27-Jährige. Dann klingelt das Telefon. Sein Freund Luca ist dran. Er habe im Internet einen Post über einen im Iran zum Tode verurteilten Arzt entdeckt, sagt er. Nicht irgendein Arzt, sondern einer, den die beiden gut kennen. Hamid Ghareh-Hassanlou aus Karadsch, einer Zwei-Millionen-Stadt nahe Teheran. Dominik wirft den Rechner an, sieht das Foto. „Es war sofort klar, dass es sich um Hamid handelt“, sagt er. „Da stand um uns herum erst einmal alles still.“

Hamid Ghareh-Hassanlou ist Radiologe. Als Arzt zählt er zur Oberschicht im Iran. Der 53-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Dominik Metzger beschreibt ihn als gebildet, herzlich und hilfsbereit. Der Arzt organisiert im ganzen Land Hilfsprojekte, für Menschen, denen es nicht so gut geht wie ihm.

Über solche Projekte lernen die Deutschen und der Iraner sich auch kennen. Dominik und Luca sammeln Spenden über ihre Homepage „Travel for Smiles“ – „Reisen für ein Lächeln“. Nach ihrem Studium brechen sie im Oktober 2018 mit ihrem VW-Bus auf zu einer Tour von Dominiks Heimatstadt Landshut nach Kalkutta. Um die Welt kennenzulernen. Und um Menschen zu helfen, denen sie auf ihrer Reise begegnen. Sie verteilen Essen an Obdachlose, Spielzeug an arme Kinder, finanzieren eine Solarthermieanlage für ein Kinderheim in Nepal.

In Griechenland kaufen sie einem alten Ehepaar ohne Strom- und Gasanschluss einen Holzofen – und werden auf den wohltätigen Arzt im Iran aufmerksam gemacht. Sie nehmen Kontakt auf. Hamid lädt sie ein, lässt sie im Dezember an der türkischen Grenze abholen.

Drei Wochen leben Dominik und Luca bei den Ghareh-Hassanlous. „Sie haben uns aufgenommen, als würden wir zur Familie gehören“, berichtet Dominik. Hamid zeigt ihnen Teheran, den alten Königspalast, die Basare. Früh morgens wandern sie durch die Berge, und in der Nacht der Wintersonnwende feiern sie mit der Großfamilie das Yalda-Fest. In einem Erdbebengebiet kaufen sie Schulsachen für iranische Kinder, in einer armen Landgemeinde im Südiran finanzieren sie die Fenster für eine neue Schule, die Hamid mit anderen Ärzten dort baut.

Auch über den Iran und Politik wird gesprochen. Die jungen Deutschen haben viele Fragen. „Hamid war immer sehr besonnen, hat sich nicht hinreißen lassen, abwertend über das Regime zu sprechen“, sagt Dominik. Aber dass der Arzt das Leben im Iran als unfrei betrachte, sei immer zu spüren gewesen. So wie auf den Straßen. „Die junge Generation ist unzufrieden. Sie will anders leben“, sagt Dominik. Kopftücher hätten viele Frauen nur alibimäßig getragen – für die Sittenpolizei. Im Untergrund Teherans habe es eine große Partyszene gegeben. „Aber der Funke hat noch gefehlt.“

Der Funke schlägt am 16. September 2022 – und wird zum Flächenbrand. Die iranische Kurdin Mahsa Amini verstößt gegen die Kleidungsvorschriften, wird auf offener Straße verhaftet und stirbt in Polizeigewahrsam. Die Polizei spricht von Herzinfarkt und Schlaganfall, Augenzeugen in sozialen Medien von Schlägen auf den Kopf bei der Festnahme. So oder so. Die Massenproteste treiben das Regime in die Enge. Der „Oberste Führer der Islamischen Revolution“, Ayatollah Ali Chamenei, reagiert mit Gewalt. Menschenrechtsorganisationen zufolge sind bis heute mindestens 475 Demonstranten ums Leben gekommen, aber auch Mitglieder der regimetreuen Basidsch-Miliz, einer paramilitärischen Hilfspolizei. Tausende Iraner werden festgenommen. Trotzdem reißen die Proteste nicht ab.

Auch Hamid Ghareh-Hassanlou demonstriert. Am 4. November nimmt er mit seiner Frau Farzaneh an einem friedlichen Gedenkmarsch für eine erschossene Demonstrantin teil. Auf der Heimfahrt geraten sie in einen gewaltsamen Zusammenstoß zwischen Demonstranten und der Basidsch-Miliz. Hamid hält an, steigt aus.

Was dann genau passiert ist, darüber gibt es zwei Versionen. Bei dem Zusammenstoß sterben zwei Demonstranten – und ein Milizionär. Das Regime wirft dem Arzt vor, an dessen Tod beteiligt gewesen zu sein. Er soll auf ihn eingeprügelt haben. Die andere Version, ist, dass der Arzt medizinische Hilfe geleistet hat. „Jeder, der Hamid kennt“, sagt Dominik, „schließt aus, dass am Vorwurf etwas dran sein könnte.“

Dominik Metzger hat recherchiert, so gut es ging. Informationen aus dem Iran sind rar, ein direkter Kontakt zur Familie ist schwierig. Inzwischen steht er mit einer Person aus dem nahen Umfeld der Familie in Kontakt. Erst am Donnerstag haben die beiden telefoniert. Gesichert sei, sagt Dominik, dass Hamid und Farzaneh nach dem Vorfall nach Hause gefahren seien. Tage später habe dann nachts die Polizei die Wohnung gestürmt. „Sie haben beide vor den Augen der Tochter verprügelt und verhaftet.“

Hamid, so sind Dominiks Informationen, wird gefoltert. Er soll gestehen, tut es nicht. Mit Rippenbrüchen und Lungenkollaps muss er notoperiert werden. Auch Farzaneh habe der Folter standgehalten, „bis man ihr gedroht hat, ihren Sohn abzuholen, zu foltern und vielleicht zu töten“. In der dreitägigen Verhandlung sitzt Hamid ohne Rechtsbeistand. Das Todesurteil wird ihm in die Klinik nachgeliefert. Seine Frau Farzaneh wird zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Hamid Ghareh-Hassanlou ist kein Einzelfall. Wie viele Todesurteile es im Zuge der Proteste bisher gibt, ist nicht gesichert. Irans Justiz spricht von elf, ebenso Amnesty International. Weitere 15 Demonstranten listet die Menschenrechtsorganisation als von der Todesstrafe bedroht auf. Die öffentlich-rechtliche „Deutsche Welle“ spricht von rund 80 Inhaftierten, denen Hamids Schicksal droht. Als Quelle nennt sie Dokumente der regimenahen Agentur Fars-News, die von iranischen Hackern erbeutet worden seien. Die Vorwürfe gleichen sich: „Krieg gegen Gott“ und „Verdorbenheit auf Erden“. Das genügt den Revolutionsgerichten für ein Todesurteil.

Dominik und Luca haben die Hoffnung nicht aufgegeben, ihren Freund lebend wiederzusehen. „Die mediale Aufmerksamkeit für den Fall gibt mir das Gefühl, dass viele hinsehen – und das das Regime vielleicht von der Vollstreckung abhält.“ Nicht wegzusehen sei wichtig, sagt Dominik Metzger. „Es hilft den Menschen vor Ort, weiter für ihre Freiheit zu kämpfen. Je länger der Protest dauert, umso hoffnungsvoller macht es mich, dass es keinen Weg mehr zurück gibt.“

Tatsächlich lässt das höchste Gericht im Iran nun vereinzelt Urteile prüfen. Wie am Mittwoch auf „Misan Online“, der Internetseite der Justizbehörde, bekannt wurde, soll auch der Fall von Hamid Ghareh-Hassanlou darunter sein. Das Todesurteil sei noch nicht rechtskräftig, heißt es auf dem Justiz-Portal, das Urteil nicht endgültig.

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