Lützerath – Gegen Mittag ist Armin Laschet längst weg. Nicht der echte, sondern der aus Pappmasché. Die Figur des früheren NRW-Ministerpräsidenten mit Narrenkappe hat irgendwie den Weg von einem Karnevalswagen nach Lützerath geschafft. Vor Kurzem stand der Papp-Laschet noch am gelben Ortsschild von Lützerath, jetzt räumt hier ein Abrissbagger den Schutt, den die Besetzer zu Barrikaden getürmt haben, zügig weg.
Gegen 8 Uhr war die Szenerie noch eine ganz andere. Da startet die Polizei ihren von Politik und Justiz bestätigten Großeinsatz zur Räumung des kleinen rheinischen Dorfes, das für den Kohleabbau des Energiekonzerns RWE weichen soll. Mehrere hundert Einsatzkräfte aus dem gesamten Bundesgebiet sind nach NRW gekommen. Nach Informationen unserer Zeitung sind es mindestens 1500. „Vermutlich sogar doppelt so viele“, verrät ein Polizist.
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und es regnet in Strömen. Polizisten und Aktivisten stehen sich gegenüber. Ein Besetzer hält eine Feuerwerksbatterie in den Händen und richtet diese auf die mit Schild und Helm geschützten Polizisten. Er ruft „Achtung“ – und zündet. Es ist der Startschuss für die Räumung. Die Polizei rückt vor.
Verletzt wird bei dem Raketenbeschuss wohl niemand. Den ganzen Tag über sind Böller und Pyrotechnik auf dem Gelände zu hören. Die Polizei sagt, dass die Aktivisten auch Molotowcocktails werfen. Doch insgesamt ist die Gegenwehr überraschend überschaubar. Der Großteil der in Schwarz oder in weißen Maleranzügen gekleideten Klimaaktivisten lässt sich wegtragen. „Bitte leisten Sie keinen Widerstand“, schallt es aus den Polizei-Lautsprechern. Freiwillig gehen viele aber nicht. „Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit“, rufen die Besetzer. Oder: „Polizei von NRW – Schlägertrupp von RWE.“
Als die Einsatzkräfte gegen Mittag auf die Gebäude vorrücken, spazieren mehr als ein Dutzend Besetzer auf den Dachfirsten herum. Einer wirft Böller und Flaschen auf die Polizisten, verfehlt aber sein Ziel. Andere hängen in den Bäumen oder auf selbst gebauten Holzkonstruktionen. Einer uriniert vor laufenden Kameras und in Richtung eines Plakates. Es zeigt NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), wie dieser verspricht, alle Dörfer in Garzweiler erhalten zu wollen. Um den Wildpinkler und die Besetzer in den Baumhäusern zu räumen, hat die Polizei Hubsteiger aufgefahren.
Die Taktik der Polizei geht auf. Ihre Überzahl ist so groß, dass am Mittag – mittlerweile bei Sonnenschein und blauem Himmel – die Lage ruhig ist. „Für die Polizei läuft bislang alles nach Plan“, sagt ein Polizeisprecher am Nachmittag. „Nach einem sicherlich durchmischten Beginn heute Morgen, wo wir teilweise Steinwürfe und Molotowcocktail-Bewürfe gesehen haben, würde ich sagen: Die Lage hat sich deutlich beruhigt.“ Man begrüße ausdrücklich, „dass sich doch eine Vielzahl von Aktivisten dazu entschlossen hat, den Bereich hier friedlich und ohne Gegenwehr zu verlassen.“
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) gibt sich weniger versöhnlich und kritisiert die Übergriffe vom Morgen scharf. „Ich bin eigentlich nur fassungslos und verstehe es nicht, wie Menschen so was machen können“, sagte Reul über die Würfe in Richtung seiner Beamten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärt, sie habe null Verständnis dafür, dass politische Fragen auf dem Rücken der Polizeibeamten ausgetragen würden. Christian Dürr, FDP-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, sagt: „Das, was wir aus der Silvesternacht und von den Protesten zum 1. Mai in Berlin kennen, wiederholt sich hier. Ich verurteile das, und es muss strafrechtlich geahndet werden.“
Die Diskussion um den Kohleabbau in Lützerath bleibt hitzig. Für Samstag ist eine Großdemo angekündigt, auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg will anreisen. In einem offenen Brief fordern 200 Prominente, darunter Schauspielerin Katja Riemann oder die Band Sportfreunde Stiller, einen sofortigen Stopp der Räumung und eine neue Bewertung der Verträge zwischen Regierung und RWE. „Die politische Entscheidungsgrundlage ist fragil und hält wissenschaftlichen Prüfungen nicht stand“, sagt Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Sie hatte die politisch Verantwortlichen der Grünen, die den Kohlekompromiss mit RWE ausgehandelt hatten, scharf kritisiert. Auch die Grüne Jugend stimmt in die Kritik mit ein, doch der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck weist die Vorwürfe zurück. Die Räumung sei „sicherlich nicht schön“, sagt er. Aber mit dem Ende des Kohleabbaus ab 2030 sei viel erreicht für den Klimaschutz.
In Lützerath selbst kündigt die Polizei am Nachmittag an, ihre Maßnahmen in der Nacht zurückzufahren. Allerdings würden die Einsatzkräfte jetzt durchgehend vor Ort präsent sein, sagt ein Sprecher. Und die verbleibenden Aktivisten? Sie geben sich trotzig. Einer sagt: „Wir sind vorbereitet, lange durchzuhalten.“ mit dpa