Welche Länder wieder auf Atomkraft setzen

von Redaktion

München – Trotz intensiver Debatte will die Ampel-Regierung am Atom-Ausstieg im April festhalten. Aber wie geht der Rest der Welt mit der Kernkraft um? In einigen Ländern findet seit dem Krieg in der Ukraine und der Debatte um CO2-Einsparungen ein Umdenken statt. Zwar ist die Zahl der weltweit aktiven Reaktoren seit der Jahrtausendwende leicht rückläufig (vergangenes Jahr 411) – aber angesichts einer Reihe von Ausbauankündigungen sprechen manche schon von einer Renaissance der Kernkraft. Was ist dran? Ein Überblick.

Frankreich: Vive la Renaissance!

Frankreich hat mit seinen 56 Reaktoren prozentual den höchsten Anteil an mit Kernenergie erzeugtem Strom weltweit. 2021 stammten 69 Prozent des Stroms aus Atomkraft. Präsident Emmanuel Macron kündigte im vergangenen Jahr eine Renaissance der Kernenergie an. Er will sechs neue Kraftwerke bauen lassen, acht weitere Standorte prüfen und die Laufzeit bestehender Kraftwerke verlängern. Allerdings mussten im vergangenen Jahr mehr als 30 Reaktoren zu Wartungszwecken abgeschaltet werden, unter anderem wegen Korrosion an Schweißnähten. Wegen extremer Dürre und Hitze durfte außerdem zeitweise kein Flusswasser mehr zur Kühlung genutzt werden. Das führte zu Rekordstrompreisen in Frankreich.

Belgien: Ein Abschied auf Raten

Belgien wollte eigentlich bis 2025 aus der Atomkraft aussteigen. Doch mit Beginn des Ukraine-Kriegs wurde diese Entscheidung revidiert. Die grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten verkündete im Frühjahr 2022, die Laufzeit der jüngsten zwei von sieben noch in Betrieb befindlichen Kraftwerksblöcke um weitere zehn Jahre, also bis 2035 zu verlängern. Das AKW Doel 3 wurde allerdings trotz Energiekrise im September endgültig stillgelegt.

Schweiz: Atomkraft? Nein, danke!

Die Schweiz hat schon 2011 beschlossen, langfristig aus der Atomenergie auszusteigen. Es gibt zwar keine Deadline für die bestehenden AKW, neue Meiler dürfen aber gemäß einer Volksabstimmung aus dem Jahr 2017 nicht mehr gebaut werden. Drei Kernkraftwerke laufen noch, das AKW Mühleberg wurde 2019 endgültig vom Netz genommen.

Österreich: Atomfrei sogar in der Verfassung

Österreich betreibt keine Kernkraftwerke, der Grundsatz des „atomfreien“ Österreich steht im Bundesverfassungsgesetz. Die Bevölkerung lehnt Atomkraft einer aktuellen Umfrage zufolge weiter mehrheitlich ab.

Italien: Neustart nach Tschernobyl?

Die Italiener haben sich nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in einem Referendum für den Atomausstieg ausgesprochen. 1990 wurden die beiden italienischen Kernkraftwerke stillgelegt. Mit der Energiekrise flammt die Debatte über Kernenergie aber wieder auf. Infrastrukturminister Matteo Salvini kündigte im November an, Italien werde in wenigen Jahren zur Atomkraft zurückkehren. Beschlossen ist aber noch nichts.

Polen: 18 Milliarden gegen die Kohle

Polens nationalkonservative PiS-Regierung hat nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ein Strategiepapier zur Energiepolitik überarbeitet – und will nun groß in die Atomenergie einsteigen. Der Zuschlag für den Neubau eines Atomkraftwerks gut 80 Kilometer nordwestlich von Danzig erging im November an den US-Konzern Westinghouse. Baukosten: 18,6 Milliarden Euro. Geplanter Baubeginn: Spätestens 2026. Es wäre das erste Atomkraftwerk in Polen. Die Kernenergie soll dem Land beim Ausstieg aus der Kohle helfen, aus der Polen derzeit fast 80 Prozent seiner Energie gewinnt. Die Bevölkerung trägt den Kurs mit. Waren vor dem Ukraine-Krieg nur 39 Prozent der Polen für die Atomkraft, sind es laut einer aktuellen Umfrage nun 75 Prozent.

Großbritannien: Aus alt mach neu

Die Briten haben infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ihr Energiekonzept angepasst und setzen dabei auch auf Nuklearenergie. Der britische Kraftwerkspark nähert sich aber zunehmend dem Ende seiner Lebensdauer, die meisten noch laufenden Reaktoren sollen vor 2030 abgeschaltet werden. Bis dahin sollen deshalb acht neue Reaktoren in Bau gehen. An der Küste von Suffolk wurde bereits die Zustimmung für den Neubau des Atomkraftwerks Sizewell C erteilt. Kalkulierte Kosten: 20 Milliarden Pfund.

Schweden: Atomkraft bald im ganzen Land?

Schwedens konservativer Regierungschef Ulf Kristersson hat den Ausbau der Atomkraft zu einem Hauptziel gemacht. Er will die bisherige Regelung kippen, wonach maximal zehn Atomreaktoren gleichzeitig in Betrieb sein dürfen. Auch zusätzliche Standorte will die Regierung freigeben. Derzeit sind sechs Reaktoren in Betrieb.

Japan: Einmal GAU und zurück

Bis zur Nuklearkatastrophe von Fukushima hatte Japan 54 Reaktoren in Betrieb. Nach dem GAU wurden zwischenzeitlich alle japanischen Kernkraftwerke heruntergefahren. Doch im März 2022 sprach sich erstmals seit Langem wieder eine Mehrheit der Japaner für die Kernenergie aus. Im Dezember verabschiedete die Regierung nun eine Richtlinie, die eine Laufzeitverlängerung der bestehenden Reaktoren über die bisherige Begrenzung auf 60 Jahre hinaus vorsieht. Zudem sollen Reaktoren der nächsten Generation gebaut werden, um alte Meiler zu ersetzen.

USA: Krösus der Kernenergie

Die Vereinigten Staaten sind der weltweite Krösus in Sachen Atomenergie. 93 Kernreaktoren sind dort in Betrieb – mehr als in jedem anderen Land der Erde. Allerdings waren es schon mal mehr. In den 2010er-Jahren wurde die Atomkraft in den Staaten zunehmend unprofitabel, weil es ein Überangebot an billigem Strom aus Fracking-Gas und erneuerbaren Energien gab. Pläne für neue AKW wurden verworfen, 13 Atomreaktoren stillgelegt. Zuletzt ging die Tendenz aber dazu, die Laufzeit der Anlagen auf bis zu 80 Jahre zu verlängern. US-Präsident Joe Biden hat ein Milliardenprogramm angekündigt, um die alten Meiler zu ertüchtigen. Auch den Bau neuer, kleiner Kraftwerke will er vorantreiben – um unabhängiger von der Öl- und Gasindustrie zu werden.

Südkorea: Ausstieg aus dem Ausstieg

Eigentlich wollte Südkorea aus der Kernkraft aussteigen – so hatte es Präsident Moon Jae-in 2017 verkündet. Doch diese Entscheidung nahm sein Nachfolger Yoon Suk-yeol im Juni vergangenen Jahres zurück. Bis 2033 sollen sechs neue Reaktoren ans Netz gebracht werden.

China: Ausbau auf allen Ebenen

Ohne China wäre die Stagnation bei der Zahl der weltweiten Atomkraftwerke längst ein Rückgang. Das Land hat seine Atomstromproduktion im vergangenen Jahrzehnt vervierfacht und ist mit 55 Reaktoren der drittgrößte Atomstromproduzent der Welt nach den USA und Frankreich. 21 weitere Reaktoren befinden sich im Bau. Insgesamt sind 150 neue Reaktoren angedacht. Allerdings werden in China auch die Erneuerbaren stark ausgebaut: Solar und Wind produzierten dort im Jahr 2021 mehr als doppelt so viel Strom wie alle chinesischen Atomkraftwerke zusammen.

Türkei: Mit russischer Unterstützung

In der Türkei baut der russische Staatskonzern Rosatom gerade das erste Atomkraftwerk des Landes. Der erste Reaktorblock soll heuer in Betrieb gehen. Es ist nicht das einzige Land, in dem Russland Kraftwerke baut. Auch in Ägypten erhielt Rosatom kürzlich den Zuschlag für das erste Atomkraftwerk des Landes. In Bangladesch sind ebenfalls zwei russische Reaktoren im Bau.  dg/dpa/afp

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