Gebildete denken eher ans Auswandern

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

München – Eine groß angelegte Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung lässt aufhorchen: Die meisten Menschen, die aus Deutschland auswandern, haben einen akademischen Berufsabschluss, sie sind jünger, gesünder und zufriedener als jene, die nicht migrieren. Die Studie ist mit mehreren tausend Teilnehmern aussagekräftig. Befragt wurden Auswanderer, Rückkehrer, aber auch Deutsche, die noch nie ausgewandert sind.

Verlassen die Stärksten unsere Gesellschaft? Und das, wo man jede Fachkraft gut gebrauchen könnte? Mitnichten, sagte Jean Décieux, der als Wissenschaftler an der Studie beteiligt war, unserer Zeitung: „Meist wandern hochgebildete Leute aus Deutschland aus – aber sie kehren fast immer, mit den gesammelten Erfahrungen, nach Deutschland zurück.“

Denn für 58 Prozent der Auswanderer sind berufliche Gründe der ausschlaggebende Faktor. „Daneben gibt es Ausbildungs-, Lifestyle- und familiäre Gründe“, sagt Décieux. „Anzeichen für eine Talentflucht, auf Englisch Brain Drain, gibt es in Deutschland nicht, wir beobachten eher zirkuläre Wanderungsbewegungen bei den Fachkräften.“

Oft gingen die Menschen aus Karrieregründen ins Ausland, kämen aber für die Familie wieder zurück: „Weil man hier vielleicht seine Kinder lieber großziehen möchte oder weil die Eltern älter werden.“ Entsprechend ziehe es die Deutschen vor allem in hoch entwickelte Länder mit florierenden Arbeitsmärkten. „Digitale Nomaden“, die vom Strand aus virtuell in Deutschland arbeiten, seien zumindest nicht das typische Bild des deutschen Auswanderers.

Die bayerischen Arbeitgeber begrüßen die Arbeitsmigration, wie Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) betont: „In einem Auslandsaufenthalt sammeln die Beschäftigten Erfahrung und erweitern ihren Horizont. Bei Rückkehr profitieren unsere Unternehmen von dieser internationalen Expertise.“ Der Standort Deutschland müsse sich aber – Stichwort Steuern – um Attraktivität bemühen, damit die Migranten auch wirklich zurückkehren.

Die beliebtesten Auswanderungsländer der Deutschen sind der Studie zufolge die Schweiz, die USA, Österreich, das Vereinigte Königreich, die Türkei, Spanien, Frankreich, Polen, die Niederlande, Australien, China oder Kanada. „50 Prozent der Wanderungen gehen in die EU-27-Staaten und Großbritannien – wir haben aber in 169 Ländern Deutsche erreicht“, sagt Décieux. Insgesamt gingen jedes Jahr bis zu 250 000 Deutsche ins Ausland.

Dabei bedeutet kulturelle Nähe nicht automatisch, dass die Migranten vor Ort besser zurechtkommen: „In Thailand, Chile, Senegal oder Brasilien finden sich die Deutschen trotz größerer kultureller Unterschiede vergleichsweise gut zurecht“, erklärt der Migrationsforscher. Eine besonders große emotionale Bindung zur neuen Heimat wurde beispielsweise bei Deutschen in Kanada, Finnland oder Ungarn festgestellt. Doch nur drei Viertel der Migranten arbeiten im Ausland. Décieux: „Wir haben einen Anteil von 13 Prozent an Schülern und Studierenden, denen oft nahegelegt wird, Auslandserfahrung zu sammeln.“

Rentner sind laut der Studie eher weniger bereit, ihren Lebensmittelpunkt noch einmal in die Ferne zu verlegen. Mit 2,2 Prozent sind sie nur schwach vertreten – trotz oft geringerer Lebenskosten im Ausland (siehe auch Text unten). „Allgemein können wir aus der Migrationsforschung sagen, dass mit zunehmendem Alter die Bereitschaft auszuwandern sinkt“, erklärt Jean Décieux. So zahlte die Deutsche Rentenversicherung 2021 nur knapp 250 000 Renten an Deutsche im Ausland. Die meisten (rund 27 000) leben in Österreich, dicht gefolgt von der Schweiz (26 000), den USA (23 000) und Italien (22 000). Das Klischee vom deutschen Rentner auf Mallorca stimmt also nicht wirklich.

Deutlich häufiger empfangen ehemalige Gastarbeiter deutsche Renten: Gut 1,5 Millionen ausländische Versicherte beziehen Leistungen der Deutschen Rentenversicherung. Mit großem Abstand führt hier Italien (rund 363 000), gefolgt von Spanien (193 000) und von Österreich (96 000).

Wirtschaft sieht

Arbeitsmigration

durchaus positiv

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